Schluss mit dem Statisten-Dasein, alle Macht den Usern. Die "Quantified Self"-Bewegung gewinnt an Boden. Aufbauend auf der Selbstauswertung von Gesundheitsdaten, könnte der gesamte Mensch im Internet katalogisiert werden. Eine gute Ausgangsbasis, findet David Eicher. Inspiriert von der Bewegung spinnt der Geschäftsführer der Münchner Webguerillas den Faden weiter: Die User erheben statistische Daten über sich selbst und verkaufen diese personalisierten Informationen an werbungtreibende Unternehmen.
Big Data sei derzeit eines der großen Buzzwords in der Online-Marketing-Branche. Um künftig die Influencer zu erreichen, glauben die Webguerillas, reichen die vorhandenen Informationen über Zielgruppen und Menschen nicht aus. Es brauche personalisierte Daten mit klaren Interessensprofilen. „Gleichzeitig gewinnt die ,Quantified Self‘-Bewegung deutlich an Fahrt. Warum dreht man den Big-Data-Spieß also nicht einfach um?“, fragt David Eicher im Interview. Die Zukunft könnte seiner Ansicht nach so aussehen: Der User lässt sich nicht mehr von Cookies tracken und mit Werbung bespielen, er bestimmt selber, welche Angebote er bekommt. Eicher: „Ich stelle mir eine Bewegung vor, die ein eigenes Portal entwickelt, das alle persönlichkeitsrelevanten Daten aggregiert und diese an die Industrie vermarktet, und zwar genau in dem Umfang, in dem das vom User gewollt ist und natürlich gegen ein entsprechendes Entgelt. „Damit liefere man den Online Marketern eine solide Datengrundlage und profitiere gleichzeitig von der eigenen Datenhoheit. Wenn ein Unternehmen wissen will, wer hinter dieser Zielperson steckt, muss es zahlen, bevor es die Identifizierung bekommt.
Die Informationen könnten nach bestimmten Themengebieten und Kategorien klassifiziert werden. Man könnte zudem unterscheiden nach selbst aufgezeichneten Leistungsdaten und nach Streaming-Daten, die aufgrund der User Journey im Netz erfasst wurden“, präzisiert Eicher. Jeder User könnte daraus Einzeldaten freigeben. Bestimmte Firmen oder Branchen könnte er nach Bedarf ausschließen. Dass die Idee der User-bestimmten Datenvermarktung möglicherweise auch in der Realität funktioniert, zeigt das Projekt von Marcus Tonndorf. Tonndorfs Plattform, Arbeitstitel Primal Shield, soll Konsumenten und Werbungtreibende zusammenbringen. Nutzer können sich dort registrieren und ihre Kaufpräferenzen angeben. „Das funktioniert im Prinzip wie ein Vendor Relationship Management. Sie haben einen Account und können da ihre persönliche Shopping-Liste abspeichern“, erklärt der schwedisch-stämmige Unternehmer und Mehrfach-Gründer. Ob es um eine Reise geht, eine neue Kamera oder aber ein Fitness-Abo – User können alles offenlegen, wofür sie individuelle Angebote erhalten wollen. Die Unternehmen wiederum wenden sich gegen ein Entgelt direkt an die potenziellen Kunden. Kommt es zum Kauf, erhält der Nutzer einen Teil des Entgelts, welches das Unternehmen für seine Adresse bezahlt hat. Kauft der Kunde nichts, bekommt er auch kein Geld.
Damit vermeidet Tonndorf, dass Nutzer, die nur Kaufinteresse vortäuschen, für ihre Daten bezahlt werden. Gleichzeitig aber macht er den Menschen zum Herr über seine eigenen Daten: „Es ist in jedem Fall besser, als im Netz unsichtbar getrackt zu werden und per Retargeting und anderen Online-Marketing-Technologien verfolgt zu werden“, findet Tonndorf. Außerdem ist es billiger, als seine Daten im Gegenzug für einen Free-Mail-Account freizugeben. Tonndorf rechnet vor: „Der Wert eines Users beträgt für Google bis zu 700 Dollar pro Jahr, abhängig vom Nutzerprofil. Im Gegenzug dafür, dass sie ihre persönlichen Daten verkauft haben, erhalten die Nutzer lediglich freie Services wie Gmail, die Google dann noch einmal mehr Informationen liefern.“ Ein Prototyp der Plattform ist bis Ende Mai geplant. Ende 2013 soll eine marktfähige Version online gehen. Bereits jetzt ist Tonndorf im Gespräch mit Investoren, bisher finanziert der Unternehmer sein Projekt aus der Privatschatulle.
INTERNET WORLD Business hat zudem Branchenexperten befragt, was sie von der Idee halten. Mehr zum Thema Datenhoheit für die User lesen Sie in der Ausgabe 8/2013.