
E-Commerce und Fernsehen ProSiebenSat.1: "Mit Medien neues Wachstum schaffen"
Claas van Delden, Geschäftsführer 7Commerce bei ProSiebenSat.1
Claas van Delden, Geschäftsführer 7Commerce bei ProSiebenSat.1
ProSiebenSat.1 setzt auf den E-Commerce: Er soll in der Sendergruppe die Abhängigkeit von Werbeerlösen mindern. Ein Gespräch über Übernahmestrategien und die Zukunft von Fernsehen und Handel.
Für rund 235 Millionen Euro hat ProSiebenSat.1 gerade das schwedische Reiseportal Etraveli übernommen: die bisher größte Übernahme für die Münchner Sendergruppe. Aber sicher nicht die letzte. ProSiebenSat.1 diversifiziert seine Geschäfte, und E-Commerce ist der wichtigste Schrittmacher in die digitale Zukunft. Von heute 640 Millionen sollen die Erlöse der Digitalsparte bis 2018 auf 1,5 Milliarden Euro wachsen.
Neben Reisebüros und Fluganbieter setzt ProSieben daher auf Kosmetik, Accessoires und Mode, auf Möbel und neuerdings auch auf Finanzservices und Preisvergleiche. Claas van Delden, Geschäftsführer der E-Commerce-Sparte 7Commerce bei ProSiebenSat.1, erläutert die Kauf- und Beteiligungsstrategie.
ProSiebenSat.1 hat gerade das Flugreiseportal Etraveli übernommen: Warum gerade dieses Unternehmen?
Claas van Delden: Durch Zukäufe haben wir in den letzten Jahren die Reisesparte 7Travel aufgebaut. Neben Hotelsuche, Mietwagenvermittlung, Pauschalreiseanbieter und anderen Angeboten war hier die Flugsuche noch unterrepräsentiert. Mit dem Investment in diesen unbekannten Champion internationalisieren wir unser bestehendes Reise-Portfolio signifikant. Wir haben den Markt gescreent, und Etraveli ist für uns die beste Investitionsmöglichkeit in Europa.
Warum?
Van Delden: Etraveli arbeitet mit der höchsten Produktivität unter allen Flug-Online-Reisebüros. Die Schweden setzen auf eine eigene Traffic-Strategie und konnten mit Hilfe von Metasuchen die Abhängigkeit von Google deutlich senken und gleichzeitig die Conversionrate steigern. Etraveli bietet attraktive Flugtarife, schafft es aber trotzdem, sich dabei gute Verdienstmöglichkeiten zu sichern. Das ist selten in diesem Markt, auf dem Flugtickets oft zum Einkaufspreis verkauft werden.

Etraveli aus Schweden betreibt 12 Portale, unter anderem Seat 24 und Supersaver, und setzte 2014 damit rund 70 Millionen Euro um.
Wie sind Sie auf Etraveli gestoßen?
Van Delden: Vergangenes Jahr kam es zum Erstkontakt auf einer Tourismusmesse. Etraveli wollte nach Deutschland expandieren, wir haben ihnen dafür ein Media-for-Equity-Geschäft angeboten und während der folgenden Gespräche stellte sich heraus, dass das Unternehmen, das zur Private Equity-Gesellschaft Segulah IV gehörte, verkauft werden sollte. Weil wir das Unternehmen bereits gut kannten, hat die heiße Übernahmephase jetzt nur zweieinhalb Monate gedauert. Das war ein sehr schneller Deal.
Wie passt das Reiseportal zur Strategie von ProSieben?
Van Delden: Hervorragend - weil das Thema Reisen für unsere Zuschauer sehr attraktiv ist und sich daher auch sehr gut im Fernsehen bewerben lässt. Das ist übrigens eine Voraussetzung für alle unsere E-Commerce-Beteiligungen und Übernahmen: Sie bieten massentaugliche Angebote, die durch Fernsehwerbung schnelles Wachstum generieren können. Die Flugsuchmaschine, die Etraveli nun gemeinsam mit uns in Deutschland startet, heißt Überflieger.de. Nicht zuletzt wegen des Rückzugs aus der deutschen Werbelandschaft von Swoodoo aus dem deutschen Markt sehen wir attraktive Chancen in diesem Segment.
Mehr Zukäufe, mehr Verticals
Etraveli und andere Reiseanbieter sind nicht die einzigen E-Commerce-Angebote, an denen sich ProSiebenSat.1 mehrheitlich beteiligt. Was steckt strategisch hinter diesem Interesse am Online-Handel?
Van Delden: Wir möchten so erstens unsere Umsätze aus digitalen Geschäften stärken, E-Commerce ist eine hervorragende Möglichkeit, die Erlöse der Sendergruppe weiter zu diversifizieren. Zweitens sehen wir gerade ein goldenes Zeitfenster, in dem Fernsehwerbung dabei hilft, Wachstum von Digitalgeschäften zu beschleunigen. Heute sitzen Zuschauer vielfach mit einem Smartphone oder Tablet vor dem Fernseher und besuchen sofort die Websites, für die gerade geworben wird. Der frühere Medienbruch ist mit Hilfe mobiler Endgeräte überbrückt, was uns hilft, über TV-Werbung unmittelbar Reichweite für Online-Angebote zu generieren. Das ist besonders interessant im E-Commerce-Segment, wir steigern so Abverkaufsraten. Unser Fokus liegt dabei auf Angeboten, die einen Massenmarkt ansprechen. Ein Nischenprodukt, etwa ein Anbieter, der Extremsport-Touren im Himalaya promotet, wäre mit diesem Modell nicht optimal bedient.
Mit seinen Digitalgeschäften will ProSiebenSat.1 bis 2018 insgesamt 1,5 Milliarden Euro Umsatz jährlich erwirtschaften. 610 Millionen waren es im Jahr 2014, wovon der E-Commerce-Bereich den größten Beitrag leistete. Wie wollen Sie das Wachstum schaffen - durch mehr Zukäufe?
Van Delden: Selbstverständlich werden auch unsere Akquisitionen wie Etraveli oder das Vergleichsportal Verivox zu unseren Wachstumszielen beitragen. Das Schöne ist ja: Wir wachsen in allen Bereichen schneller als geplant. Und das sowohl organisch als auch durch Zukäufe. Den größten Wachstumsanteil wird weiterhin das Commerce- und Travel-Geschäft liefern.
ProSiebenSat.1 hat bereits angekündigt, neben den Themen Reisen und Beauty und Accessoiries weitere Verticals aufzubauen - welche sollen das sein?
Van Delden: Der Online-Vergleich ist ein weiteres Cluster, für das wir bereits Verivox und Preis24 übernommen haben und das wir sicher noch ausbauen werden. Wie bei Beauty, Reise und den anderen Themen, die wir besetzen, sind der Aufwand für Marketing und der Brandingbedarf sehr hoch, denn je stärker die Marke, desto größer der direkte Traffic-Anteil und damit der Erfolg des Portals. Wir haben mit Fernsehwerbung einen unschlagbaren Hebel, Geschäfte schnell wachsen zu lassen. Spannend finden wir übrigens auch den Bereich Fintech. Wir schauen uns daher mit den Kollegen von Seven Ventures auch in diesem Bereich um. Nicht zuletzt helfen uns die Media-for-Equity oder -for-Revenue-Deals dabei, neue Angebote und Services kennenzulernen, im Zusammenspiel mit Fernsehwerbung auszuprobieren und bei Erfolg mehr zu investieren. Unser Ziel: Mit Medien neues Wachstum zu schaffen.
Die Kritik ist immer wieder zu hören: Der Aufbau eigener Handelsaktivitäten oder Marken könnte die Konkurrenz abschrecken, bei ProSiebenSat.1 zu werben. Gerade hat Verizon-Konkurrent Check24 angekündigt, nicht mehr bei ProSiebenSat.1 werben zu wollen.
Van Delden: Wir stellen fest, dass auch andere Marken verstärkt auf TV-Werbung setzen, wenn wir ein Sortiment stärker in der Öffentlichkeit verankern. Beispiel Amorelie - seit wir verstärkt Werbung für Erotik-Lifestyle-Artikel machen, setzen auch Konkurrenten wie Beate Uhse oder Eis.de vermehrt auf Fernsehwerbung. Wir tragen dazu bei, ein komplettes Marktsegment zu beflügeln. Die Warenkategorie als solches ist bekannter und damit auch salonfähiger geworden. In allen Handelssegmenten spielt das eine Rolle, wir können Warenkategorien beleben und das zieht wiederum andere Marken und Konkurrenten an. Letztendlich profitieren alle davon.
Gründer unterstützen statt selbst gründen
ProSiebenSat.1 kauft vor allem zu oder beteiligt sich an Online-Händlern. Warum bauen Sie nicht auch selbst neue Angebote auf, etwa im Bereich Dating?
Van Delden: Wir setzen bei 7Commerce vor allem darauf, uns bei Unternehmen zu engagieren, die bereits Marktreife haben und die wir dann gemeinsam mit den Management-Teams in die nächste Entwicklungsstufe führen. Zugleich hat ProSiebenSat.1 mit Seven Ventures und seinem Accelerator-Programm die Möglichkeit, in frühen Phasen in Start-ups und neue Geschäfte zu investieren. Seven Ventures beschleunigt bereits seit einigen Jahren mit medialer und operativer Unterstützung das Wachstum konsumentenorientierter Unternehmen. Noch eine Stufe früher als Seven Ventures setzt der Accelerator an, ein dreimonatiges Förderprogramm. Hierbei coachen wir Gründer, stellen ihnen unsere Infrastruktur, Kontakte und Services sowie einen Geldbetrag und Medialeistungen zur Verfügung. Im Vordergrund stehen Unterstützung und Kontakte, aber wir entdecken dabei auch Ideen und Geschäfte, in die wir später vielleicht einmal mehr investieren. Ein Beispiel für eine beachtliche Innovation ist etwa das Unternehmen Clark, das den Abschluss von Versicherungen und die Verwaltung vereinfacht, ebenso wie Cashboard, eine rentablere Anlagealternative zum Sparbuch. Cashboard hat sich durch das Accelerator-Programm sehr gut entwickelt und schnell weitere Investoren gefunden.
Welche Kriterien legen Sie bei den Media-for Equity-Deals zugrunde?
Van Delden: Das ist ein typischer Venture Capital-Suchprozess. Wir schauen überall - online und offline. Auf Messen und anderen Veranstaltungen für Gründer suchen wir nach Ideen, von denen wir glauben, dass sie längere Zeit Bestand auf ihren Märkten haben können, achten dabei auf Einzigartigkeit oder Innovationsgrad und natürlich auf das Gründerteam. Wenn diese Kriterien positiv ausfallen und die Perspektiven stimmen, kommen wir ins Geschäft.
Allerdings nutzen Sie solche Deals jetzt auch, um Unternehmen bei der Expansion auf den deutschen Markt zu helfen.
Van Delden: Korrekt. Jawbone oder die Shopping-App Shopkick wurden mit Unterstützung von Seven Ventures durch TV-Werbung in Deutschland bekannt, Fernsehwerbung ist eben das Sprungbrett auf den deutschen Markt. Mit dem neuen Etraveli-Portal Überflieger.de gehen wir es jetzt genauso an. Wir beteiligen uns dabei am Unternehmen oder an seinen Einnahmen. Dabei bieten wir den Firmen nicht nur Reichweite und Medialeistungen, sondern auf Wunsch noch viele weitere Services wie Recruiting vor Ort, Kontakte zu Handelspartnern oder auch Unterstützung bei der Produktion von TV-Spots. Das kommt bei vielen Unternehmenspartnern sehr gut an.
Ein Medienkonzern als Dienstleister in Sachen Personal oder für den Vertrieb. Wie verändert diese Strategie das Unternehmen?
Van Delden: Die Digitalisierung prägt bereits alle unsere Unternehmensbereiche. Als Dienstleister lernen wir, unsere einzelnen Sparten Fernsehen, Inhalte-Produktion und Digital-Geschäfte noch enger zu verknüpfen. Die Frage, wie sich unser Angebot noch optimieren lässt, hat zu einigen neuen integrierten Werbeservices im Fernsehen geführt. Beispiele sind Dauerwerbesendungen wie der Reiseclub von Weg.de in Sat1, die Love-Lounge mit Amorelie oder der Lifestyle-Club mit Flaconi bei unserem Frauensender Sixx. Die Handelssparte profitiert ganz klar von der Bewegtbild-Erfahrung der TV-Sparte. Vor kurzem haben Auszubildende unserer Sender verschiedene Produktvideos für Amorelie produziert. Diese haben unmittelbar die Conversion gesteigert. Analog wäre das auch möglich mit Hotelvideos und anderen Video-Beiträgen. Umgekehrt liefert unser Portal Wetter.com schon seit längerem die Wetterprognosen für die Nachrichtensendungen. Wir haben darüber hinaus 600 HD-Kameras in ganz Deutschland verteilt und sammeln damit Wetterbilder. Das ist toller Video-Content, der uns hilft, unser Inventar auf verschiedenen Plattformen zu vergrößern.
Weg von Werbeerlösen, hin zu Verkauf und E-Commerce
Zeitschriften, die ihren eigenen Shop eröffnen, Fernsehsender, die eigene Handelsaktivitäten aufbauen: Sind Medien eigentlich noch ohne E-Commerce denkbar?
Van Delden: Vom Medienwandel waren zuerst die Verlage betroffen, die sich durch digitale Zusatzgeschäfte wie Leserreisen oder Themen-Shops neue Erlösströme sichern und so Verluste im Kerngeschäft wenigstens zum Teil ausgleichen konnten. Fernsehen hingegen gewinnt durch den Second Screen, das mobil genutzte Internet verstärkt sogar die Werbewirkung von Fernsehwerbung. Nicht zu vergessen: Über technologische Applikationen wie HbbTV, Smart TV und intelligente Connect-Angebote wird das Fernsehen zum digitalen '24/7-Kaufhaus' mit vielfältigen Erlösquellen. Beim Thema Adressable TV stehen wir gerade erst am Anfang der Entwicklung. Wir Fernsehmenschen können daher Synergieeffekte besser als die Print-Kollegen nutzen. Aber ja, es stimmt, in allen Medienbereichen ist es inzwischen zu beobachten, dass die Abhängigkeit vom klassischen Werbegeschäft mit Hilfe von neuen Transaktions- und Handelsgeschäften gesenkt werden soll.
ProSiebenSat.1 rechnet aber ebenfalls damit, dass die linerare Fernsehnutzung trotz neuer digitaler Kanäle langfristig abnimmt. Was sind die Folgen?
Van Delden: Die non-lineare Nutzung wird derzeit überschätzt. 95 Prozent der gesamten TV-Nutzungsdauer entfällt aktuell auf lineares TV. In Deutschland werden der lineare und der digitale Fernsehkonsum noch lange nebeneinander bestehen können, was nicht zuletzt an dem hochwertigen Free-TV-Angebot, aber auch am Angebot der Öffentlich-Rechtlichen liegt. Wer hier zappt, findet immer irgendwas zum Angucken, in den USA würde er meist nur auf Dauer-Werbung und billigen Talktrash stoßen. Das wirkt sich dort bereits auf die Fernsehnutzung aus, On-Demand-Angebote wie Netflix profitieren davon. In Deutschland haben die linearen Sendeschemata ganz offensichtlich Bestand. Zu beobachten ist aber, dass sich auch hierzulande die Mediennutzung ausdifferenziert, wir haben daher eigene Spartenkanäle wie Sixx, ProSieben Maxx oder Sat.1 Gold gegründet und können jetzt zielgerichteter Werbebotschaften an Konsumenten bringen. Das Thema Einrichtung ist beispielsweise sehr stark durch eine weibliche Zielgruppe geprägt, wir beobachten daher gute Werbeeffekte für unser Portal Moebel.de auf Sixx.
Wo steht ProSiebenSat.1 in fünf oder zehn Jahren?
Van Delden: Im Nukleus steht unser TV-Geschäft, daran wird sich nichts ändern. Auf diesem starken und soliden Fundament fußt unser Wachstum. Es gibt uns die Kraft, unser Unternehmen zu einem digitalen Entertainment und E-Commerce Powerhouse auszubauen. Und daran arbeiten wir mit Hochdruck. Im E-Commerce-Bereich werden die Handelsangebote künftig einen viel größeren Raum einnehmen. Noch immer findet in vielen Segmenten eine Verschiebung von offline zu online statt. Nehmen Sie Travel als Beispiel: Im Jahr 2015 werden immer noch unter 30 Prozent der Pauschalreisen online gebucht. Wir gehen davon aus, dass dieser Anteil mittelfristig auf über 50 Prozent wachsen wird. Ein enormes Potenzial. Und betrachten wir das Fernsehen, so wird das Zusammenspiel zwischen linearem TV und digitaler Reichweite noch enger werden. Online-Mediatheken und Multi-Channel-Networks werden an Bedeutung gewinnen und die lineare Nutzung ergänzen. Kurzum: Die Kraft des bewegten Bildes ist ungebrochen. Was sich ändert, sind die Darreichungsformen. Für uns wird es darauf ankommen, dass wir die Nutzer dort abholen, wo sie gerade sind.