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Vorstand Thomas Hesse zur Digitalisierung von Bertelsmann
Sonstiges 25.07.2013
Sonstiges 25.07.2013

Vorstand Thomas Hesse zur Digitalisierung von Bertelsmann "Wenn wir einsteigen, muss sich das rechnen"

Die Digitalisierung ist sein Thema: Thomas Hesse ist bei Bertelsmann für Unternehmensentwicklung und Neugeschäfte verantwortlich. INTERNET WORLD Business sprach mit dem Konzernvorstand über Veränderungsbereitschaft, die Lehren der Musikindustrie und einen Start in den Online-Handel.

Herr Hesse, können Sie mit einem Konzern schaffen, womit viele Firmen schon im Kleinen scheitern: die Transformation zu einem digitalen Unternehmen?

Thomas Hesse: Ja, davon bin ich überzeugt - gerade auch deshalb, weil wir bei der digitalen Transformation unseres Unternehmens große Fortschritte machen. Bertelsmann wird Tag für Tag digitaler, in all unseren Geschäften hat das Thema höchste Priorität. Grundsätzlich aber haben Sie recht: Die Digitalisierung macht unser Geschäft komplexer: Es gibt mehr Produkte, mehr Diversifikation, mehr Schnittstellen. Diese Umstellung erfordert eine gute Zusammenarbeit und die Begeisterung der gesamten Organisation.

Begeisterung? Viele Menschen empfinden Veränderungen eher als unangenehm.

Hesse: Für Bertelsmann kann ich sagen: Die Begeisterung ist zweifelsfrei da, sie kommt aus den einzelnen Unternehmen selbst. Hier gibt es viele Menschen mit Visionen, die die Digitalisierung vorantreiben. Natürlich stößt man auch mal auf Beharrungskräfte, doch im Endeffekt wollen alle erfolgreich sein - und das gelingt nur auf neuen Wegen.

Sie haben einmal gesagt, in der digitalen Welt müsse man auch einmal alles über den Haufen werfen und die Dinge neu erfinden. Was haben Sie seit Ihrem Antritt im Februar 2012 bei Bertelsmann alles über den Haufen geworfen?

Hesse: Bertelsmann ist ein erfolgreiches Unternehmen. Im Kerngeschäft erfolgreich zu sein und zu bleiben, ist die Grundvoraussetzung für die Digitalisierung. Wir entwickeln uns jedoch auf allen Ebenen weiter. Innovation und Veränderungsbereitschaft sind essentiell.

Wo hat Bertelsmann sich weiterentwickelt? Nennen Sie bitte Beispiele.

Hesse: Im TV-Geschäft sind wir sehr gut aufgestellt, Fernsehen ist ja sowohl in der Produktion als auch in der Verbreitung schon digital. Jetzt geht es darum, lineares TV durch nicht-lineares auf mehreren Plattformen zu ergänzen - also Fernsehen auf Abruf, überall und jederzeit verfügbar. Die RTL Group hat sich mit ihren Portalen und mobilen Anwendungen längst zu einem echten Multi-Channel-Anbieter weiterentwickelt.

RTL hat Ende Juni 2013 für 27 Millionen Euro die Mehrheit am Netzwerk Broadband TV aus Kanada übernommen, das Inhalte auf Youtube aggregiert und vermarktet. Welches Ziel verfolgen Sie mit der Investition?

Hesse: Online-Fernsehen spielt eine immer wichtigere Rolle, der Markt wächst rasant. Wir wollen hier frühzeitig eine führende Position einnehmen, die wir mit dieser Investition weiter gestärkt haben. Die RTL-Group-Produktionstochter FremantleMedia war im vergangenen Jahr bereits der meistgesehene TV-Produzent bei YouTube mit mehr als 4,5 Milliarden Videoabrufen. Hier entwickeln wir uns mit Broadband TV nun noch weiter. Lässt man Musikdienste auf YouTube einmal außen vor, wird die RTL Group durch die Transaktion bei den Videoabrufen die Nummer vier weltweit. Zugleich stärkt das Unternehmen seine Präsenz in Nordamerika - und das ist immer noch der wichtigste und innovativste Medienmarkt der Welt.

Und das Verlagsgeschäft?

Hier ist die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten und unsere Verlage sind in diesem Feld führend. Je nach Land, Genre und Autor sind bei manchen Titeln bereits 50 Prozent der verkauften Bücher E-Books.

Für Sie ist das ein Vorteil: E-Books kosten oft das Gleiche wie ein gedrucktes Buch, es fallen jedoch keine Papier- und Druckkosten an.

Hesse: Das mag stimmen, allerdings müssen wir Infrastruktur bereitstellen - der Großteil der Kosten wie Lektorat, Vertrieb und Marketing bleibt bestehen, dazu brauchen wir die Schnittstellen in den Handel. Die Auslieferung digitaler Bücher ist komplexer als die der gedruckten.

Wie Bertelsmann seine Investments auswählt

Wie sieht es in den anderen Geschäftsbereichen wie Arvato und Gruner + Jahr aus? Gerade das Verlagshaus hat ja schwere Zeiten hinter sich.

Hesse: Auch unser Outsourcing-Dienstleister Arvato ist in Sachen Digitalisierung sehr weit, teilweise sogar Vorreiter. Arvato profitiert mit seinen Services besonders vom Wachstum im E-Commerce. Bei Gruner + Jahr setzt das neue Management bereits klare Akzente, da gibt es vielversprechende Ansätze und erste Erfolge, um das Geschäft weiterzuentwickeln - zum Beispiel rund um sogenannte Communities of Interest, was wir sehr unterstützen. Gruner + Jahr bietet diverse Onlineprodukte zu Themen wie Kochen und Familie, darunter zum Beispiel Chefkoch.de.

Burda bietet den Leserinnen auf den Webportalen seiner Frauenzeitschriften Mode in einem eigenen Markenshop an. Planen Sie, ebenfalls in den E-Commerce einzusteigen?

Hesse: Dies ist nicht unser Kerngeschäft. Wenn man als Medienhaus in den Online-Handel einsteigt, muss man sich überlegen, was man besser kann als die großen Händler. Ich sehe unseren Schwerpunkt derzeit eher in der Lead-Generierung zu diesen Anbietern hin. Dazu kommt, dass der E-Commerce als Nebengeschäft von Zeitschriften noch keine großen Umsätze erzielt. Wenn wir in einen Bereich einsteigen, muss sich das mittelfristig rechnen.

Sie waren vor Ihrer Rückkehr zu Bertelsmann bei Sony Music Entertainment in New York. In der Musikbranche hat die Digitalisierung zu großen Umsatzeinbrüchen geführt. Was können Fernsehsender und Verlage aus den Erfahrungen lernen?

Hesse: Die Musikindustrie hat sich in den vergangenen Jahren stark auf die neue, digitale Welt eingestellt, sie lizensiert die Werke der von ihr vertretenen Künstler und arbeitet eng mit Firmen wie Apple oder Google zusammen. Unsere Musikrechtefirma BMG hat das sehr früh verstanden und geht hier mit einem Geschäftsmodell voran, das exakt auf die Bedürfnisse der Künstler im digitalen Zeitalter zugeschnitten ist.

Apple bringt im Herbst seinen neuen Musikdienst heraus. Wird Bertelsmann mit BMG auch bei iRadio vertreten sein?

Hesse: Ja, wir sind dabei. Streaming setzt sich immer mehr durch, da die Kombination aus Download und Streaming viele Verbraucher davon überzeugt, Musik im Netz legal zu hören.

Über den Bertelsmann Digital Media Investment Fonds sind Sie an vielen Start-ups beteiligt - darunter ganz unterschiedliche wie das Testbericht-Portal alaTest, das Beauty-Videonetzwerk Stylehaul oder Spieleplattform Exit Games. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Neugründungen aus, die Sie fördern?

Hesse: Jedes Investment muss die Konzernstrategie unterstützen und mit ihr verzahnt sein. Um das zu gewährleisten, hat auch jede Beteiligung einen Paten in einem der Geschäftsbereiche. Stylehaul, der größte Fashion-Channel im Netz, passt zum Beispiel perfekt zur RTL Group. BDMI ist aber auch ganz einfach für uns Trendscout, so  sind wir an der vordersten Front der digitalen Entwicklungen, auch in den USA, dabei und bringen diese Trends in den Konzern. Und auch in China, dem zweitgrößten digitalen Medienmarkt der Welt, sind wir an der digitalen Entwicklung über unseren Venture Fonds Bertelsmann Asia Investments schon sehr erfolgreich beteiligt.

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