
Interview mit Björn Schäfers, Neoma Wie Commerce-Unternehmen an frisches Kapital kommen
Björn Schäfers leitete fünf Jahre lang die Otto Group Digital Solutions GmbH bevor er das Beratungsunternehmen Neoma gründete.
Björn Schäfers leitete fünf Jahre lang die Otto Group Digital Solutions GmbH bevor er das Beratungsunternehmen Neoma gründete.
Commerce-Unternehmen können mithilfe von Revenue Based Financing und Venture Debt frisches Kapital jenseits von Bankkrediten und reinem Wagniskapital bekommen. Björn Schäfers von Neoma erläutert die Instrumente und deren Vorteile.
Zwei in Deutschland noch relativ junge Finanzierungsformen sind Revenue Based Financing und Venture Debt. Beide können Commerce-Unternehmen helfen, frisches Kapital jenseits von Bankkrediten und reinem Wagniskapital zu beschaffen. Björn Schäfers, Mitgünder und Geschäftsführer der M&A-Beratung Neoma, erläutert die Instrumente und deren Vorteile.
Herr Schäfers, seit einiger Zeit taucht bei Finanzierungsfragen der Begriff Reveue Based Financing auf. Was verbirgt sich dahinter?
Björn Schäfers: In Deutschland und Europa ist der Begriff tatsächlich erst in jüngster Zeit aufgetaucht, in den USA kursiert er schon länger. Eine umsatzbasierte Finanzierung orientiert sich bei den Rückzahlungen des Darlehens an den Umsätzen der Zukunft. Konkret bedeutet das: Ein Unternehmen kann sich zum Beispiel ein bis drei Monatsumsätze leihen und diesen Betrag binnen zwölf Monaten zurückzahlen, indem monatlich zwischen fünf und 15 Prozent des Umsatzes an den Geldgeber fließen. Damit ist die Rückzahlung flexibler. Fällt der Umsatz in einem Monat geringer aus, fließt weniger zurück, ist er höher, bekommt der Geldgeber mehr. Möglich sind natürlich auch höhere Summen wie etwa sechs oder mehr Monatsumsätze, die über bis zu fünf Jahre getilgt werden.
Welche Vorteile hat das?
Schäfers: Die Mittel sind extrem schnell verfügbar. Während Banken meist vier bis sechs Wochen brauchen, um einen Kredit zu bewilligen, steht hier die Summe oft schon binnen 24 Stunden zur Verfügung. Das geht, weil die Anbieter solcher Finanzierungen sich vom Unternehmen den Zugang zu den Unternehmens-Analytics geben lassen, also zum ERP-System oder dem Marketing-Tracking. Damit haben sie Zugriff auf die Kostenstruktur und die Umsatzzahlen und errechnen ein Angebot. Auf diese Weise kommen auch Unternehmen an Kapital, die sonst keines bekommen - sei es, weil es für einen Venture Capitalist zu uninteressant ist oder weil es zu jung oder zu klein ist, um gegenüber einer Bank kreditwürdig zu sein. Außerdem hat es den Vorteil, dass man keine Unternehmensanteile abgeben muss.
Und der Nachteil?
Schäfers: Die Zinsen liegen ein Stück über denen eines klassischen Bankkredits, es ist also teurer.
Für welche Unternehmen kommt Revenue Based Financing in Frage?
Schäfers: Vor allem für solche, die wiederkehrende Umsätze haben, wie Abo- oder Software-as-a-Service-Modelle. Aber auch für E-Commerce-Anbieter oder andere junge Unternehmen ohne genügend Eigenkapital kann eine solche Finanzierung geeignet sein, beispielsweise zum Auffangen saisonaler Spitzen oder zum Überbrücken zwischen zwei Finanzierungsrunden. Die Summen hängen stark vom Umsatz und der Margenhöhe ab, auch sieben- oder in Ausnahmefällen achtstelligen Summen sind möglich.
Welche Firmen bieten solche Finanzierungen an?
Schäfers: Dazu gehören Clearco, Capchase, Wayflyer, Uncapped und auch die beiden deutschen Unternehmen ReCap und Banxware.
Venture Debt
Eine weitere, recht junge Finanzierungsform ist Venture Debt. Was versteht man darunter?
Schäfers: Bei Venture Debt gewähren spezielle Venture Debt Fonds oder Banken ein Darlehen. Im Gegensatz zu Revenue Based Financing ist die Tilgung konstant, auch wenn das Unternehmen weniger Umsatz macht. Teilweise behalten sich die Anbieter sogar ein Sonderkündigungsrecht vor, wenn sich die Zahlen nicht wie erwartet entwickeln. So etwas kann im schlechtesten Fall zur Insolvenz führen. Außerdem halten sich die Geldgeber oft die Option offen, später Anteile an den Unternehmen zu übernehmen. Damit müssen die Gründer einen Teil der Kontrolle über ihr Unternehmen abgeben. Der Vorteil ist auch hier, dass Unternehmen auf diese Weise an Kapital kommen, die sonst keines erhalten würden. Allerdings sind die Zinsen ebenfalls relativ hoch.
Für welche Unternehmen ist Venture Debt geeignet?
Schäfers: Tatsächlich ist es ein relativ kleiner Kreis an reiferen Start-ups, die schnell wachsen. Die meisten Venture Debt-Anbieter vergeben nur Darlehen an Start-ups, in die bereits Venture Capitalists investiert haben und die bereits eine gewisse Größe und Cashflow nachweisen können. Dann allerdings ist es eine sinnvolle Option, etwa auch als Zwischenfinanzierung in einer Übergangsphase.
Können Sie auch hier einige Anbieter nennen?
Schäfers: Da sind zum Beispiel die Silicon Valley Bank, die European Investment Bank, Kreos Capital, Bootstrap Europe und Global Growth Cap.
Welche Optionen haben Händler noch?
Schäfers: Oft übersehen werden die Investitionsförderbanken, die jedes Bundesland hat, etwa die Investitionsbank Schleswig-Holstein oder die NRW.BANK in Nordrhein-Westfalen. Diese vergeben auch Gelder an Technologiefirmen und E-Commerce-Unternehmen, die keine herkömmliche Bankfinanzierung erhalten. Sie stellen oft sogenanntes Mezzanine-Kapital zur Verfügung, das ist eine Mischung aus Eigen- und Fremdkapital. Und sie sind in ihren Vergabekriterien oft weniger streng als klassische Banken. Daneben besteht immer auch die Möglichkeit, einen strategischen Investor zu suchen, der nicht nur Kapital mitbringt, sondern vielleicht auch Know-how oder Reichweite oder einen Marktzugang.
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