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Sonstiges 03.03.2016
Sonstiges 03.03.2016

Expert Insights Gründertum in Deutschland - ein Erfahrungsbericht

Die Zeiten sind gut, auch in Deutschland ein neues Unternehmen zu starten. Doch auf dem Weg zum erfolgreichen Gründer liegen viele Steine - ob Bürokratie, die Suche nach geeigneten Investoren oder die Akquise des ersten Kunden.

Es sind nicht mehr nur die Erfolgsgeschichten aus dem Silicon Valley, allen voran Facebook, Instagram oder Snapchat, die angehende Gründer von einer rosigen Zukunft träumen lassen, sondern immer mehr auch der (medial begleitete) Aufschwung deutscher Startups, die das Interesse hiesiger und vor allem auch internationaler Investoren wecken. Die Zeiten, ein eigenes Unternehmen zu gründen und damit auch über Ländergrenzen hinweg erfolgreich zu sein, scheinen attraktiver denn je. 

Gleich zwei aktuelle Studien bescheinigen Deutschland, entgegen der meisten bisherigen Erkenntnisse, beste Voraussetzungen als Gründerland. Laut der aktuellen Start-up-Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young etwa, flossen im Jahr 2015 ganze 3,1 Milliarden Euro - und damit doppelt so viele Investitionen wie im Jahr zuvor - in deutsche Start-ups. Damit hängt die deutsche sogar die englische Startup-Szene mit einem Investitionsvolumen von 2,6 Milliarden Euro ab. Vor allem Technologieunternehmen aus den Bereichen AdTech, FinTech oder E-Commerce stehen dank der fortschreitenden Digitalisierung sämtlicher Wirtschafts- und Lebensbereiche im Fokus der Investoren.

Neun von zehn Start-ups scheitern

Ein Konsortium aus dem amerikanischen Magazin US News & World Report, dem Beratungsunternehmen für Markenstrategie BAV sowie der Universität Pennsylvania wiederum hat Deutschland in seinem "Best Countries" Ranking nicht nur zum besten Land der Welt gewählt, sondern insbesondere auch in der Subkategorie "Entrepreneurship" aufgrund seiner Infrastruktur, seiner ausgebildeten Arbeitskräfte und technologischen Expertise, Bestnoten erteilt.
 
Auch wenn Ergebnisse wie diese die allgemeine Gründereuphorie in den Start-up-Hochburgen Berlin, Hamburg oder München noch weiter beflügeln, ist eine Unternehmensgründung dennoch ein langwieriges und forderndes Projekt, das mit Risiken und Herausforderungen verbunden ist. Noch heute gilt die Regel, dass neun von zehn Start-ups scheitern.
 
Vor knapp einem Jahr habe ich es zusammen mit meinen Partnern Sebastian Sachs und Robert Scharni trotzdem gewagt. Wir haben unser eigenes Unternehmen orbyd gegründet. Einige Erfahrungen und Erkenntnisse, die wir dabei gewonnen haben, möchte ich gerne hier teilen, um andere Gründer zu unterstützen und zu inspirieren. Als eine von wenigen Gründerinnen in der AdTechnology-Szene ist es mir darüber hinaus ein besonderes Anliegen, vor allem auch Frauen zu ermutigen, unter die Unternehmer zu gehen. 

Von der Idee bis zum Büroschlüssel

Die Idee, mit orbyd einen unabhängigen, speziell auf die Anforderungen der DACH-Region angepassten Fullservice-Anbieter für den programmatischen Media Handel speziell für Vermarkter und Publisher zu etablieren, kam mir während der diversen Gespräche, die ich mit Marktpartnern und Branchen-Insidern im Rahmen meiner früheren beruflichen Stationen führte, in den Sinn. Meine Ansprechpartner waren vor allem von der Komplexität, die die vergleichsweise junge Technologie für den programmatischen Mediaeinkauf in Echtzeit mit sich bringt und einem hochfragmentierten Markt von Technologie- und Serviceanbietern überfordert.

Was sie brauchten, war und ist ein Experte im deutschsprachigen Raum, der ihnen den Einstieg in den programmatischen Media Handel vor Ort erleichtert, sei es durch pragmatische Beratung im technischen und kaufmännischen Bereich, direkter operativer Unterstützung bei der Umsetzung von Kampagnen oder die Schulung ihres Personals. Ich war überzeugt, dass ich genau diesen Bedarf mit einem eigenen Unternehmen selbst decken und damit den Markt noch stärker als bisher mitgestalten und nach meinen Visionen vorantreiben konnte. Inzwischen bietet orbyd mit einer Meta SSP sogar das global erste Konzept, bei dem Vermarkter und Publisher alle marktführenden Supply-Side-Platform-Technologien (SSP) für den automatisierten Mediahandel über ein einheitliches Interface selbst steuern können, was nicht nur mehr Transparenz und Zeitersparnis schafft, sondern vor allem eine unglaubliche Vereinfachung darstellt.   

Wichtige Fragen zu Beginn

Aber der Reihe nach. Um der Idee Taten folgen zu lassen, galt es, sich in der Gründungsphase eine Reihe von Fragen zu stellen und einige wichtige strategische Entscheidungen zu treffen. Dazu zählte neben der Wahl der Rechtsform für das Unternehmen auch die Entwicklung eines geeigneten Markennamens und einer klaren Positionierung mit deutlicher Abgrenzung zu Mitbewerbern.
 
Wesentlich ist in dieser Phase aber vor allem die selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Kompetenzen und der eigenen Gründerpersönlichkeit. Wie gehe ich mit der Verantwortung, ein eigenes Unternehmen zu führen, um? Was kann ich selbst am besten in das Unternehmen einbringen und wo brauche ich die Unterstützung von anderen? So war es für mich von Anfang an klar, dass ich orbyd nicht im Alleingang zum Erfolg führen würde, sondern mit Hilfe von spezialisierten Gründungspartnern, die jeder für sich einen wichtigen Schlüsselbereich des Unternehmens abdecken.

Sowohl Sebastian Sachs als auch Robert Scharni sind dabei Wegbegleiter, mit denen ich auch schon vor unserer Gründung eng und erfolgreich zusammengearbeitet habe. Der Zeitpunkt war also perfekt, unsere Team-Stärken bestmöglich in unser Unternehmen orbyd einzubringen. Meine Partner waren sofort an Board, als ich Ihnen von meiner Geschäftsidee erzählte und so machten wir uns ans Werk - und kündigten im ersten Schritt unsere Angestelltenverhältnisse.

Schwierigkeiten und Hürden

Eine der größten Herausforderungen in der Gründungsphase war es, Startkapital für orbyd zu beschaffen. Denn auch wenn es in Deutschland in dieser Hinsicht einige positive Beispiele gibt, erwies sich gerade das fehlende Digital-Know How auf Seiten einiger Banken oder Business Angels als Hindernis in unseren Gesprächen mit potenziellen Investoren. Insbesondere konservativen Häusern fällt es in der Regel schwer, die Tragfähigkeit und Umsatzpotenziale technologiegetriebener Geschäftsmodelle einschätzen zu können. Mit ihrer daraus resultierenden deutlich geringeren Risikobereitschaft überlassen sie internationalen Playern das Feld und verpassen Chancen.
 
Letzteres schmerzt Investoren im Silicon Valley beispielsweise deutlich mehr als eine verlorene Investition. Ein befreundeter Gründer in den USA berichtete mir erst kürzlich von einer Pitch-Situation, die sich in einer Bar im kalifornischen Palo Alto mit einem potenziellen Investor ergab. Nachdem er seine Unternehmensidee kurz skizziert hatte, überreichte ihm sein Gegenüber spontan einen Scheck über 50.000 US-Dollar Startkapital. Eine solche unbürokratische Unterstützung ist hier leider undenkbar. Nur Dank unserer energischen Suche und erst nach vielen Rückschlägen wurde uns schließlich über eine Bürgschaft der Stadt Hamburg und nicht unerheblichen Eigeninvestitionen ein Bankkredit bewilligt.
 
Ähnlich erging es uns auch bei der Beantragung des Gründerzuschusses bei der Arbeitsagentur. Die Gründung eines Unternehmens scheint dort überwiegend als letzter Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit gesehen zu werden, weniger als Chance für mutige Unternehmerpersönlichkeiten, neue Wirtschaftskraft und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem fehlt es den Ansprechpartnern auch hier an Wissen, um den Business Plan für ein AdTechnology-Unternehmen überhaupt verstehen und bewerten zu können. In der Folge wurde mein Antrag mehrmals abgelehnt. Wichtigstes Learning war für mich jedoch, diese Entscheidung nicht auf sich beruhen zu lassen. Nach der dritten Absage stand ich ohne vorherige Terminvereinbarung im Büro meines Ansprechpartners und konnte ihn schließlich überzeugen, mir den Gründerzuschuss doch noch zu gewähren. "Charmante Penetranz", wie ich es gerne nenne, hat sich hier als zielführend erwiesen.

Hemmschuh Bürokratie

Auch wenn die zuvor zitierten Studien ein grundsätzlich positives Bild vom Gründerland Deutschland zeichnen, so haben wir den Prozess der Unternehmensgründung als äußerst bürokratisch erlebt. Vom Gang zu diversen Ämtern über die wiederholte Bereitstellung von Unterlagen, den Abschluss von Versicherungen bis zur Beschaffung von Informationen zu Fördermitteln, Steuern oder Schutzrechten reicht das Spektrum zeitaufwändiger zu erledigender Formalitäten. Schon vor Jahren wurde die Forderung nach einem vereinfachten Gründungsprozess sowie einer einheitlichen Online-Anlaufstelle der öffentlichen Verwaltung laut, der ich mich aus heutiger Perspektive nur anschließen kann.

Haben Gründer besagte bürokratische Hürden erst einmal genommen, bahnt sich die nächste Herausforderung an - die Suche nach guten Mitarbeitern und vor allem die Gewinnung der ersten Kunden trotz einer noch nicht aufgebauten Marke. Hier zahlt sich ein über Jahre sorgfältig aufgebautes Netzwerk vielfältigster und qualitativer Kontakte aus.

Kontakte, Kontakte, Kontakte

Das klassische Buddy Business, über das sich die immer gleichen Firmenchefs gegenseitig Aufträge verschaffen, führt meiner Ansicht nach in der heutigen ergebnisgetriebenen und komplexen Unternehmenswelt immer weniger zum Erfolg. Wichtiger denn je sind immer wieder neue dynamische Kontakte, die gezielt für das Business eingesetzt werden können. Das setzt voraus, das eigene Netzwerk kontinuierlich auszubauen und auf Menschen zuzugehen. Ich habe mir angewöhnt, die spezifischen Fähigkeiten eines jeden neuen Gesprächspartners in einem gedanklichen Raster abzulegen. Dieser Kontakt steht für Expertise in PR-Fragen, jener Kontakt hat Erfahrung im Controlling oder eine besonders gute Beziehung zu einem potenziellen Kunden. Diese innere Ordnung und Netzwerk-Strukturierung hilft mir, Personen im Bedarfsfall jederzeit aus dem Gedächtnis abrufen zu können. Dann ist es nur noch ein Griff zum Telefon und ich kann mich darauf verlassen, dass mir weitergeholfen wird.
 
Doch das Netzwerk allein ist kein Erfolgsgarant. Das A und O ist aus meiner Sicht die gezielte Selbstvermarktung. In Zeiten von Social Media und den damit verbundenen Werbemöglichkeiten ist die Abhängigkeit von Journalisten, die über das neue Unternehmen berichten, nicht mehr so groß wie noch vor zehn Jahren. Ich suche mir darüber hinaus gezielt Gelegenheiten, als Expertin eine größere Zielgruppe über Vorträge anzusprechen, beispielsweise auf Kongressen, die sich mit unserem Thema "Programmatic Advertising" beschäftigen.

Gründen ist nicht jedermanns Sache

Der Anstoß ein Unternehmen zu gründen, ist in Zeiten des digitalen Wandels nicht nur eine Idee, die nicht mehr aus dem Kopf geht, sondern häufig auch der Wunsch, aus den starren Grenzen eines etablierten Unternehmens oder Konzerns auszubrechen, um Innovationen auf den Weg zu bringen, die eigenen Kompetenzen auszuleben, endlich die Anerkennung zu bekommen, die man verdient oder einfach nur sein eigener Chef zu sein.
 
Den Mut aufzubringen, dabei einen sicheren Job aufzugeben, ohne zu wissen, wie die nächsten Monate und Jahre aussehen werden, ist an sich schon eine große Leistung vieler angehender Gründer. Doch das allein ist nur der Anfang einer langen Liste von Anforderungen an eine Unternehmerpersönlichkeit.
 
Gerade die ersten Gründungsjahre gehen mit viel Einsatz und Aufopferung des Privatlebens einher. Zudem gehören Scheitern oder mindestens große und kleine Rückschritte genauso zum Alltag eines Gründers, wie die Freiheit, sein eigener Herr oder - wie in meinem Fall - eigene Frau zu sein. Da ist es wichtig, die richtige Gründermentalität mitzubringen.
 
Eigenschaften wie Durchhaltevermögen und Ehrgeiz sind dabei ebenso hilfreich, wie die Disziplin, kontinuierlich auch ohne Kontrolle durch eine höhere Instanz an den selbst gesteckten Zielen zu arbeiten. Noch mehr als gutes Selbstmanagement beeinflussen jedoch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und der Glaube an das Projekt den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens. Denn diese Haltung schwingt in allen Gesprächen mit, ob mit potenziellen Kunden, Kooperationspartnern oder Mitarbeitern.
 
Auch der Umgang mit Misserfolg ist für das langfristige Fortbestehen der eigenen Firma wichtig. Ich versuche, die daraus entstehenden Learnings ganz bewusst wahrzunehmen, um mich und unser Unternehmen weiterentwickeln zu können. Das impliziert auch, nicht in festgefahrenen Strukturen zu denken, wandlungs- und auch konfliktfähig zu bleiben.

Warum Frauen unbedingt gründen sollten

Laut dem Deutschen Startup Monitor ist der Anteil weiblicher Gründer im High-Tech-Bereich im Jahr 2015 auf immerhin 13 Prozent gestiegen. Speziell in der AdTechnology-Szene sind Unternehmerinnen allerdings eine Rarität - leider. Abschreckend wirkt für viele Frauen hier nicht nur die klassische Männerdomäne im Technologiebereich, sondern vor allem auch das Misstrauen in die eigene fachliche Kompetenz. In dieser Hinsicht können sich weibliche Gründerinnen bei ihren männlichen Kollegen gerne etwas abschauen. Einfach mal den Schritt auf neues Terrain wagen und laut in eigener Sache trommeln. Das machen männliche Kollegen oft auch nicht anders.
 
Dabei kommen Frauen gerade in der Tech-Szene besonders gut an. Ich mache diese Erfahrung als durchgehend einzige Frau in Männerrunden nahezu täglich. Frauen werden nicht nur für ihr profundes Fachwissen, ihr Organisationstalent und ihre Empathie geschätzt, sondern auch für ihren klaren Fokus auf die Sache. Auch Männer finden es durchaus erfrischend, wenn die üblichen politischen Machtspielchen im Business zugunsten inhaltlicher Diskussionen deutlich abgekürzt werden können.
 
Letztlich scheuen Frauen aber auch vor der Verantwortung für ein Unternehmen zurück, da sie die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf befürchten. Dabei haben laut der bundesweiten Gründerinnenagentur BGA Unternehmerinnen sogar mehr Kinder als festangestellte Mütter. Und das nicht ohne Grund. Gerade die Selbständigkeit bietet die einzigartige Chance, sich wirklich flexible Arbeitszeiten zu erlauben, selbstbestimmt seinen Tagesablauf zu planen und Meetings familienfreundlich zu koordinieren. Beste Voraussetzungen also für Frauen, den Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen.
 
Fazit
Der Prozess, ein eigenes Unternehmen zu gründen, ist durchaus mit Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden. Doch mit Leidenschaft und dem festen Glauben an die eigene Idee lässt sich nahezu jedes Hindernis aus dem Weg räumen. Ich kann nur jeden dazu ermutigen, sich von Rückschlägen nicht beirren zu lassen und sich den Traum eines eigenen erfolgreichen Unternehmens zu erfüllen.

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