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Wütender Mann
Plattformen 27.06.2022
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Kommentar Hate Speech: Warum sich Facebook zum Richter aufspielen muss

Shutterstock / Vincius Bacarin
Shutterstock / Vincius Bacarin

Ein Gerichtsurteil hat Facebook zugestanden, Beiträge von Nutzern zu löschen, auch wenn es dazu keine eindeutige Klausel in den AGB gibt. Was in diesem Fall wirklich kein Schaden war, wirft jedoch grundsätzliche Fragen zur Haftung von Internetanbietern auf.

Zunächst einmal der Fall: Im Jahr 2019 entspinnt sich auf Facebook eine Diskussion über den Sinn und Unsinn von Elterntaxis. Eine Nutzerin merkt an, dass es einen solchen Luxus in ihrer Kindheit nicht gegeben habe. Daraufhin antwortet ein anderer Nutzer: "Da war die Wahrscheinlichkeit aber auch nicht so groß wie heute unterwegs vom Flüchtling gemessert oder vergewaltigt zu werden."

Ich nehme mal an, dass Sie das ähnlich sehen wie ich: Solch volksverhetzender Müll hat im Netz nichts verloren. Facebook sah es ebenso und löschte den Kommentar.

Doch dagegen wehrte sich der Nutzer und klagte. Die Klage ging bis vor das Oberlandesgericht Karlsruhe, das dem Social Network Recht gab (Aktenzeichen 14 U 270/20). Facebook durfte den Kommentar löschen. Es durfte nicht nur, es musste sogar. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kurz: NetzDG – verpflichtet gewerbliche Anbieter von Diskussionsplattformen dazu, aktiv Inhalte zu löschen, wenn sie rechtswidrig sind, zum Beispiel den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen.

Alles gut also? Nicht wirklich.

Warum hatte der volksverhetzende Nutzer überhaupt die Stirn gehabt, gegen die Löschung seines Beitrages zu klagen? Facebook hat eigentlich in seinen Nutzerbedingungen einen Passus, der dem Unternehmen weit reichende Rechte bei der Löschung von Beiträgen einräumt, frei nach dem Motto: „Meine Plattform, meine Regeln“. Doch diesen Passus hatte ein Gericht als unwirksam erklärt, da er die Meinungsfreiheit ungebührlich einschränkt, und darin sah der Hetzer seine Chance.

Schwierige Lage für Plattformen

Das Urteil und seine Begleitumstände zeigen die schwierige Lage auf, in der sich große Diskussionsplattformen befinden (wobei „groß“ relativ ist: 100 Beschwerden im Jahr reichen schon aus, auch Handelsplattformen können darunterfallen). Einerseits dürfen sie sich nicht als restriktive Herren über Inhalt, Geschmack und Tonalität von User Generated Content aufspielen. Das hat zwar unbestreitbar auch sein Gutes, sorgt aber auch für das ungute, populistische Grundklima, das derzeit die Social-Media-Welt bestimmt.

Andererseits verlangt der deutsche Gesetzgeber von den großen Netzwerkbetreibern jedoch, aktiv eine rechtliche Betrachtung von Beiträgen durchzuführen und diese zu entfernen, wenn wachsweich definierte Straftatbestände wie Volksverhetzung oder Beleidigung mutmaßlich erfüllt sind.

Allein die Befürchtung, dass ein Beitrag rechtswidrig sein könnte und dass die Plattform dafür haftbar gemacht werden könnte, führt in der Praxis sicherlich immer wieder dazu, dass eher zu viel als zu wenig gelöscht wird. Und wenn sich die Autoren solcher grenzwertigen Beiträge dann auch noch durch die Instanzen klagen können - was ihnen zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft -, dann ist das Kind endgültig in den Graben gefallen.

Äußerst unscharfe Vorgaben

Zumal die Grenzen der Meinungsfreiheit im deutschen Recht ausgesprochen unscharf markiert sind. So hielt das Kammergericht Berlin in einem Urteil 2019 die Bezeichnungen "Dreckschwein", "Drecks Fotze" und "Stück Scheisse" für die Grünen-Politikerin Renate Künast für rechtlich zulässige Meinungsäußerungen. Erst auf massiven juristischen Druck hin korrigierte das Gericht seine Haltung. Ähnliche Fälle gibt es viele.  

Für ein Privatunternehmen ist es bei solchen unscharfen Vorgaben der Gerichte kaum möglich, einen praktisch gangbaren Weg zu finden zwischen dem, was es zum Schutz der Meinungsfreiheit nicht sperren darf und dem, was es nach den Vorgaben des NetzDG sperren muss. Und der Staat lagert Aufgaben, die er eigentlich selbst erfüllen müsste, an die Privatwirtschaft aus - mit unbefriedigenden Ergebnissen.      

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