
Gastkommentar Digitale Remote-Beratung: Wichtig wie nie zuvor
Da im stationären Handel eine persönliche Beratung vor Ort derzeit kaum möglich ist, erleben digitale Assistenten eine Renaissance - sofern sie nutzerfreundlich und sinnstiftend konzipiert sind.
Von Thorben Fasching, Partner von Triplesense Reply und von Open Reply sowie Executive Partner von Reply
Unternehmen, die beratungsintensive, komplexe Produkte und Services oder hochpreisige, erlebnisorientierte Investitionsgüter anbieten, haben es zurzeit schwer. Schließlich lassen sich viele Menschen auch im 21. Jahrhundert gerne noch persönlich beraten, bevor sie einen Telefonvertrag oder eine Versicherung abschließen. Auch einen PKW kauft man in der Regel (noch) nicht über digitale Kanäle. Da Telekommunikationsunternehmen und Automobilhersteller in den vergangenen zwölf Monaten jedoch gar nicht oder nur eingeschränkt stationär beraten und verkaufen durften, sind digitale Assistenten aktuell wieder auf dem Vormarsch.
Kleine, digitale Helferlein an sich sind dabei nichts Neues. Als Treiber der Entwicklung lancieren Machine Learning und Künstliche Intelligenz nun jedoch deutlich intelligentere Lösungen. Chatbots beim Abschluss des richtigen Smartphone-Vertrags, digitale Verkaufsberater im Online-Showroom einer Automarke oder Live-Videoberatung per App bei Baumarktketten sind Anzeichen dafür, dass die aktuelle Krise einen Bedarf geschaffen hat, der noch nie so groß war.
Frustration
Doch leider entsprechen viele Lösungen, die hastig auf den Markt gebracht wurden, nicht den Nutzungserwartungen der Kunden und führen so zu Frustration. Das fängt schon bei der Art und Weise an, wie solche Tools in Onlineshops, bei Konfiguratoren und in Apps eingebunden sind: Wenn sich im Augenwinkel ein Layer öffnet, weil wir nicht schnell genug weiter geklickt haben, werden wir unbewusst ständig abgelenkt. Drängt sich die angebotene Hilfe zur sehr auf, bringt den Nutzer aber gleichzeitig nicht weiter, wird dieser ebenfalls unzufrieden sein. Und so erklärt sich auch eine Gereiztheit mit und gegenüber den derzeit inflationär auftauchenden digitalen Assistenten.
Auch die gestiegene Autonomie des Nutzers, der sich online bewegt, darf nicht außer Acht gelassen werden: So gibt es Hinweise darauf, dass sich Nutzer von den digitalen Assistenten beobachtet fühlen, was zunehmendes Unbehagen hervorruft. Weiterhin vermitteln digitale Assistenten ihren Benutzern teilweise das Gefühl, unselbstständig zu sein. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Agenten komplexe Fragen nicht erklären können, keine weiterführenden Antworten geben oder nicht nachvollziehbare Schritte, etwa in einem Konfigurator, selbstständig übernehmen. Erst einmal enttäuscht, werden sich gerade weniger digital versierte Nutzer so schnell nicht wieder an die "neuartige" Hilfe und digitale Beratung wagen.
Es ist nicht alles Gold was glänzt
Bei der Einführung von digitalen Verkaufsberatern und dem Versuch, die Lücke zwischen stationärer und Online-Beratung zu schließen, ist zum einen ein sehr gutes Konzept notwendig, zum anderen eine wirklich technisch ausgereifte Lösung. Gute Beispiele fühlen sich wenig mechanisch an, nahezu so, als würde man als Kunde von einem echten Kundenberater and die Hand genommen und nicht von einer Chatbot-Lösung auf Basis einer Machine Learning-Software.
Um diese "echte" User Experience zu verwirklichen, haben Online-Händler zum Teil eine hochprofessionelle Videochat-Beratung mit eigenen Experten integriert. Diese lässt die Lücke zwischen online und offline zum Glück gänzlich vermissen. Ein wie ich finde sehr gelungenes Beispiel ist hier die App "Hey OBI" der gleichnamigen Baumarkt-Kette. Hobby-Handwerker werden hier von OBI-Experten per Video mit Rat und Tat unterstützt, sei es bei der Planung einer neuen Terrasse oder der Renovierung des in die Jahre gekommenden Bades.
Und zu guter Letzt ist der Grundsatz zu beachten: testen, messen, lernen, verbessern. Nur dann kann es gelingen, mit digitalen Assistenten oder echter Live- beziehungsweise Remote-Beratung das "Eis" in der Mensch-Maschine-Interaktion erfolgreich und sinnvoll zu brechen.
Es lohnt sich: In Zeiten eingeschränkter Kontaktmöglichkeiten - aber auch darüber hinaus - werden digitale Assistenten für Unternehmen so mitunter schlagartig zum Hygiene-Faktor und zum Erfolgsgarant eines Webshops. Entscheidend dafür ist, dass sie Kunden und Konsumenten optimal digital beraten und unterstützen sowie zu einer perfekten Online-Shopping-Experience beitragen.