
Kundenbindung Warum D2C-Brands Resonanzmodelle brauchen
Früher haben Marken gestützte und ungestützte Markenbekanntheit gemessen. Heute ist Retention die viel härtere Währung. Funktioniert das bei Toilettenpapier? Eher nicht. Aber vielleicht kauft Kimberley Clark deswegen jetzt eine D2C-Brand für Menstruationsunterwäsche.
Von Ralph Hübner und Daniela Zimmer
In ihrer Studie "State of Subscription Commerce Economy" prognostizieren die Experten der D2C-Subscription-Community Subta sicher nicht ganz uneigennützig, dass 75 Prozent aller Unternehmen, die D2C-Strategien verfolgen, bis zum Jahr 2023 Abo-Services anbieten werden (okay, definiere Abo…). Die Gründe liegen aber auf der Hand:
- Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Kunden wird immer härter
- Die Kundenloyalität nimmt immer mehr ab
- Convenience (inkl. Lieferqualität) und Nachhaltigkeit werden immer mehr zu Kernerfolgsfaktoren
- Das Ende der Cookie-Ära zwingt Unternehmen zu First-Party-Strategien
- Und die Kosten für Online-Marketing sind in den vergangenen Jahren explodiert.
Deep Dive in die Entwicklung von Kundenakquisekosten
Schon von 2017 bis 2019 haben sich die PPC-Budgets namhafter US-D2C-Brands einer Analyse von PipeCandy zufolge verzehn- bis verzwanzigfacht. Gab Allbirds im April 2017 noch 898 US-Dollar für PPC-Kampagnen aus, waren es im Januar 2019 bereits 17.000 US-Dollar. Bei der Koffermarke Away schnellten die PPC-Ausgaben im gleichen Zeitraum von 1.130 auf 28.700 US-Dollar pro Monat.

Die Werbespendings von Allbirds sind schon vor Corona explodiert. Und die Situation wurde nicht besser.
PipeCandy
Heute - nach zwei Jahren Corona-Pandemie - investieren nicht wenige D2C-Player monatlich (!) fünfstellige Beträge in Paid Social. Und diese D2C-Marken setzen ihre Beträge bekanntlich meist nur auf ein einziges Produkt - ein echtes One-Trick-Pony Marketingspiel. Demgegenüber haben klassische Marken nicht selten ein paar hundert Produkte. Wenn man diese dann im gleichen Modus bespielen will, muss man den Taschenrechner im Handy schon ins Querformat legen, damit die Budgetsumme lesbar wird. Deshalb stiegen im vergangenen Jahr viele Unternehmen in den USA (aber auch Europa) aus dem Online-Marketing aus. Neukunden-Akquise in den Kanälen wie Google, Facebook oder Instagram war zu teuer geworden.
Preisentwicklung bei Amazon-Ads: Pay more, get less
Auch bei Amazon stiegen die durchschnittlichen CPCs für Amazon Ads in den USA von Januar 2020 bis November 2021 um 51 Prozent - von 88 US-Cent auf 1,33 US-Dollar. Gleichzeitig verschlechterten sich die Conversion Rates und die Logistikprozesse gerieten vielerorts ins Stolpern weil Amazon in der Hochphase der Pandemie seine Aktivitäten auf lebensnotwendige Güter fokussierte.

Hinter der auf den ersten Blick harmlos anmutenden Kurve verbergen sich Preissteigerungen von 50 Prozent.
Quartile
Ein Branchenbeispiel für die gestiegenen CACs 2021: Exemplarische Analysen der Kundenakquisekosten im Bereich Skincare / Kosmetik von Direct-Brands.de weisen für Januar einen Wert von 14,81 Euro und im September einen Jahreshöchstwert von 35,67 Euro aus - mehr als doppelt so viel. Währenddessen verharrte der durchschnittliche Bestellwert im gesamten Zeitverlauf wie eingefroren bei plus/minus 52 Euro.
Zusätzlich zu den hohen Werbekosten drücken im Online-Handel derzeit Preiserhöhungen in der Logistik oder beim Material auf die Marge. Kein Wunder also, dass Investoren immer kritischer auf die CACs, AOVs und CLVs von D2C-Brands schauen und bei Lerer Hippeau vor diesem Hintergrund der Satz fiel: "You cannot depend on your customer acquisition through paid marketing. If you do that, you will not succeed." Etwas freier ins Deutsche übersetzt: Eric Hippeaus conditio sine qua non besagt ganz klar, dass er seinen Portfoliounternehmen Paid Marketing nur für Test- und Sondersituationen sowie Branding empfiehlt (heißt: gestattet). Ansonsten muss das D2C-Modell auf sich selbst tragenden und fördernden Elemente fußen, also entweder wiederkehrende Käufe oder stabile Empfehlungsraten aufweisen. Alles andere macht kein Sinn, weil es nur Google und Facebook füttert.
Auch Rabatte sind Marketingkosten
Zumal zusätzlich zu den CACs auch hohe Rabatte auf die Bilanzen der D2C-Brands drücken. Denn der Kampf um die Aufmerksamkeit der Verbraucher funktioniert in den seltensten Fällen nur mit dem Versprechen, mit dem Kauf dieses Produkts die Welt zu retten. Stattdessen zeigen Analysen aus dem Sportfashion-, aber auch Kosmetik-Markt, dass in den ersten vier Quartalen eines D2C-Brand-Lebens Rabatte von durchschnittlich 40 Prozent und mehr das schlagkräftigste Argument sind, um Kunden von sich zu überzeugen. Wer in dieser Zeit keinen Anlass liefert, warum Kunden nicht nur wiederkaufen, sondern im Idealfall über Mund-zu-Mund-Propaganda noch neue Kunden für das Unternehmen begeistern sollten, wird den kompletten Rabattzyklus solange durchlaufen müssen, bis das letzte Investorengeld verbrannt ist.
In seinem Blog "Uncharted Territories" hat Thomas Pueyo die unterschiedliche Entwicklung zweier Unternehmen - eines mit niedriger und eines mit hoher Retention aufgezeichnet. Im Fall von niedriger Retention passieren im Laufe der Zeit zwei Dinge: Der Umsatz mit früh gewonnenen Kohorten nimmt im Laufe der Zeit immer stärker ab. Gleichzeitig wird es immer schwieriger - und teurer - neue Kohorten zu gewinnen. Je größer ein Unternehmen wird, desto mehr schwächt sich das Wachstum ab.

Der Umsatz mit früh gewonnenen Kohorten nimmt im Laufe der Zeit immer stärker ab. Gleichzeitig wird es immer schwieriger - und teurer - neue Kohorten zu gewinnen.
Thomas Pueyo, Uncharted Territories, Februar 2021
Bei hoher Retention hingegen passiert das Gegenteil: Hier steigt der Umsatz in den Kohorten von Jahr zu Jahr. Das gibt den Unternehmen nicht nur den finanziellen Spielraum, sich im Zeitverlauf immer höhere CACs leisten zu können, um neue Kunden zu gewinnen. Sondern die stark ans eigene Unternehmen gebundenen Kunden bringen selbst neue Kunden mit, weil sie Freunden und Bekannten begeistert von dem Unternehmen erzählen.

Bei einer hohen Retention wächst der Umsatz pro Kunde im Laufe der Zeit - und die Kunden generieren per WOM neue Kunden.
Thomas Pueyo, Uncharted Territories, Februar 2021
Plattform statt Produkte
Für Hersteller, die sich mit dem Thema D2C beschäftigen, ist also nicht die Frage nach dem Verkaufskanal (Amazon, Webshop oder beides?) die dringlichste. Stattdessen sollten sie von Beginn an eine Strategie parat haben, wie sich in ihr Geschäftsmodell Resonanz einbauen lässt. Und das ist nicht trivial. Im Erfolgsfall verkaufen Unternehmen nicht einfach nur ein Produkt über einen digitalen Kanal direkt an die Endkunden. Stattdessen bauen sie ihr Business mit den Logiken einer Plattform auf. Und das können sie nur, wenn sie die Needs ihrer Zielgruppe wirklich verstehen.
Abo-Commerce ist Retention in Vollendung
Ein Blick in die Branche offenbart unterschiedliche Retention- bzw. Resonanz-Strategien. Der Königsweg sind Abos. Einer Studie des US-Payment-Anbieters Recharge zufolge hat Corona nicht nur den E-Commerce in Gänze, sondern auch das Geschäft mit Produktabos beflügelt. Die zuverlässig wiederkehrenden Lieferungen vermittelten den Konsumenten in den Zeiten der Pandemie offenbar ein Gefühl von Sicherheit oder die Verbraucher gönnten sich als Ausgleich für den stornierten Urlaub oder die abgesagten Restaurantbesuche mit Freunden ein Produktabo.
Blickt man auf die Zahlen von Recharge, so verteilt sich der Löwenanteil an Produktabos mit zusammen über 54 Prozent auf die Segmente Beauty & Personal Care sowie Food & Beverage.

54 Prozent aller Produktabos entfallen auf die Kategorien Beauty und Lebensmittel.
Recharge Payments: State of Subscription Commerce Report 2022, Stand: Februar 2022
Nach einem Jahr liegt Retention Quote bei Produktabos noch immer bei 25 bis 42 Prozent

Abokunden sind vergleichsweise treu - aber auch teuer.
Recharge Payments: State of Subscription Commerce Report 2022, Stand: Februar 2022
Interessant sind auch die Zahlen, wie lange sich Kunden durch ein Abo binden lassen. Quer durch alle Kategorien sind sechs Monate nach dem Abschluss noch fast die Hälfte aller Abonnenten bei den analysierten D2C-Brands an Bord. Nach einem Jahr liegt die Retention-Quote zwischen 25 Prozent bei Lebensmitteln und Getränken und 42 Prozent bei Haushaltswaren.
Allerdings wären schnelle Strohfeuer an dieser Stelle auch fatal, denn Abokunden zu gewinnen, ist kein preisgünstiges Unterfangen. Exemplarische Analysen im Kosmetiksegment zeigen, dass für einen Kunden beim Einmalkauf CACs zwischen 30 und 90 Euro anfallen, beim Abo sind es zwischen 60 und 120 Euro.. das heißt die Abo-Kunden kosten gerne mal 50 Prozent mehr. Am unteren Ende der Spanne liegen Unternehmen, die mit hohen Summen von 200.000 Euro pro Monat schnell und agil alle relevanten Kanäle durchtesten und CAC-optimiert denken. Eine klassische Brand, die mit diesem Tempo nicht Schritt halten kann, zahlt Preise am oberen Ende der Spanne.
Das heißt in der Konsequenz: Unternehmen, die ernsthaft im Abogeschäft mitmischen wollen, brauchen nicht nur tiefe Taschen, sondern auch einen langen Atem und müssen derartige Investments auch über vier bis fünf Monate durchhalten können. Dass sich das durchaus lohnt, zeigen die Recharge-Zahlen zur Entwicklung des Lifetime Value (LTV). Hier zeigten sich 2022 in allen Produktkategorien Zuwächse.

Der LTV (Loan to Value) wächst in allen Kategorien.
Recharge Payments: State of Subscription Commerce Report 2022, Stand: Februar 2022
Retention ist mehr als Abo-Commerce
Muss man deshalb jetzt Toilettenpapier im Abo verkaufen? Natürlich nicht (weswegen sich Kimberley Clark vielleicht gerade mit Thinkx eine D2C-Brand für Menstruationsunterwäsche kaufte). Auch eine Küche, ein Fahrrad oder eine Matratze kauft man nicht jeden Monat neu - und das Beispiel Casper zeigt, dass man als "Sleep Company" auch nicht automatisch erfolgreich durch Zusatzprodukte den CLV erhöhen kann. Hier sind andere Retention-Hebel - oder plastischer: Wiederhaken, die sich in den Verbrauchern verfangen - gefragt. Das können sein:
- Services (siehe Vortrag von Tim Baert von L'Oréal auf der MOONOVA: "Services sind die neuen Produkte")
- Communities
- Events
- Newsletter
- Apps
- Gründerstories und Testimonials
- u.v.m.
Peloton hat ein Retention-Modell aufgebaut, indem es zu seiner Hardware ein Content-Abo generierte. Volvo vermietet über "Care by Volvo" Autos an die Verbraucher und bleibt so kontinuierlich mit ihnen in Kontakt. Und das nachhaltige Taschen-Label Got Bag oder die Getränke-Marke Air-up sorgen dadurch für Resonanz, dass Käufer Freunden von dem Produkt und der innovativen Idee dahinter erzählen.
Bleibt die Frage. Wurden diese Marken mit dem Wissen gegründet, dass sie ein Retention-Modell brauchen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Bei D2C-Brands, die nicht investorengetrieben handeln, sondern idealistisch die Welt mit ihren Produkten ein Stückchen besser machen wollen, lautet die Antwort: Wahrscheinlich nicht. Doch viele sind schon gestartet, als D2C noch ein Ponyhof war und die CACs noch andere Business-Modelle erlaubten - und haben intuitiv die Weichen in Richtung Retention richtig gestellt.

Das D2C-Goldgräber-Zeitalter mit vergleichsweise simplem SEO/SEA ist vorbei.
Ralph Hübner/Direct-Brands.de
Viele, die das nicht getan haben, werden bei der Transformation des D2C-Geschäfts vom hyggeligen Ponyhof zum gefährlichen Haifischbecken langfristig vermutlich nicht überleben. Vor allem dann nicht, wenn es sich nicht um Idealisten handelt, die mit ihren D2C-Umsätzen nur die eigene Familie ernähren müssen, sondern die materielle Zukunft eines ganzen Unternehmens garantieren sollen.