
Zahlenspiele Marktzahlen-Analyse: D2C ist kein Ponyhof
D2C wächst schneller als alle anderen Digital-Commerce-Kanäle in Deutschland, ist aber im Vergleich mit den USA noch immer um den Faktor 3 kleiner. Zeit, einmal die verschiedenen Zahlen, Faktoren und teilweise widersprüchlichen Trends unter die Lupe zu nehmen.
Von Ralph Huebner, Team D2C-Radar
Endlich gibt es diskussionsfähige Zahlen zur Entwicklung des D2C-Geschäfts. Sowohl für den deutschen als auch den US-amerikanischen Markt liegen uns Zahlen vor, wie sich das Direkt-Geschäft der Brands durch die Pandemie hinweg entwickelt hat. Und für die USA haben wir (von eMarketer) auch Breakdowns nach etablierten Marken versus D2C-Brands sowie Prognosewerte für die kommenden zwei Jahre. Das ist insofern spannend, da uns die USA in Sachen D2C bekanntlich etwa drei bis fünf Jahre voraus sind. Oder sollte man sagen, voraus war? Hat uns die Pandemie im deutschen D2C-Markt bereits weit nach vorne geboostert? Und wie geht es demnächst im D2C weiter? Aber der Reihe nach.
Bevor wir zu den US-Zahlen und v.a. Prognosen kommen, richten wir den Blick auf den deutschen Markt. Wo stehen wir heute? D2C-Umsätze machen im gesamten deutschen E-Commerce nach neusten bveh-Zahlen etwa drei Prozent aus. Das klingt erst einmal nach Homöopathie. Nach D2C in sehr kleinen Kinderschuhen.

D2C in Deutschland: klein, aber oho
bevh
Bevor sich jetzt aber alle pandemieaufgescheuchten D2C-Zauderer wieder beruhigt hinlegen, sollte man auf den zweiten Teil der Zahlenmagie achten. Denn D2C ist mit 25 Prozent Wachstum der mit Abstand am stärksten wachsende Digital-Kanal.

Sowohl in den USA als auch in Deutschland gab es im ersten Pandemiejahr einen deutlichen Ausschlag nach oben.
bevh 2022, eMarketer 2021
Der Grafik lässt sich entnehmen, dass - welch Überraschung - das D2C-Business in Deutschland bereits vor der Pandemie mit rund 25 Prozent gewachsen ist und damit zirka doppelt so schnell wie der Gesamt-E-Commerce (in grau). Sowohl in den USA als auch in Deutschland gab es im ersten Pandemiejahr 2020 mit rund 45 Prozent Wachstum einen deutlich Ausschlag nach oben, der sich aber bereits 2021 wieder zurückpendelte auf Vorniveau. Warum? Marken sahen sich schlichtweg gezwungen, ins D2C-Business einzusteigen, nachdem die stationären Geschäfte 2020 monatelang geschlossen und auch Amazons Läger für viele Warengruppen dicht“ waren. Ein Teil dieses D2C-Umsatzes wurde sicher nur "notgedrungen" erwirtschaftet und dieser "schlechtere" D2C-Anteil ist im vergangenen Jahr schnell wieder in andere Kanäle zurückgewandert.

Das amerikanische D2C-Business ist um den Faktor 3 größer als das deutsche.
eMarketer, bevh
Mickrig anmutende drei Prozent
Neben den sehr hohen Wachstumsraten gibt es noch einen weiteren Aspekt, der die mickrig anmutenden drei Prozent D2C-Marktanteil in ein anderes Licht rückt. Und das ist die Tatsache, dass es im E-Commerce nicht so einfach ist mit der Zuordnung der Umsätze nach Kanälen. Im traditionellen Business war es meist klar: Entweder die Umsätze stammen aus dem Fachhandel, vom Discounter, von der Großfläche oder einem sonst klar abgrenzbaren Kanal. Im E-Commerce und D2C-Business sind die Customer Journeys wesentlich verschlungener und komplexer. D2C findet auf vielen Wegen statt - auch durch die Pforten von Social Media und Marktplätzen. Das sind dann keine pure D2C-, sondern indirekte D2C-Umsätze, welche die Brands vor allem über den Amazon Marketplace realisieren.
Diese Unterscheidung beziehungsweise dieser Teil der Marktanteilsformel ist wichtig, will man das gesamte D2C-Phänomen erfassen und korrekt beschreiben. Leider hat sich noch niemand die Mühe gemacht, herauszurechnen, welchen Anteil die D2C-Brands am GMV des Amazon Marketplace haben. Und das bringt uns zur Frage, ob wir hier die Umsätze der FBA-Brands, die (bislang) quasi nur auf dem Amazon Marketplace existieren, dazuzählen sollten. Hierunter fallen dann auch die aggregierten Umsätze von Thrasio, Seller X, Stryze und Co. Hier sprechen wir schnell von Milliarden-Umsätzen.
Keine echten D2C-Brands
Nach strenger Lesart unseres D2C Radars sind diese FBA-Brands zwar nur "Plattform-Marken" und keine echten D2C-Brands. Aber im Kontext der Marktanteilsdiskussion gehören sie ganz sicher eher zur D2C-Seite der Marktverschiebung. Auch die FBA-Brands fressen sowohl den Online-Händlern als auch den etablierten Markenherstellern Marktanteile weg.
Zur Erinnerung: Amazon vereint irgendetwas um die 40 Prozent des E-Commerce-Marketes auf sich, davon wiederum entfallen ca. 60 Prozent auf den Marketplace. Ein beträchtlicher Teil dieses Milliarden-Marktes wird von FBA- und D2C-Brands gemacht, bekanntlicherweise in nicht geringem Umfang von chinesischen Anbietern, die ohne Amazon kaum den direkten Weg zum Endkunden gefunden hätten und partiell ganze Warengruppen (Kopfhörer, Ladekabel, etc.) absorbieren.
Der Anteil der "FBA-Marken“, die sowohl auf Amazon Umsätze genieren als auch außerhalb, nimmt dabei seit Jahren deutlich zu.

Marketplacepulse 2022
In den USA steht stellvertretend für diese "anderen Umsätze" Shopify (manche sagen auch "Shopifycation"). Die Anzahl der Shopify-Merchants respektive D2C-Shops wuchs stetig, erfuhr in 2020 aber einen regelrechten Katapulteffekt.

Das Wachstum der Shopify-Shops ist beeindruckend.
https://backlinko.com/shopify-stores 2021
Webshops ins Netz zu stellen, ist das eine, Umsatz generieren das andere. Das über Shopify abgewickelte Umsatzvolumen (GMV) ging mit Beginn der Pandemie dann tatsächlich deutlich über die vorher gezeichnete Wachstumskurve. Der Anstieg der Kurve wirkt womöglich nicht so steil, wie es die Zahl +10 Milliarden US-Dollar dann aussagt.

Das über Shopify abgewickelte Umsatzvolumen (GMV) ging mit Beginn der Pandemie dann tatsächlich deutlich über die vorher gezeichnete Wachstumskurve.
Marketplacepulse 2022
Aber zur Wahrheit gehört auch: dies ist bislang ein fast rein amerikanisches Phänomen, wie die nachfolgende Grafik zeigt:

Shopify boomt vor allem in den USA.
Marketplacepulse
Die eben beschriebene Relevanz der D2C-Umsätze über die Marktplätze ist in Deutschland wahrscheinlich noch mehr von Bedeutung als in den USA. Aus zwei Gründen. In Deutschland wagen es die meisten Markenhersteller noch immer nicht, direkt mit einem Webshop und (aggressivem) Pricing gegen ihre eigenen Händler anzutreten. Nicht wenige tun es aber sehr wohl mittels Seller-Account, verdecktem Dienstleister oder separater Verschleierungs-GmbH auf Amazon.
Der zweite Grund ist, dass ein großer Teil der uns bekannten D2C-Brands und Markenhersteller dann auch deutlich mehr Umsatz über die Marktplätze wie Amazon, Zalando oder eBay realisiert als durch die eigenen Kanäle wie den Webshop. Die Relation liegt nicht selten bei Faktor 1,5 bis 2,0 zu 1. In Zahlen: für jeden Webshopumsatz-Euro macht eine Marke auf den Marktplätzen 1,5 bis 2,0 Euro. Hier wirkt schlicht das Gesetz der Plattformökonomie.
Vorläufige Zusammenfassung
Wir fassen fürs Erste zusammen: In Deutschland ist der pure D2C-Anteil noch sehr gering, die D2C-Umsätze stecken aber vor allem auch in den wachsenden Marktplatzumsätzen. Viele Marken erreichen mit ihrem D2C-Ansatz in Summe bereits zweistellige Umsatzanteile. Am auffälligsten ist jedoch die hohe Wachstumsrate (25 Prozent) in Deutschland. Hier lässt sich ablesen, dass viele Markenhersteller - und dies nicht erst oder gar nur wegen Corona - investieren und den direkten Weg zum Kunden suchen.
Es gilt schließlich nicht nur den Umsatzanteil am E-Commerce (14 Prozent) in den USA aufzuholen, sondern vor allem einer zu großen Abhängigkeit von Marktplätzen (read: Amazon) sowie der hereinbrechenden Post-Cookie-Ära vorzubeugen. Heißt: Alle Marken, die nicht zeitnah einen direkten Zugang zum Endkunden aufbauen (im Marketing-Sprech: First Party Data-Strategie), werden es später ungleich schwerer haben, ein nachhaltiges D2C-Business zu entwickeln.
Vorreiter USA und die Zukunft des D2C-Business
Klar, nicht alles, was in den USA in Sachen Digitalisierung und E-Commerce passiert ist besser oder wird zwangsläufig so auch bei uns eintreten. Bei viele Themen liegt uns auf der Zunge "hoffentlich nicht". In Punkto D2C ist es aber zweifelsfrei so, dass der D2C-Trend und viele seiner Schwestern (Social Commerce, Investoren-Gelder, etc.) aus den USA zu uns herüberschwappt(e).
Zur Einstimmung und ersten Orientierung wollen wir uns eine Prognosezahl in Erinnerung rufen, die vor rund vier Jahren wie ein Paukenschlag wirkte (in den USA). Oliver Wyman und einige Institute in den USA (etwa Iab) postulierten bereits deutlich vor der Pandemie, dass D2C-Brands in vielen Branchensegmenten bis zum Jahr 2025 bis zu 25 Prozent Marktanteil (in Worten: EIN VIERTEL DES MARKTES) erreichen werden. Das bedeutet, Newcomer-Brands fressen sich tief ins Fleisch der bisherigen Marktstrukturen. Und sie tun das sowohl über ihre eigenen Webshops und Apps als auch über Marktplätze und Social Commerce.
In den USA ist man wahrscheinlich in einigen Nischen schon auf sehr gutem Wege zu dieser Zahl, denn der pure D2C-Umsatz erreicht dort mit rund 130 Milliarden US-Dollar Umsatz bereits jetzt 14 Prozent des gesamten US-E-Commerce-Marktes.

Der pure D2C-Umsatz erreicht in den USA mit rund 130 Milliarden US-Dollar Umsatz bereits jetzt 14 Prozent des gesamten US-E-Commerce-Marktes.
eMarketer
Die beeindruckendere Zahl ist jedoch, dass von diesen 130 Milliarden US-Dollar knapp ein Viertel von den D2C-Brands (eMarketer nennt sie Digitally Native Brands) getätigt wird.

Das Wachstum der D2C-Brands in den USA ist linear, die Marktanteile sind stabil.
eMarketer
Die D2C-Umsätze der etablierten Markenhersteller wuchsen und wachsen gemäß eMarketer nahezu im Gleichschritt mit den D2C-Brands, sprich die prozentuale Marktaufteilung bleibt stabil.

eMarketer
Diese Zahlen und Prognosen werfen einige Fragen auf. Warum wächst in der USA-Prognose D2C nicht mehr schneller als der E-Commerce (beide circa 16 bis 17 Prozent). Warum wachsen die D2C-Brands, gewinnen aber keine Marktanteile mehr und wer ist hier dann eigentlich der Verlierer?

Warum wachsen die D2C-Brands, gewinnen aber keine Marktanteile mehr und wer ist hier dann der Verlierer?
eMarketer
Es ist nachvollziehbar, dass der Marktanteil der D2C-Brands in 2020 vorübergehend auf 24,2 Prozent zurückging. Die etablierten Marken mussten auf D2C umstellen und das machte sich für sie positiv bemerkbar. Eine Vielzahl von D2C-Initiativen wurden gestartet, in den USA ebenso wie in Deutschland, von großen Brands ebenso wie von Mittelstand und KMUs.
All diese Initiativen sorgen perspektivisch zwar für Wachstum, aber nur linearer Art. Dass die D2C-Bäume hier nicht für jeden in den Himmel wachsen, könnte an zwei Gründen liegen. Erstens saugen die großen Marktplätze sowie die großen, spezialisierten Online-Händler viel Marktvolumen ab. Zweitens wird der Wettbewerb im D2C-Business durch die Vielzahl an Angeboten immer härter. Im heutigen Aufmerksamkeits- sowie Suchmaschinenwettbewerb sind die Plätze an der Sonne schon spürbar umkämpft. Tausende D2C-Brands wetteifern auf den verschiedenen Sales- und Marketingkanälen mit den etablierten Marken. In vielen Branchen sind es dann eben nicht mehr 10 oder 20 Marken sondern Hunderte in einem "Relevant Set" – heutzutage bereits in Segmenten wie Kosmetik oder Nahrungsergänzungsmittel zu beobachten.
Let’s face it
Es war noch nie so einfach im Consumer-Segment, eine Marke zu launchen und zugleich war es wohl noch nie so schwer, eine Marke groß zu machen. So leicht, weil der Zugang landes/europaweit (!!!) zu den Konsumenten möglich wurde (ohne teure und aufwendige Handelsplatzierungen). Das Groß-Machen hingegen wird schwerer (trotz Investoren-Gelder), weil man eben nicht mehr mit ein paar TV-Spots und einer führenden Handelskette in alle Zielgruppen vorstoßen kann. Die Zielgruppen, Marketing- und Vertriebskanäle sind heute viel fragmentierter, bedürfen wesentlich passgenauere Markenbotschaften, Produktangebote, Fulfilment und After-Sales-Lösungen. D2C verspricht viel Wachstumspotenzial, ist aber kein Ponyhof mehr - weder in den USA, noch in Deutschland
___________________________________
Anmerkung 1: Wir betrachten bei den D2C-Umsätzen, so wie sie uns bveh und eMarketer liefern, nur die Umsätze, die über digitale Kanäle erzielt werden. Selbstverständlich haben viele große Brands auch eigene physische Stores und das sind zweifelsfrei auch astreine Direktumsätze.
Anmerkung 2: Shopify hat unlängst bekannt gegeben, dass der "E-Commerce-Corona-Boom" vorerst vorbei wäre und man wieder mit moderaten Wachstumszahlen plant. Die Börse hat das weniger erfreut.

Die Shopify-Aktie erlebte einen jähen Absturz.
Yahoo Finance