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Sonstiges
08.04.2020
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Bremer Tageszeitungen AG Digitale Vermarktung: "Wir fahren von Monat zu Monat auf Sicht"

Weser-Kurier
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Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft und damit auch auf die Werbewirtschaft sind erheblich. Wie erleben News Publisher die Situation? Oliver Markus Müller von der Bremer Tageszeitungen AG erklärt, wie es mit dem digitalen Vermarktungsgeschäft aussieht.

In Großbritannien hat Newsworks, eine Interessensvertretung von Tageszeitungs-Verlagen, dazu aufgerufen, Qualitätsjournalismus in Zeiten der Corona-Krise zu unterstützen. Alle News-Medien hätten eine Steigerung der Abrufe verzeichnet, doch Blacklisten der Werbeindustrie verhinderten, dass neben der Online-Berichterstattung über das Corona-Virus digitale Anzeigen erschienen, schreibt Newsworks. Tracy de Groose, Executive Chair von Newsworks, hatte deshalb die Werbeindustrie am 31. März 2020 in einem Offenen Brief dazu aufgefordert: "Bitte entfernen Sie das Wort "Corona-Virus" aus Ihren Blacklisten!"

Ist die Situation in Deutschland ähnlich? Verhindern Brand-Safety-Maßnahmen der Werbungtreibenden, dass News-Publisher von den steigenden Zugriffszahlen profitieren? INTERNET WORLD hat mit Oliver Markus Müller, Leiter Digitale Vermarktung (Interim) bei der Bremer Tageszeitungen AG, über die Folgen der Corona-Krise für das digitale Vermarktungsgeschäft gesprochen. Der Verlag Bremer Tageszeitungen AG gibt den Weser-Kurier heraus.

Das Interesse der Menschen an Informationen über die Corona-Pandemie und an der Krankheit COVID-19 ist sehr groß. Wie hat sich der Zugriff auf Ihre digitalen Nachrichten-Angebote seit Februar 2020 entwickelt?  Oliver Markus Müller: Beim digitalen Medienangebot des "Weser-Kurier" sehen wir seit Februar Rekordspitzen, unter anderem um 552,7 Prozent im Vergleich zu November 2019. Im März blieben die Zugriffszahlen weiter auf hohem Niveau, wenn auch nicht ganz auf dem von Februar.

Oliver Markus Müller ist Interimsleiter Digitale Vermarktung bei der Bremer Tageszeitungen AG

Oliver Markus Müller ist Interimsleiter Digitale Vermarktung bei der Bremer Tageszeitungen AG

Bremer Tageszeitung AG

Machen sich diese erhöhten Zugriffsraten auch im digitalen Anzeigengeschäft bemerkbar?
Müller:
Über unsere nationale Drittvermarktung macht sich das direkt bemerkbar, insbesondere im Mobile-Bereich. Hier verzeichnen wir auf unser AMP (Accelerated Mobile Pages, Anm. der Redaktion) Recommendation-Angebot im März doppelt so viel Umsatz wie im Vormonat Februar.

Im Gesamtangebot konnten wir im März versus Februar eine Umsatzsteigerung von knapp 15 Prozent generieren - mit einem klaren Bezug auf die Reichweitensteigerung. Im regionalen Direktgeschäft ist die Reichweitensteigerung leider kein positiver Einflussfaktor. Die Bewerbung von Messen oder Veranstaltungen entfällt schlichtweg, auch der Einzelhandel (ohne eventuelles Online-Angebot) verzichtet aktuell auf Werbung, ebenso die Gastronomie und Reisebranche. Bislang haben wir es im digitalen Anzeigengeschäft eher mit Verschiebungen als mit Stornierungen zu tun, was erstmal gut für uns ist. Wir hoffen, diese Situation - auch dank der nationalen Drittvermarktung über Ströer - mit einem "blauen Auge" zu überstehen. Aber die Situation zieht natürlich nicht ganz an uns vorbei, doch hier sitzen wir alle im gleichen Boot.

Wie hat die Corona-Pandemie das digitale Anzeigengeschäft verändert?
Müller:
Eine direkte Veränderung sehe ich auf den ersten Blick nicht. Wir haben natürlich schnell und unkompliziert einige Angebote und Pakete für unsere Kunden aufgesetzt. Zum Beispiel war eine unserer Maßnahmen ein Native-Hub mit "virtuellem Veranstaltungsangebot" per Webinar, wenn es auch gleich noch nicht von unseren Kunden zur Umsetzung gekommen ist. Diese Flexibilität und Schnelligkeit sehe ich aber als Voraussetzung im Digitalgeschäft. Mit der EM-Absage oder anderen Events mussten wir zwar umdisponieren, doch hier sind in Folge kreative Ansätze für Kunden und Verlage gefragt.

"Sehe keinen Bedarf an einem generellen Content-Ausschluss"

Newsworks, eine britische Organisation, die die Interessen der Nachrichten-Medien in UK vertritt, hat die Initiative #Backdontblock gestartet. Damit soll Qualitätsjournalismus und die Berichterstattung über COVID-19 unterstützt werden. Newsworks sagt, dass Blacklists beziehungsweise Blocklisten von Werbungtreibenden verhindern, dass Anzeigen im Umfeld der Berichterstattung zur Corona-Pandemie erscheinen. Sehen Sie dieses Problem für deutsche Nachrichtenseiten ebenfalls?
Müller:
Die Herausforderung von Bad Ads ist allgegenwärtig. Beim Weser-Kurier sind wir hier bereits sehr gut aufgestellt und können mit einem Negativ-Targeting oder generell per Redaktionssystem die Werbeplatzierungen auf Artikelebene gänzlich ausschalten. Wir mussten einige Zonen und das technische Setup zwar anpassen, doch nach meiner Einschätzung sind die Verlage gut vorbereitet - insbesondere da es schon seit mehreren Jahren eine Anforderung für die Werbebranche ist.

Werbungtreibende haben ebenso schnell gehandelt und die Kommunikation entsprechend angepasst, ich sehe daher kein Bedarf an einem generellem Content-Ausschluss. Für manche Branchen wie Internet-Provider, Kommunikationsunternehmen, Lieferdienste, Lebensmittel-Einzelhandel oder Videokonferenzsysteme kann gerade dieser Content mit Corona-Bezug eine interessante Werbeumgebung sein. Das hört sich in Anbetracht der Krise und dessen Auswirkung sehr nüchtern an, doch bestimmte Produkte oder Dienstleistungen bieten auch entsprechende Mehrwerte und Unterstützung für Konsumenten. Persönlich verspüre ich auch viel Solidarität in Deutschland, dies wird unter anderem durch Werbeplatzierungen oftmals geäußert.

Newsworks warnt, dass der Verlust für Nachrichtenmedien bis zu 50 Millionen Pfund betragen könne, wenn die Pandemie noch weitere drei Monate dauern wird. Leidet Ihr Unternehmen ebenfalls unter solchen Blacklists mit Ausdrücken rund um die Covid-19-Pandemie und das Corona-Virus?
Müller:
Nein, wir merken hier keine negativen Auswirkungen. Der regionale Direktverkauf ist hiervon nicht beeinflusst und mit Ströer haben wir einen kompetenten Partner in der nationalen Vermarktung.

Newsworks ruft Werbungtreibende dazu auf, das Wort Corona-Virus aus den Blacklisten der digitalen Werbeschaltung herauszunehmen. Was hören Sie aus der Branche, sind solche Blacklists auch für deutsche Medien ein Problem?
Müller:
Wir stehen im Austausch mit Partnern und Verlagen - entsprechende Blacklists sind bislang nicht thematisiert worden. Ich halte dies auch nicht für ausschlaggebend. Wir haben sogar gezielte Anfragen von Werbetreibenden, die mit ihrem Angebot oder mit einer Solidaritätsbekundung innerhalb von Corona-Themen platziert werden möchten.

Rechnen Sie mit einem Rückgang im digitalen Anzeigengeschäft aufgrund der aktuell unsicheren wirtschaftlichen Lage?
Müller:
Ein Rückgang ist zu erwarten und ebenfalls schon in der Geschäftsplanung berücksichtigt. Auch wenn bestehende Online-Buchung bislang nur verschoben wurden, sind Kampagnen, die durch den Corona-Virus ausgeblieben sind, nicht bewertbar. Aktuell plane ich mit einem Umsatzrückgang von 25 Prozent, hier fahren wir jedoch von Monat zu Monat auf Sicht und haben die aktuelle Umsatzentwicklung stark im Blick. Die Folgeauswirkungen, wie zum Beispiel durch ausbleibende Großevents, ausbleibende Werbeerlöse aus dem Reisesektor und generell die wirtschaftlichen Auswirkungen, werden sich letztlich in den Werbeerlösen manifestieren. Generell ist das aktuelle Geschehen für uns alle in Deutschland eine neue, so noch nicht dagewesene Situation, beruflich und privat.

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