
Pokémon Go "Das ist die Stunde der Goldgräber"
Während Experten noch versuchen, den Pokémon-Hype zu erklären, wollen Marketer schon an ihm verdienen. Doch noch fehlen professionelle Strukturen, warnt Wolfgang Thomas von NetzwerkReklame.
Wolfgang Thomas, Inhaber der Hamburger Online-Marketing-Agentur NetzwerkReklame, beschäftigt sich schon seit über zehn Jahren mit In-Game-Advertising. Er sah den letzten großen Gaming-Hype "Second Life" steigen und fallen. Jetzt mahnt er in Sachen Pokémon Go zu mehr Gelassenheit; er sieht den Ball auf Seiten der Entwickler: Erst einmal müsse Niantic professionelle Strukturen für die Vermarktung schaffen.
Herr Thomas, wie erklären Sie sich den weltumspannenden Erfolg von Pokémon Go?
Wolfgang Thomas: Pokémon ist mit weltweit über 200 Millionen verkauften Spielen in den letzten 20 Jahren eine der größten Erfolgsgeschichten der Gaming-Industrie. Der jetzige weltweite Erfolg liegt an der Kombination aus sehr bekannten Figuren mit einem völlig neuen Ansatz: der Übertragung der Spielewelt in die reale Welt mittels Augmented Reality. Wie bei jeder Innovation mischen sich hier grundsätzlich bekannte Elemente wie die Geocaching-Spielidee zu etwas Neuem. Da Pokémons als Spiel-Charaktere bereits weltweit eingeführt sind, sind die Voraussetzungen für eine weltweite Verbreitung günstig.
Haben die Entwickler von Niantic mit diesem Erfolg gerechnet oder wurden sie davon überrascht?
Thomas: Dieses Ausmaß von weltweitem Hype oder, neutraler ausgedrückt, einer globalen Mediensensation kann man meines Ermessens nicht planen. Wer ein neues Produkt lanciert, hofft natürlich auf einen Erfolg, aber jede Form von Kult, Manie oder auch viralem Erfolg ist nicht programmierbar. Allein ein Blick auf Google Trends zeigt, wie extrem der Anstieg des Interesses in den letzten Wochen war. Selbst weltweite Erfolge wie Minecraft oder die Fortsetzung von Star Wars können da als Medienphänomene nicht mithalten.

Google Trends
Wie lang wird der Hype anhalten?
Thomas: Das ist unmöglich zu sagen. Der letzte vergleichbare Hype war der um den 3D-Chat "Second Life", der ab Juni 2006 loslegte, aber bereits Ende 2007 deutlich abflachte. Auch seinerzeit wollten große Marken wie BMW, Mercedes-Benz, Sony und die Deutsche Post möglichst schnell auf den Trend aufspringen. Es gibt zahlreiche Spielideen, die das Publikum über Jahre in immer neuen Variationen fesseln können.
Einige große und kleine Unternehmen haben auf den Hype bereits reagiert und versuchen sich an Pokémon Go-Marketing-Aktionen. Kommt man zu spät, wenn man nicht sofort einsteigt?
Thomas: Es gibt immer einen First-Mover-Vorteil für Marketer, die als Erste den Schlüssel zum Erfolg einer neuen Plattform finden. Nun ist der Anbieter in diesem Fall offenbar so überrascht vom eigenen Erfolg, dass eine professionelle Vermarktung noch nicht aufgestellt ist. First Mover wie T-Mobile oder vielleicht auch McDonald's in den USA, die mit der Einrichtung von Pokestops vom Trend profitieren möchten, investieren nur "Spielgeld". Die enorme Reichweite des Spiels würde sicher auch größere Mediagelder rechtfertigen. Dafür fehlen dann aber wiederum die elementaren Voraussetzungen wie eben Vermarktungsstrukturen mit Planungs- und Targeting-Systemen, um große Kampagnen professionell managen zu können.
Also erst mal Urlaub machen und dann die Marketing-Strategie überarbeiten?
Thomas: Dies ist aktuell sicher auch die Stunde der Goldgräber, die mit dem Hype ein schnelles Geschäft machen möchten. Da Google aber hinter Niantic steckt, müssen wir sicher nicht lange auf professionelle Systeme warten. Abgesehen davon ist Pokémon Go auch eine wunderbare Datensammelmaschine: nun kann Google nicht nur Bewegungsdaten der Android-Nutzer erhalten, sondern auch die Gamer auf iOS lokalisieren. Wenn wir unterstellen, dass das Spiel die Community nachhaltig binden kann, kann man sicher auch erstmal entspannt Urlaub machen und sich in ein paar Wochen mit dem Thema wieder beschäftigen.
Welche Marketing-Aktionen rund um Pokémon Go halten Sie für am sinnvollsten?
Thomas: Das Besondere an Pokémon Go ist ja, dass die Gamer in der realen Welt spielen. Insofern ist das Spiel vor allem für Unternehmen interessant, die Kunden in ihre Filialen locken möchten. Niantic nennt daher Sponsored Locations als zweite wichtige Erlössäule neben dem Verkauf virtueller Güter im Spiel. Wer also mehr Kunden in seinen Laden oder seine Gastronomie bringen möchte, sollte die Entwicklung genau im Auge behalten.
Und darüber hinaus? Für welche Branchen ist Pokémon Go aus Sicht der Markenbildung interessant?
Thomas: Mediaplaner sind normalerweise gewohnt, die Investition in ein Medium auf Basis von harten Daten über Zielgruppen und Reichweiten zu entscheiden. Das war schon immer das große Problem der In-Game-Advertising Szene: Es haben sich keine professionellen Planungsstrukturen etabliert. Einzelne Mobile-Gaming-Anbieter wie Gameloft machen beim Targeting einen guten Job, aber eine echte Studie über Zielgruppen und Reichweiten fehlt. Bei Pokémon Go gibt es erste Zahlen zu den Downloads und zur Verbreitung, aber wie die Zielgruppe genau aussieht, ist noch unklar.
Aktuell sehe ich über meine eigenen Kinder praktisch alle 12 bis 16-Jährige mit diesem Spiel, aber auch im Kollegenkreis finden sich einige um die 30, die Pokémon Go spielen. Marken und Händler aus den Bereichen Lebensmittel, Getränke, Fast Food, Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und Unterhaltung sind wahrscheinlich naheliegender als Werbungtreibende als Finanzen, Automobil oder Dienstleistungen. Aber solange es keine Zielgruppendaten gibt, ist das alles nur Bauchgefühl und wenig valide. Wenn Niantic beziehungsweise Google das Spiel als Werbeplattform etablieren möchte, werden sie sicher bald Daten vorlegen.