
Expert Insights Programmatic Advertising: So weit sind die einzelnen Kanäle wirklich
Pünktlich zur dmexco wird und muss Programmatic wieder zu einem der wichtigsten Themen des Jahres gehören. Aber wie weit sind wir wirklich, wenn es um programmatische Echtzeitwerbung in verschiedenen Medien geht?
Programmatic Advertising macht inzwischen 32 Prozent der Display-Werbung aus (OVK) und setzte allein im ersten Halbjahr 258 Millionen Euro und damit 51 Prozent mehr als im Vorjahr um (BVDW). Die Zahlen sind noch ganz frisch, zeigen aber eines: Wer Programmatic noch nur für einen Hype hält, sollte sich nicht zuletzt aufgrund dieser Zahlen eines Besseren belehren lassen. Kaum eine andere Neuerung im Marketing hat die Branche derart verändert wie Programmatic Advertising - bisher vor allem online, künftig aber verstärkt auch in anderen Medien wie Out-of-Home, TV oder Radio. Was ursprünglich mit der Automatisierung des Media-Einkaufes begann, um bisher nicht vermarktetes Inventar für Standardwerbeformate über Realtime-Bidding zu verkaufen, hat innerhalb kürzester Zeit die Art und Weise, wie wir Marketing betreiben, massiv verändert.
Der eigentliche Fortschritt von Programmatic Advertising - und hier zeigt sich erst die "wahre Revolution" - liegt in der Auslieferung von Werbemitteln auf Basis von Nutzerinteressen in Echtzeit. Dieser Live-Ansatz bietet die Chance, Trends im Nutzerverhalten zu erkennen und in der werblichen Ansprache darauf zu reagieren. Das betrifft sowohl die Zielgruppen-Definition als auch die grafische und textliche Gestaltung. Programmatic eröffnet unserer Branche ein Füllhorn an Möglichkeiten, bestehende und potenzielle Kunden zu finden, sie basierend auf ihren Interessen und ihrem Verhalten zu erreichen und - hier steckt der echte Mehrwert - über die gesamte Costumer Journey hinweg bis hin zur Conversion zu begleiten.
Daten und technologische Kapazitäten
Um einen echten Mehrwert generieren zu können, brauchen Werbetreibende zum einen Daten - je hochwertiger und aktueller desto besser - und zum anderen die technologischen Kapazitäten, um die Datenmengen zu analysieren, relevanten Informationen und Muster herauszufiltern und letztlich für das Marketing nutzbar zu machen. Ein Prozess, den ein Mensch allein nicht stemmen kann. Eine Maschine aber auch nicht, wohlgemerkt. Es geht um die Kombination aus Mensch und Maschine, um die Potenziale zu heben. Um in die Tiefen der Daten einzutauchen, ist technologische Unterstützung in Form von ausgereiften Algorithmen und enormer Rechenleistung unabdingbar. Diese erkennen im Verhalten von Millionen Internetnutzern Muster, gleichen sie in Sekundenbruchteilen mit bestehenden Userprofilen ab und entscheiden, welcher Nutzer in genau dieser Sekunde zur Zielgruppe gehört und deshalb am wahrscheinlichsten empfänglich für eine Werbebotschaft ist.
Bezogen auf Programmatic befinden wir uns in Deutschland in einer Umbruchphase: Immer mehr Marketingentscheider befassen sich mit dem Thema, testen und experimentieren mit verschiedenen Optionen - um den passenden Fit für ihr Unternehmen zu finden. Publisher optimieren ihr Inventar auf Programmatic, wir diskutieren Qualitätsmerkmale und definieren Standards. Insgesamt wird die Diskussion um qualitative Werbung mittlerweile auf einem deutlich höheren Niveau geführt. Hier ist in den vergangenen zwölf Monaten enorm viel passiert. Pünktlich zur dmexco wird und muss Programmatic wieder zu einem der wichtigsten Themen des Jahres gehören. Aber wie weit sind wir wirklich, wenn es um programmatische Echtzeitwerbung in verschiedenen Medien geht? Im Digitalen sicher am weitersten; TV, Outdoor und Radio fahren erste Tests; alle anderen Mediengattungen sind noch komplett außen vor - auch, weil analoge Medien für den Handel über Programmatic schlicht und ergreifend nicht gemacht sind.
Die einzelnen Kanäle: Display und Fernsehen
Unbestritten ist die mittlerweile große Professionalisierung der Display-Werbung. Neben Standardformaten werden auch zunehmend Video, Mobile, Native Advertising und auch Social Media Advertising programmatisch gehandelt. 2016 ist das Jahr, in dem Programmatic in fast allen digitalen Kanälen fest etabliert sein wird. Mit Technologien, die die Identifikation von Nutzerinteressen - auch schon zu Beginn der Customer Journey - sowie die gezielte Nutzeransprache in Echtzeit ermöglichen, haben wir eine wichtige Basis geschaffen, um Programmatic überhaupt kennenzulernen. Die Branche wird mutiger, testet mehr und geht den nächsten Schritt. Im Fall digitaler Werbung ist das der Wandel von reinen Performance- hin zu ergänzenden Branding-Ansätzen.
Die voranschreitende Digitalisierung öffnet jedoch auch weitere Medienbereiche für Programmatic Advertising. Die nahe Zukunft gehört meiner Meinung nach dem TV. Auf dem Weg zum "adressable TV" setzen digitale Anbieter wie Netflix oder YouTube schon lange auf Programmatic Advertising. Doch auch in der Ausstrahlung klassischer TV-Spots brechen für Sender neue Zeiten an. Mit aktuell etwa 20,1 Millionen Smart TV-Geräten in deutschen Haushalten (Statista) sind die technologischen Voraussetzungen für die Umsetzung programmatischer Kampagnen längst geschaffen.
Der TV-Empfang über das Internet macht die Aussteuerung via AdServer theoretisch möglich, allerdings wagen erst wenige deutsche Sender den Schritt ins "Programmatic-Neuland". Darunter etwa ProSiebenSat.1.
Die Mediengruppe gehörte im vergangenen Jahr zu den Vorreitern für adressable TV und realisierte über SevenOne Media mit der neuen Sonderwerbeform "SchwitchIn" eine Kampagne für Daimler - speziell für internetfähige Connected-TV-Geräte. In dem Moment, in dem Zuschauer einen der ProSiebenSat.1-Sender einschaltete, legte sich ein digitales Banner über das lineare TV-Programm, unabhängig vom Werbeblock.
Über Regiotargeting konnte diese Sonderwerbung auch gezielt in bestimmten Ballungsräumen ausgespielt werden. Versuche wie diese zeigen, dass auch TV entsprechendes Potenzial birgt, um Werbung adressierbar zu machen, indem mehrere Faktoren mit einbezogen werden, statt Spots einfach nur platt an eine breite Masse auszuspielen. Doch das ist sicher erst der Anfang.
DooH und Radio
Schon etwas weiter sind hier die Vermarkter digitaler Out-of-Home-Angebote (DooH). In Sachen Digitalisierung von Offline-Kanälen haben bereits einige interessante Ansätze den Markt erobert - QR-Codes auf Plakaten oder die Entwicklung von Beacons oder NFC, um nur einige zu nennen. Mit der ersten programmatischen Kampagne legte Ströer vor wenigen Monaten nun den Grundstein für Programmatic Advertising im DooH. Für den Kunden Moovel verknüpfte Ströer sein Public-Video-Netzwerk mit der Einkaufsplattform AOD von Vivaki und ließ je nach Wetterlage und Zeit verschiedene Werbebotschaften auf etwa 100 Screens in Hamburg ausspielen. Versuche wie diese zeigen, dass auch DooH mit Optionen experimentiert, über Trigger wie Wetter und Zeit einen Echtzeitbezug herzustellen - dieser ist jedoch derzeit noch eher "live on tape" als "live“. Auch eine personalisierte Ansprache ist nur auf einer breiten Zielgruppensegmentierung möglich, da nicht der einzelne Nutzer, sondern das Umfeld und die Umstände (zum Beispiel Wetterlage, geografischer Standort, Uhrzeit) das Targeting beeinflussen.
Im Radio ist eine "Programmatische Massenbewegung" erst einmal nicht zu erwarten. Streaming-Dienste wie Spotify und Co sowie Web-Radio haben es deutlich einfacher, programmatisch zu werben: das Audio-Signal wird digital ausgestrahlt und User sind aufgrund ihrer IP-Adresse individuell erkennbar - und so Programmatic Advertising nach den Grundregeln der Digitalwerbung einfach umsetzbar. Ein Prozess, der in dieser Form für UKW-Kanäle und DAB+ nicht machbar sein dürfte. Natürlich finden wir auch hier First Mover, die an entsprechenden Lösungen arbeiten - hier sei der Dienstleister Adremes zu nennen, der einen automatisierten Werbehandel mit 50 lokalen UKW-Sendern in Bayern testet - , aber mehr als eine Nische sehe ich hier derzeit nicht.
Mein Fazit
Programmatic ist kein Hype und war auch nie ein Hype, sondern hat die Marketing-Branche weltweit revolutioniert und ist gekommen, um zu bleiben. Die Reise in die Welt von Programmatic hat für uns jedoch gerade erst begonnen. Vor uns liegt eine Vielzahl an Optionen, Nutzer nicht nur auf der Basis ihrer Interessen zu clustern, sondern siegezielt mit den Botschaften anzusprechen, die wirklich relevant sind - und das - mittelfristig - in fast allen Mediengattungen. Während wir in Segmenten wie Digital oder auch TV und dOoH bereits über Technologien und eine sehr gute technologische Grundlage verfügen, benötigen andere Bereiche wie Radio noch etwas mehr Zeit, um sich zu entwickeln. Hier ist die dmexco als Leitmesse für unsere Branche ein wichtiger Impulsgeber für das, was wir in den kommenden Monaten erwarten dürfen und natürlich die ideale Plattform für spannende Diskussionen.