
Qualitätsjournalismus im Zeitalter des Highspeed-Internet "Wehleidigkeit bringt nichts"
Welche Rolle spielt der Qualitätsjournalismus in einer Zeit, in der sämtliche Informationen gratis im Web verfügbar sind? Darüber sprach Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart auf der dmexco. Er erklärte, warum Wehleidigkeit nichts bringt und sprach über die revolutionäre Macht des Internet.
Gabor Steingart, Herausgeber des "Handelsblatt" und zuvor langjähriger "Spiegel"-Mitarbeiter, identifizierte auf seiner Keynote zum Thema "Qualitätsjournalismus im Zeitalter des Highspeed-Internet" drei Welten, die die Wirklichkeit von Medienmenschen heute bestimmen: Großartigkeit, Verwirrung und Wehleidigkeit.
Großartigkeit, "weil wir heute vielmehr Menschen erreichen, als wir uns früher jemals hätten träumen lassen." Durch Online-Angebote können Zeitungen und Zeitschriften heute Millionen von jungen Lesern erreichen, während die Printprodukte früher nur von einer elitären Schicht älterer Herren mit Hut gelesen worden seien. Heute gebe es eine regelrechte Explosion von Information, Wissen und Austausch , die dem Qualitätsjournalismus großartige Potentiale eröffne.
Verwirrung, weil den Medienleuten das Geschäftsmodell abhanden gekommen sei. Auslöser der Verwirrung seien aber nicht etwa Newsaggregatoren wie Google, sondern die Verleger selbst. Als "Jahrhundertirrtum" bezeichnet es Steingart, dass die Zeitungen ihre Essays, Kommentare und Reportagen kostenlos ins Netz stellten. Wenn Starbucks oder Volkswagen so gehandelt hätten, wären diese längst Pleite. So sei es "fast ein Wunder, dass wir diese Idiotie überlebt haben", meint Steingart. Es sei doch eine "komische Situation, dass wir uns heute fragen, ob wir für Qualitätsjournalismus zahlen wollen."
Wehleidigkeit, weil viele sich die alte Zeit zurückwünschen, mit ihren treuen Abonnenten, den älteren elitären Herren mit Hut. In vielen Zeitungshäusern werde das Wort "interaktiv" mit "lästig" gleichgesetzt. Viele akzeptierten den Rückfluss von Kommunikation nicht. Früher antiautoritär gesinnte Alt-Achtundsechziger wollten lieber Lehrer des Lesers bleiben, mit dem Zeitungshaus als "Zentrale der Verkündung der ewigen Wahrheit".
Befreiung aus der Unmündigkeit
Die Wurzeln der heutigen Entwicklungen verortet Steingart im Zeitalter der Aufklärung Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als der Philosoph Immanuel Kant von dem "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" sprach. Der Mensch nahm sein Leben in die eigene Hand und wurde zum Erfinder. Das habe zur Industriellen Revolution geführt, "der zweiten Welle der Aufklärung". In der Demokratie sieht Steingart die "dritte Welle der Aufklärung", die aber die Medien noch nicht erreicht gehabt habe.
"Jetzt erleben wir die vierte Welle der Aufklärung" so Steingart. Dabei gehe es um mehr als das Highspeed-Internet. Es gehe um die Entwicklung vom "Ich" zum "Wir". Davon auszugehen, "dass der Leser nicht dümmer ist als wir", sei in einigen Redaktionen noch ein revolutionärer Gedanke. Journalisten sollten diesen Prozess hinnehmen und vorantreiben. Eine Zeitung sei heute nur eine von vielen möglichen Aktivitäten eines Mediums. Auch Veranstaltungen, "Journalismus auf der Bühne", gehörten beispielsweise dazu. Nur ein erweiterter Medienbegriff könne dem Qualitätsjournalismus unter den veränderten Bedingungen gerecht werden.
Um Antworten auf die Frage zu finden, wie sich im digitalen Zeitalter mit Journalismus Geld verdienen lässt, sind zwei junge Journalistinnen auf Weltreise gegangen. Für ihre Reportage besuchten sie sieben Metropolen in fünf Wochen.