
Hans Dohrmann, CEO Internetstores Fahrrad.de: "Die Zeiten für Pure sind vorbei"
Internetstores-CEO Hans Dohrmann
Internetstores-CEO Hans Dohrmann
Fünf stationäre Geschäfte von Fahrrad.de gibt es mittlerweile in Deutschland - alle erstaunlich minimal digitalisiert. Internetstores-CEO Hans Dohrmann sprach mit unserem Schwesterblatt "SAZbike" über die Strategie dahinter.
Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg, Stuttgart: In diesen fünf Städten ist Fahrrad.de bereits vertreten. Doch das soll noch nicht alles sein. Hans Dohrmann, CEO des Mutterunternehmens Internetstores, sprach mit unserem Schwesterblatt "SAZbike" über das stationäre Konzept von Fahrrad.de und seine Ansichten zur Fahrradbranche.
Herr Dohrmann, warum macht Fahrrad.de stationäre Shops auf? Was steckt dahinter?
Hans Dohrmann: Die Frage ist einfach zu beantworten: Die Zeiten für Pure sind vorbei - sowohl Pure Online als auch Pure Offline. In bestimmten Bereichen macht es keinen Sinn mehr, nur digital oder nur stationär zu arbeiten. Fahrrad gehört dazu, weil man den einzigen physischen Berührungspunkt nicht nur bei der Übergabe der Ware haben kann. Das reicht im mittleren und hochwertigen Preissegment einfach nicht mehr. Der Kunde in diesem Bereich, der ein hochwertiges E-Bike für den Weg zur Arbeit sucht, oder die Familie, die sich ein teures Cargobike anschaffen möchte, für die muss der Servicelevel geboten werden, den sie entsprechend dem Preis erwarten. Das ist genauso, wie wenn sich der Kunde für drei-, viertausend Euro eine teure Uhr oder eine Handtasche bei Louis Vuitton kauft. Daher muss man in allen Kanälen, die der Kunde für die Interaktion und Kommunikation mit dir nutzt, präsent sein. Dazu gehören Probefahrten, mobiler Service oder in Zukunft auch der Facetime-nutzende Servicemitarbeiter, den der Kunde sehen kann und der ihm Dinge erklärt und dabei hilft. Bezogen auf uns wandeln wir uns aktuell vom typischen Online-Händler zum digitalen Spezialisten.
Als typischer Online-Händler wurde Fahrrad.de vor allem über preisaggressive Angebote wahrgenommen. Wie ändert sich dies durch den stationären Bereich?
Dohrmann: Der Preis wird - so wie wir uns aufstellen - für unsere Kunden nur noch eines von diversen Kriterien sein. Dabei ganz sicher nicht die Nummer eins, wahrscheinlich auch nicht mehr unter den Top fünf. Wichtig ist nur, dass der Kunde nicht das Gefühl bekommt, beim Preis über den Tisch gezogen worden zu sein. Daher haben wir eher eine faire Preisstrategie, mit der wir immer auf Marktniveau sind, im Kopf. Das muss nicht unbedingt der UVP sein, wovon die Hersteller träumen, denn es gibt einfach zu viele Produkte im Markt, die nicht zum UVP verkauft werden können. Es bringt mir nichts, ewig auf dem UVP zu beharren, um dann am Ende riesige Posten mit horrenden Rabatten abzuschreiben. Da sollte man lieber früher mit dem Preis runtergehen, um die Ware vernünftig verkaufen zu können. Für uns ist es daher wichtig, den echten Marktpreis eines Produkts zu kennen. Da wir mittlerweile alles automatisiert haben - wir nutzen ein automatisiertes Pricing -, können wir alle Preise der Marktteilnehmer und das Verhalten der Kunden einbeziehen, sodass wir tatsächlich den Marktpreis kennen. Die Maschine reduziert nicht nur den Preis, sondern setzt ihn auch hoch. Mein Ziel ist es ja, nicht so viel Rabatt wie möglich zu geben, sondern ein profitables Unternehmen zu führen. Im Idealfall sind übrigens nicht nur der Kunde und wir zufrieden, sondern auch der Hersteller und andere Händler. Wir haben nichts davon, uns mit anderen anzulegen.
Fahrrad.de arbeitet auch mit stationären Händlern zusammen. Wie viele Partner haben Sie?
Dohrmann: Wir haben aktuell über 150 Servicepartner. Im Optimalfall sind es Mitte nächsten Jahres schon über 200. Wir wollen mit den guten Fachhändlern zusammenarbeiten. In Frankreich haben wir sogar schon über 400 Fachhandelspartner. Die sollen nicht nur unsere fehlende physische Präsenz ausgleichen, sondern eine optimale Kundenerfahrung erzeugen. Die Mischung aus unserem riesigen Produktportfolio mit über 100.000 Artikeln mit fast allen Fahrradmarken, bis auf ein, zwei fehlende, plus die Erfahrung eines Fachhändlers, der den Kunden den gewünschten Service bietet: Das ist genau das, wohin wir wollen. Die Kunden gehen dann in die Geschäfte, um ein bei uns bestelltes Rad abzuholen. Vielleicht kaufen sie noch etwas zusätzlich für sich oder die Tochter, die gerade dabei ist. Dadurch können und sollen auch unsere Partner selbstverständlich Geld für ihre Leistung verdienen. Es ist unser Ziel, dass unsere Partner durch uns zusätzliche Umsätze mit der Werkstatt und auch im Verkauf generieren.
Der Prozess selbst ist keine Einbahnstraße, denn wir nehmen Ideen und Vorschläge unserer Fachhandelspartner auf. Diese treffen und tauschen sich auch untereinander aus. Es ist viel besser, als es für den einen oder anderen scheint, der uns einfach nur als "böse" abstempelt. Hingegen gibt es aber andere Händler, die ihre Kunden mit alten Modellen über den Tisch ziehen. Oder schlecht montierte Baumarkträder, mit denen der Kunde einen Unfall hat und danach kein Rad mehr anfasst. Das ärgert mich sehr, denn schlechte Kauferfahrungen der Kunden wirken sich auf die gesamte Branche und auch auf uns aus. Ich will daher nur gute Marktteilnehmer, die es mir auch schwer machen, damit ich noch besser werden muss.
Aktuell gibt es fünf Stores. Wie viele sollen noch kommen?
Dohrmann: Es wäre schön, wenn wir in Deutschland mittelfristig etwa zehn eigene Stores betreiben würden, wobei ich jetzt an dieser Stelle keine definitiven Standorte oder Eröffnungstermine nennen kann. Natürlich wollen wir aber die großen Ballungsräume abdecken. Es ist jedoch super schwer, die passenden Standorte zu finden. Deswegen kann es vielleicht auch noch etwas dauern, was aber kein Drama ist. Wir machen uns keinen Druck, sondern wollen in jedem Einzelfall den perfekten Standort finden.
Wie groß ist ein typischer Store?
Dohrmann: Nicht zu groß. Wir suchen nach Flächen mit 400 bis 600 Quadratmetern. Es kommt nicht kompetent daher, wenn man einen riesigen Laden mit 10.000 Quadratmetern hat, aber nur drei Mitarbeiter sich darauf verteilen.
Abdeckung der Kernmärkte in Europa
Soll das Konzept auch auf andere Länder ausgeweitet werden?
Dohrmann: Ja, auf jeden Fall. Frankreich, Schweden, Österreich, die Schweiz haben wir auch im Blick. Die Kernmärkte in Europa sollen abgedeckt werden, damit wir ein hohes Servicelevel anbieten können. Daher weiten wir auch unser Servicepartnerkonzept, das wir wie gesagt erfolgreich in Deutschland und Frankreich betreiben, auf andere Länder aus.
Die Neueröffnung eines stationären Geschäfts ist immer zuerst ein Investment. Ab wann muss es sich bei Fahrrad.de tragen?
Dohrmann: Bei uns müssen die Stores nach drei Jahren schwarze Zahlen schreiben. Das funktioniert natürlich mit einem höheren E-Bike-Anteil besser. Dabei passen wir das Sortiment in bestimmten Grenzen jedoch regional an.
Welche Rolle spielen Eigenmarken bei Fahrrad.de?
Dohrmann: In der Historie von Internetstores haben wir mit Eigenmarken angefangen, weil uns die Brands nicht beliefern wollten. Mittlerweile arbeiten wir jedoch mit fast allen zusammen. Dennoch haben wir auch weiter die Eigenmarken, wobei es keine Kannibalisierung gibt. Es wird weder zu den Eigenmarken hin- noch wegberaten. Wir finden heraus, was der Kunde will, ob ihm die Marke wichtig ist oder nicht.
Der Anteil von Private Label beziehungsweise unserer Eigenmarken am Fullbike-Umsatz beträgt 50 Prozent. Da sind wir auch ganz transparent und kommunizieren offen gegenüber den Lieferanten die Zahlen, wo sie im Vergleich zu den Eigenmarken stehen. Wir wollen in Zukunft weder ein reiner Eigenmarkenverkäufer noch ein Fremdmarken-Shop sein. Ziel ist es, jeden Kunden zufriedenzustellen.
Wie wichtig ist der Zubehörbereich?
Dohrmann: Wir bieten stationär die Basisprodukte an. Alles andere ist innerhalb von 24 Stunden hier, auch Räder. Der Kunde kann das Produkt hier vor Ort montieren oder sich nach Hause liefern lassen. Wir wollen bewusst nicht teure Ladenfläche mit vielen Produkten zustellen. Daher ist die Gestaltung auch sehr übersichtlich. Wir können dem Kunden über ein digitales Endgerät wie ein iPad unser gesamtes Sortiment zeigen und dadurch schnell für ihn die passende Lösung finden.
Im nächsten Schritt wollen wir übrigens auch den Servicepartnern unsere gesamte Produktauswahl zur Verfügung stellen, damit diese dadurch auch ihren Laden aufräumen können. Dies soll über ein bestimmtes Tool erfolgen, das wir im Laufe des nächsten Jahres anbieten wollen. Sie erhalten dann eine Art Vermittlungsgebühr und können dadurch den Kunden glücklich machen. Dadurch lohnt sich der Prozess für alle.
Wenn man sich hier im Geschäft umschaut, dann fällt schnell der minimale Grad der sichtbaren Digitalisierung auf. Dabei erwartet man bei einem Online-Unternehmen doch etwas anderes. Welche Idee steckt hinter dieser Gestaltung?
Dohrmann: (lacht) Das ist lustig. Jeder stellt diese Frage. Wir haben das bewusst gemacht. Natürlich könnten wir hier ganz viel digitalen Hokuspokus ablaufen lassen: Screens, Lagerbestände etc. Wir müssen aber nicht beweisen, dass wir digital können. Stattdessen versuchen wir, mit einem gewöhnlichen Fahrradladen folgende Dinge herauszufinden: Was lernen wir über den Kunden? Was können wir verbessern? Wie bekommen wir das hin? Dann können wir nach und nach die digitalen Dinge hinzupacken, die der Kunde wirklich will. Dafür arbeiten wir im Hintergrund an sehr vielen Projekten, aber wir wollen lieber weniger versprechen, sondern mehr halten. Nur weil man sich einredet, dass man sehr digital und nah am Kunden sei, ist man es nicht unbedingt.
Soll das stationäre Konzept auch auf die Outdoor-Sparte der Gruppe ausgeweitet werden?
Dohrmann: Ja, das soll es, wobei wir da noch nicht so weit sind. In Stockholm haben wir einen Store. Wir experimentieren jedoch noch, was der optimale Outdoor-Store ist und was der Kunde wirklich braucht. Ich kann mir hier zum Beispiel auch einen Videotelefonie-Service für virtuelle Kundenberatung vorstellen, gerade für Expert-Kunden. Die können dann auch nachts anrufen und erfahren dann, mit welchem Seil sie die Nordroute von XY gehen können. Davon sind wir aber noch weit weg, bevor sich etwas wirklich rechnet. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Kundenbetreuung in Zukunft komplett verändern wird.
Wie sehen Sie den Fahrradhandel der Zukunft?
Dohrmann: Nur aus der Sicht des Kunden! Egal, wie dieser mit uns interagiert, ob über einen Online Shop, Whatsapp, Telefon, Facetime, einen unserer physischen Stores oder einen unserer Servicepartner, egal ob vor, während oder nach dem Kauf beziehungsweise während der Nutzung des Produkts: Es muss immer eine gute Kundenerfahrung sein. Denn wenn der Kunde glücklich ist, dann gibt er auch gerne Geld aus.