Branchenexperten bezeichnen es als Millardenmarkt. Second Screen ist das neue Hypethema. Zahlreiche Studien legen nahe, dass die Parallelnutzung von Smartphone, Tablet oder Notebook schon fest im Alltag verankert ist. Drei Mediaexperten erklären im Interview, was es mit dem neuen Phänomen auf sich hat.
Mehr als jeder zweite Erwachsene zwischen 14 und 49 Jahren (59 Prozent), propagiert der Sevenone Media "Navigator Mediennutzung", war 2012 Parallelnutzer von TV und Internet. Die Unternehmensberatung Anywab sieht sogar 84 Prozent der Internetnutzer zwischen 14 und 49 Jahre als gelegentliche Doubletasker. Wie lange sie das tun, darüber machen all die Studien allerdings keine Aussage. Auskunft gibt der "TNS Convergence Monitor 2012". Die Studienmacher rechnen vor, dass die deutschen 14- 64-Jährigen gerade einmal sechs Prozent ihrer kumulierten TV- und Internetzeit zeitgleich nutzen. Das sind zwölf Minuten pro Tag.
Zwölf Minuten also, um die seit letztem Jahr ein regelrechter Hype entbrannt ist, und um die herum sich gerade zahlreiche neue Geschäftsmodelle formieren. Insbesondere die Werbevermarkter sehen Riesenchancen. Prosieben und RTL haben eigene Social TV Apps gelauncht. Senderunabhängige Anbieter von Second Screen Anwendungen wie Couchfunk, Zapitano, Waydoo oder WyWy haben verschiedenste Business-Modelle entwickelt , um den Second Screen Markt zu monitarisieren. Welche das sind beschreibt Internet World Business in der aktuellen Ausgabe vom 4. Februar.
Am mittelfristigen Potenzial des Second Screen zweifelt keiner, doch Werbetreibende nutzen das neue Format bislang noch zögerlich. Internet World Business hat die drei Mediaexperten Anja Stockhausen (Mediadirector Zenith), Oliver Blecken (COO Mediacom) und Damian Rodgett (Managing Partner Pilot Screentime) befragt, welche Bedeutung sie Second Screen beimessen.
Anja Stockhausen: "Der Tipping Point ist noch nicht erreicht"
Oliver Blecken: Second Screen liefert uns neue Zielgruppen-Insights
Damian Rodgett: Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend
"Der Tipping Point ist noch nicht erreicht
Anja Stockhausen, Mediadirector Zenith
Laut Anywab nutzen 84 % der Onliner (14-49 Jahre) schon parallel den Second Screen zu TV. Der TNS Convergence Monitor weist 26 % Parallelnutzer bei allen Erwchsenen unter 64 Jahren aus. Was ist nun richtig?
Derzeit ist das Potenzial für die Vermarktung des Second Screens noch klein, aber die Nutzerzahl wächst ständig und eröffnet zunehmende Chancen. Mit steigender Verbreitung von Smartphones und Tablets und der damit einhergehenden Emanzipation von behäbigen Notebooks wird die Bedeutung steigen. In fünf Jahren reden wir über eine deutliche größere Parallelnutzung, und damit ist nicht nur paralleles Mailen, Facebook und/oder das Abrufen von Informationen gemeint. Denn die in vielen Studien untersuchte Parallelnutzung ist derzeit noch stark durch unterschiedliche Inhalte im TV und auf dem Second Screen geprägt, d.h. Zuschauer mailen oder surfen im Internet, während sie sich vom Fernsehen berieseln lassen. In Sozialen Netzwerken zeigt sich dagegen auch heute schon, wie TV-Inhalte das Gespräch in bestimmten Zielgruppen dominieren können. Dieses Phänomen wird sich in Zukunft noch verstärken. Dann wird der Second Screen zum "TV device", und je enger die Verknüpfung zwischen TV-Inhalt und Zuschauergespräch ist, umso interessanter wird es für Werbungtreibende.
Welche Möglichkeiten eröffnen Second Screen Angebote zur Interaktion zwischen Contentanbieter/Werbekunde und User?
Unterscheiden muss man hier nach benutzten Endgeräten: Das traditionelle Notebook wird bei direkter Parallelnutzung eher für TV-fremde Inhalte benutzt (Mailprogramme, klassisches Surfen, soziale Netzwerke usw.). Auf Smartphones und Tablets sind durch die einfache Handhabung der App-Technologie andere Kontaktketten möglich. Die Kontaktkette wird durch exklusive Zusatznutzen professionell erweitert. So wird die Meinungsäußerung nur eine von zahlreichen Reaktionsmöglichkeiten sein. Nutzerreaktionen, die unmittelbare Umsatzbedeutung haben, sind hoch attraktiv, zum Beispiel ein Outfit zu kaufen, das in einer TV-Serie vom Lieblingsschauspieler getragen wird. Hier eröffnen sich für Werbungtreibende, Content-Anbieter, Logistiker, u.a. ganz neue Vermarktungschancen.
Wie ist die Nachfrage nach entsprechenden Platzierungen seitens der Werbungtreibenden?
Die Nachfrage ist im Moment noch zurückhaltend, der "tipping point" ist noch nicht erreicht. Erste Wirkungs- und Umsatzanalysen müssen zeigen, für welche Werbungtreibenden das Engagement attraktiv sein wird. First Mover werden sicher Werbungtreibende aus Branchen sein, die Zusatznutzen für die App-Nutzer anbieten, zum Beispiel Punktesysteme, Gutscheine, exklusive Shoppingangebote, exklusive Informationen.
Automatic Content Recognition erlaubt die völlige Synchronisierung von TV und Second Screen Welche Möglichkeiten könnte das über das normale „Social TV“ hinaus eröffnen?
Diese Technologie wird auch die Synchronisation von Werbung im TV und auf dem Second Screen ermöglichen. Konkret heißt das, dass während des laufenden TV-Programms oder eines laufenden Spots Werbeangebote in der App ("Outfit jetzt shoppen") erscheinen könnten mit der Möglichkeit, per Klick sofort eine Bestellung auszulösen. In Echtzeit könnte dann die Anschlussaktivität zum TV-Spot gemessen werden: kommentiert, geklickt, geshoppt, heruntergeladen. Neben neuen Umsatzquellen für die Werbungtreibenden, wird das klassische TV damit einen Teil seiner Abverkaufswirkung belegen können, quasi "Single Source". Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Non-Profit Beteiligung: Abstimmung und Kommentar. Content-Anbieter generieren so Insights aus der gesellschaftlichen Meinung, wenn auch derzeit noch nicht zwingend repräsentativ (da die Parallelnutzung noch demographische Schwerpunkte zeigt).
Pro7 und RTL warten mit eigenen Second Screen Applikationen für ihren Content auf. Ist das wünschenswert oder wäre es besser, wenn es eine Applikation für alle Sender gäbe?
Die Apps der TV Sender konzentrieren sich auf ihr eigenes Programm und bieten daher eher eine geschlossene Kommunikation an. Aus Sicht der Werbungtreibenden ist dies suboptimal, da für TV-/ Social-TV-Kampagnen mehrere Partner eingesetzt werden müssen. Aus Sicht der Konsumenten sind mehrere Apps, die zeitversetzt bei jedem Programmwechsel bedient werden müssen, auch nicht das Gelbe vom Ei. Insofern ist das Entwicklungspotenzial für unabhängige Anbieter, die in ihrem Social-TV-Angebot alle Sender covern, größer. Dabei ist der Erfolg einer solchen Anwendung umso größer, je mehr convenience features sie anbietet: Verbindung zu den sozialen Netzwerken ist Basis, ein Anreizverstärker wie zum Beispiel das Punktesammeln bei wywy mit der Möglichkeit, die eigene Aktivität in bare Münze zu verwandeln, besonders wünschenswert.
Anja Stockhausen: "Der Tipping Point ist noch nicht erreicht"
Oliver Blecken: Second Screen liefert uns neue Zielgruppen-Insights
Damian Rodgett: Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend
"Second Screen liefert uns neue Zielgruppen-Insights"
Oliver Blecken, COO MediaCom
Laut Anywab nutzen 84 Prozent der Onliner (14-49 Jahre) schon parallel den Second Screen zu TV. Der TNS Convergence Monitor weist 26 Prozent Parallelnutzer bei allen Erwchsenen unter 64 Jahren aus. Was ist nun richtig?
Die parallele Nutzung von Internet und Fernsehen findet häufiger statt als die zeitgleiche Rezeption anderer Medien, sie hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Dafür gibt es zwei wesentliche Ursachen. Zum einen ist die Verbreitung von internetfähigen mobilen Geräten wie zum Beispiel Laptops, Netbooks, Tablets und Smartphones stark gestiegen und begünstigt die Entwicklung der Parallelnutzung. Zum anderen befruchten TV und Internet sich gegenseitig. Fernsehen liefert starke Impulse, weckt Neugier und Interesse, sich mit bestimmten Inhalten weiter im Internet zu beschäftigen. In bestimmten (jüngeren – bis 29 Jahre, aber insbesondere bis 19 Jahre alt) Zielgruppensegmenten hat Second Screen schon heute eine hohe Relevanz. Circa ein Drittel der 14-49-Jährigen gibt heute an, TV und Internet regelmäßig parallel zu nutzen. Das ist fast doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Bei den 20-29-Jährigen ist schon jeder Zweite ein häufiger TV/Internet-Multitasker. Diese Zahlen werden in der Zukunft weiter steigen.
Wiese werden diese Zahlen steigen?
TV Inhalte sind ein starker Trigger für Onlinenutzung: Bei fast 70 Prozent aller Multitasker drehen sich die Parallelnutzungsaktivitäten um TV Inhalte. So zum Beispiel bei der Suche nach zusätzlichen Informationen zum TV-Programm (47 Prozent), Produkten aus der Fernsehsendung (37 Prozent), der Werbung (31 Prozent) oder wenn aktiv teilgenommen wird und Sendungen im Internet kommentiert werden (16 Prozent). Bei häufigen Multitaskern ist dieser Effekt sogar noch stärker ausgeprägt – rund drei Viertel betreiben mindestens eine TV-bezogene Parallelaktivität. Die TV-Sender werden diesen Trend aufnehmen und durch die Entwicklung entsprechender Formate verstärken. Denn Second Screen Nutzung stärkt die Senderbindung, verringert Zapping und eröffnet neue Erlösmodelle. Die im Social Web stark diskutierten, bestehenden Formate (das sind insbesondere Formate mit Live-Charakter) werden von den Produzenten noch stärker auf die soziale Interaktion ausgerichtet. Nicht zuletzt deswegen wird die Parallelnutzung von TV und Internet weiter steigen und mehr Leute werden häufiger zum Second Screen greifen. Die Einbeziehung des Zuschauers wird in Zukunft ein starkes Differenzierungsmerkmal für Formate sein.
Welche Möglichkeiten eröffnen Second Screen Angebote zur Interaktion zwischen Content-Anbieter bzw. Werbekunde und dem User?
Content-Anbieter können den Usern eine Vielzahl von Zusatzinformationen zum Content auf dem First Screen anbieten. Der User wird dieses Angebot dankbar nutzen, wenn es eine Relevanz für ihn hat. Und genauso verhält es sich auch für die Verbindung von Werbungtreibenden und User: Wenn der Werbungtreibende dem User ein für ihn relevantes Angebot zur Interaktion macht, kann Second Screen ein wertvoller Bestandteil von integrierten Kampagnen werden und zur Aktivierung und Bindung von Zielgruppen führen. Wir haben das im vergangenen Jahr zur Markteinführung des Golf 7 erfolgreich praktiziert: Hier konnten die Zuschauer einer Musik-Castingshow parallel zur Sendung an einem Voting teilnehmen, die Ergebnisse wurden fast in Echtzeit in die TV-Spots von Volkswagen integriert.
Wie ist die Nachfrage nach entsprechenden Platzierungen seitens der Werbungtreibenden?
Unsere Kunden sind grundsätzlich an dem Thema interessiert. Momentan fehlen jedoch noch technische Standards. Zudem ist die Umsetzung von strategisch zielführenden Konzepten zum Teil noch mit extrem hohem Arbeitsaufwand aller Beteiligten verbunden. Wir haben im vergangenen Jahr schon mit einigen Kunden Projekte umgesetzt, die zum Teil vielversprechende Ergebnisse produziert haben. So führte beispielsweise die Second Screen Kampagne zur Markteinführung des Golf 7 zu einem messbar höheren Zielgruppen-Involvement. Am Ende des Tages muss sich jede Kommunikationsmaßnahme aber einer simplen Kosten-Nutzen-Analyse stellen. Das gilt für Second Screen Kampagnen genauso wie für eine klassische TV- oder Plakat-Kampagne oder verschiedenste digitale Maßnahmen.
Ein entscheidender Punkt für uns Mediaagenturen: Social Media und damit auch Second Screen liefern uns neue Zielgruppen-Insights. Über unser neues Tool Social TV-Buzz können wir die Social Media-Effekte serieller Formate transparent machen. Unsere Mediaplaner sehen hier live, wie bestimmte Sendungen im Social Web diskutiert werden und bekommen ein Verständnis für das Verhalten der Zielgruppe in TV und Social Media. Dies erleichtert die Planung von TV-Kampagnen mit Social Media-Mechaniken. Die Viralität der Maßnahmen kann durch bessere Consumer Insights gesteigert und der Wert entsprechend maximiert werden.
Pro7 und RTL warten mit eigenen Second Screen Applikationen für ihren Content auf. Ist das wünschenswert oder wäre es besser, wenn es eine Applikation für alle Sender gäbe?
Natürlich wäre ein Marktstandard im Sinne aller Beteiligten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt allerdings, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist: Egal in welchem Bereich – zum Beispiel digitale Verlängerung von Inhalten auf OoH oder in Print, Intelligent Teletext – die Marktpartner haben sich mit Standards in der Vergangenheit leider immer schwer getan. Aktuell verfügbare Software weist auch noch große Lücken in der Handhabe auf: Ist der TV Spot lang genug, dass es sich lohnt, das Tablet anzumachen, die App zu starten und zu hoffen, dass der verknüpfte Content einen echten Mehrwert bietet? Warum benötigt der Konsument neben Facebook eine weitere App, mit der er sich in eine TV Sendung eincheckt und mit Gleichgesinnten diskutiert? Hier zwei Hypothesen: Erstens, die Software muss ‚always on‘ sein und sich immer mit allem verknüpfen, was sie erkennt (auditiv und visuell). Zweitens, die Software kommt von einem etablierten Marktteilnehmer (oder solch einer kauft ein Start-Up mit der entsprechenden Technologie).
Anja Stockhausen: "Der Tipping Point ist noch nicht erreicht"
Oliver Blecken: Second Screen liefert uns neue Zielgruppen-Insights
Damian Rodgett: Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend
"Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend"
Damian Rodgett, Managing Partner Pilot Screentime
Laut Anywab nutzen 84 Prozent der Onliner (14-49 Jahre) schon parallel den Second Screen zu TV. Der TNS Convergence Monitor weist 26 Prozent Parallelnutzer bei allen Erwchsenen unter 64 Jahren aus. Was ist nun richtig?
Wir gehen davon aus, dass es in Wahrheit viel weniger Prozent sind, als die Prognosen von Nielsen, ComScore and Co. zeigen. Ich bin der Meinung, dass die Nutzung sehr stark schwanken kann. Denn während einer Live Sport Sendung oder Reality Show gibt es viel mehr Bedarf und Interesse an einem Social Media Austausch als während eines Spielfilms. Wir wissen, dass die Second Screen Nutzung eher während der Primetime stattfindet und eher in Zusammenhang mit Sport, Casting Shows, Live-Events, Quiz Shows und Serien in Anspruch genommen wird. Hier gibt es bestimmt sehr oft die "parallele Nutzung" auf der inhaltlichen Ebene.
Second Screen wird von vielen als Milliardenmarkt bezeichnet, wie sehen Sie das Potenzial?
Das Potenzial liegt in der intelligenten Verbindung zwischen TV, Online und mobilen Endgeräten. Wer einen Mehrwert für die Nutzer und Werbetreibenden schafft, hat in der Tat eine sehr lukrative Zukunft. Aber das kann noch weitere 5 Jahre oder mehr dauern.
Welche Möglichkeiten eröffnen Second Screen Angebote zur Interaktion zwischen Contentanbieter/Werbekunde und User?
Die Second Screen Nutzer tauschen sich in den sozialen Netzwerken aus. Hier ist eine Interaktion möglich und die User können Themen kommentieren. Bei den Sendern ist dies nicht möglich. Die User können nicht direkt agieren. Dieses Konzept fehlt völlig. Ich kann mir aber sehr gut die Teilnahme an Quizshows vorstellen oder das Kommentieren von Live-Shows und Live-Sport. Aber natürlich auch, nachdem wir alle TV-Inhalte mit "Tags" versehen haben - "Shopping"!
Wie ist die Nachfrage seitens der Werbungtreibenden?
Es ist aktuell noch zu früh, dies zu sagen. Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend. Die unabhängigen App-Anbieter wiederum haben sich schon mehr Gedanken über die Nutzer-Experience gemacht. Sie sind in einer besseren Situation als die Sender, um ein interessantes Angebot machen zu können.
Wird die Werbewirkung von TV-Spots durch den Second Screen messbar?
Man wird zukünftig in der Lage sein, zu messen, ob der Zuschauer wirklich vor dem Fernseher sitzt oder nicht. Dies ist schon heute mit "Automatic Content Recognition" (ACR) Technologie möglich.
Anja Stockhausen: "Der Tipping Point ist noch nicht erreicht"
Oliver Blecken: Second Screen liefert uns neue Zielgruppen-Insights
Damian Rodgett: Die Angebote der Fernsehsender sind bisher noch nicht überzeugend