
Analyse JTL ERP soll vor Verkauf stehen: Bewertung, Chancen und Risiken
Niederlassung in Hürth
Niederlassung in Hürth
Das alteingesessene Software-Unternehmen JTL-Software steht überraschend zum Verkauf und könnte eine hohe Firmenbewertung erreichen. Eine Analyse von IW-Redakteur Jochen G. Fuchs.
Der auf E-Commerce spezialisierte Software-Anbieter JTL-Software aus dem nordrhein-westfälischen Hückelhoven plant einen Verkauf des Unternehmens, so berichtet Deutsche Start-ups im Podcast Insider. JTL bringt für potenzielle KäuferInnen Chancen und Risiken mit sich.
JTL strebt Firmenbewertung von bis zu 300 Millionen Euro an
Mit dem Verkauf soll von den JTL-Gründern und Eignern Thomas und Janusch Lisson mit Houlihan Lokey ein internationales M&A Unternehmen beauftragt worden sein. Es wird kolportiert, dass das M&A-Unternehmen eine Firmenbewertung in Höhe von 200 bis 300 Millionen Euro aufgerufen hat.
Laut eigenen Angaben hat das 2008 gegründete Unternehmen aus JTL-Software aktuell 50.000 Kunden und 500 Partner sowie 200 Mitarbeiter. Laut Deutsche Start-ups zuletzt einen Jahresumsatz von 25 Millionen Euro und 10 Millionen Ebita.
Was macht JTL-Software?
Die Selbstbeschreibung des Unternehmens erklärt das gut: "Die ERP-Software von JTL organisiert Ihren Onlinehandel in allen relevanten Geschäftsfeldern: Einkauf, Artikel- und Angebotspflege, Verkauf und Multi-Channel-Vertrieb, Bestellabwicklung und Zahlungen sowie Lager- und Versandorganisation. Im Mittelpunkt steht unser Warenwirtschaftssystem."
Neben der On-Premise-Software JTL-Wawi bietet JTL unter anderem noch ein Shopsystem, Kassensystem, Marktplatzanbindung und viele weitere Plugins und Erweiterungen an.
Eine SaaS-Variante der Software existiert nicht, dafür hat JTL die JTL Wawi Cloud gemeinsam mit dem Partner Ecomdata im Angebot: Über einen Microsoft-Windows-Server in der Cloud können Kunden mittels einer Terminal-Server-Anwendung namens CloudAPP-Launcher die Anwendung remote auf ihrem Desktop ausführen.
Potenzielle KäuferInnen würden mit JTL nicht nur eine Software, sondern ein Ökosystem erwerben
Im Podcast zitiert Deutsche Start-ups Venture-Capital-Experten, welche die aufgerufene Bewertung kontrovers diskutieren, mal mit mehr, mal mit weniger Zustimmung. Chancen sehen die Experten im Heben von Kundenpotentialen. Risiken durch die allgemeine Marktsituation, da die E-Commerce-Branche nach der Hochphase in der Corona-Pandemie aktuell als rückläufig betrachtet wird.
Kritisch anzumerken wäre, dass viele Interessentinnen auch auf die potenzielle Zukunft der Software schauen werden. Reine On-Premise-Konzepte gelten als etwas angestaubt und JTL hat kein Saas-Angebot wie oben ausgeführt. Eine Portierung der Anwendung in eine echte SaaS-Umgebung dürfte auf eine teure und langwierige Neuentwicklung hinauslaufen, einer Herausforderung, der ein zukünftiger Eigner mutmaßlich noch gegenüberstehen würde.
JTL verfügt aber über eine breite Kundenbasis und eine umfangreiche Softwarepalette, die das Kernprodukt JTL-Wawi gut ergänzt. Im Prinzip können E-Commerce-Unternehmen mit dem Angebot des Software-Anbieters einen großen Teil ihres Softwarebedarfs decken und über das Ökosystem an Partnern und Plugins erweitern.
Das hauseigene Shopsystem JTL-Shop erreicht in Deutschland im letzten EHI-Ranking der Top-Onlineshops immerhin Platz vier direkt nach Oxid und laut der Software-Datenbank Builtwith sollen über 10.000 Onlineshops in Deutschland das Shopsystem nutzen.
Eine potenzielle KäuferIn würde also mehr erwerben, als nur ein ERP-System. Eher ein komplettes Ökosystem, das viel Skalierungspotenzial bietet. JTL könnte sich für E-Commerce-Unternehmen als attraktiv erweisen, die schon E-Commerce-Software oder Services anbieten und mit einer Übernahme nicht nur ihr Portfolio ergänzen, sondern auch auf einen großen Kundenstamm zugreifen könnten.
Unsere am heutigen Tag um 08:56 Uhr gestellte Anfrage ließ die Pressestelle von JTL-Software bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Wir werden ein Statement gegebenenfalls nachreichen.