
Gastkommentar Unnütz und teuer: Stoppt Click & Collect!
Marcus Diekmann, freier E-Commerce-Berater und Autor des Buches "E-Commerce lohnt sich nicht", kann über die Click & Collect-Euphorie im stationären Handel nur den Kopf schütteln
Marcus Diekmann, freier E-Commerce-Berater und Autor des Buches "E-Commerce lohnt sich nicht", kann über die Click & Collect-Euphorie im stationären Handel nur den Kopf schütteln
Click & Collect ist die aktuell am meisten überschätzte Funktion im E-Commerce-Markt. John Lewis rudert bereits zurück und auch Saturn ist kein Benchmark, sagt E-Commerce-Berater Marcus Diekmann.
Click & Collect ist die aktuelle Sau, die derzeit sprichwörtlich durchs Dorf getrieben wird. Es gibt kaum eine Diskussion oder ein Forum zum Thema E-Commerce, in der Click & Collect nicht als neuer Rettungsanker und die Lösung für Stadtportale oder für den stationären Händler hochgehalten wird.
Händler, die Click & Collect einführen, feiern dieses Feature, als wäre es die Kür-Innovation schlechthin. Das Motto scheint zu lauten: Wenn schon keiner bei mir online kauft, soll er wenigstens per Click & Collect kaufen und die Sachen dann in meinem Laden abholen. Doch eine Servicefunktion wie Click & Collect allein garantiert keinen Online-Erfolg. Wer in Sachen Produktsortiment, Preis, Services, Reichweite und Organisation online nicht wettbewerbsfähig aufgestellt ist, den wird die Einführung von Click & Collect auch nicht retten.
Click & Collect oft ohne wirtschaftlichen Mehrwert
Dabei klingen die Argumente, die Verfechter der Funktion einbringen, zunächst durchaus logisch: So wird Click & Collect in erster Linie als Frequenz-Pusher für die Fläche gehypt. Das Kalkül der Händler lautet: Ist der Kunde schon einmal im Laden, kauft er dort auch fünf weitere Artikel. Die Wirklichkeit allerdings sieht anders aus: In den meisten Fällen bringt Click & Collect keinen echten wirtschaftlichen Mehrwert.
Betrachtet man das Ganze aus Endverbrauchersicht, dann wird schnell klar, warum Click & Collect nicht funktionieren kann. Sind Kunden in der Stadt, stöbern sie entweder oder vergleichen per Smartphone die Preise. Stimmt der Preis, kaufen sie vor Ort. Sitzt der Kunde auf dem Sofa, möchte er die Ware in der Regel bestellen und möglichst schnell nach Hause liefern lassen.
Etwas online zu kaufen, das der Kunde dann selbst abholen muss, macht nur in wenigen Fällen Sinn:
1. Als Sicherungsfunktion für stark angebotsgetriebene und verknappte Sortimente bei lokal sehr gut distribuierten Händlern: Hier können sich Kunden Verfügbarkeiten per Click & Collect in den Filialen sichern und dank des dichten Filialnetzes des Händlers quasi an der nächsten Ecke abholen.
2. Als Sparfunktion: Bei Produkten mit sehr hohen Lieferkosten macht es für den Kunden ebenfalls Sinn, diese vorab online zu bestellen und dann in einem To-Go-Bereich abzuholen oder vorher im Laden auszuprobieren.
3. Zur Vereinfachung von alltäglichen Prozessen: In der Lebensmittelbranche könnte Click & Collect das Einkaufsverhalten verändern. Kunden könnten ihren Tagesbedarf online bestellen und auf dem Heimweg aus dem To-Go-Bereich mitnehmen.
Eine Chance für den stationären Handel bietet Click & Reserve / Collect nur für Händler, die keinen echten E-Commerce betreiben, sondern nur einen produktorientierten E-Showroom ohne klassische Bestellfunktion. Dort können sie ihre wöchentlichen Top-Angebote mit Reservierungsfunktion präsentieren und sich somit Kosten, beispielsweise für die Fulfilment-Prozesse, sparen.
Vermeintliche Erfolgsbeispiele können nicht generalisiert werden!
Natürlich gibt es einige Unternehmen, bei denen der Service seine Berechtigung hat. Der italienische Dessous-Anbieter Intimissimi beispielsweise verkauft rund 20 Prozent seiner Online-Bestellungen über Click & Collect. Der hohe Anteil relativiert sich allerdings, wenn man zweierlei in Betracht zieht: Der Online-Umsatz von Intimissimi insgesamt ist überschaubar, dadurch sind die Zahlen noch zu wenig repräsentativ. Außerdem ist Intimissimi mit rund 4.000 Verkaufsflächen sehr gut distribuiert.
Ein gutes Beispiel für die oben beschriebene "Sicherungsfunktion" von verknappten angebotsgetriebenen Artikeln ist Ernsting's Family. Als reiner Retailer vertreibt das Unternehmen nur seine eigene Kollektionen und ist tendenziell eher im niedrigeren Preissegment positioniert. Die generelle Versandkostenpauschale in Höhe von 4,20 Euro je Bestellung wirkt sich dementsprechend anteilig hoch auf den eigentlichen Artikelwert aus. Der Click & Collect-Erfolg erklärt sich durch die Tatsache, dass Ernsting's Family in deutschen Innenstädten extrem gut verbreitet und häufig in direkter Nähe zu einem Supermarkt platziert ist, wo Kunden ohnehin Dinge des täglichen Bedarfs besorgen.
Auch Media Markt und Saturn eignen sich nicht als als generell übertragbares Erfolgsbeispiel für Click & Collect. Mit schätzungsweise sechs bis zehn Prozent Online-Anteil am Gesamtumsatz liegt das Unternehmen deutlich unter der Marktentwicklung in seinem Segment (über 30 Prozent aller Umsätze im Elektroniksegment werden bereits online abgewickelt). Zeitgleich agiert die Gruppe, die ebenfalls sehr gut distribuiert ist, in Angeboten sehr preisgetrieben und bewirbt das medial sehr gut. Sich diese Highlight-Artikel zu sichern, ist auch hier eine logische Konsequenz. Media Markt und Saturn sind zeitgleich aber auch ein Beweis dafür, dass durch Click & Collect weder der Gesamtgruppenumsatz gesteigert werden konnte, noch dass dadurch das Online-Geschäft im Vergleich zu den erfolgreichen Onlinehändlern ernsthaft aufgeholt werden konnte.
John Lewis rudert bei Click & Collect zurück
Ein Gegenbeispiel ist die englische Handelskette John Lewis. Das Unternehmen ist off- und online sehr erfolgreich und betreibt beide Kanäle als echte strategische Vertriebsbereiche. Dank hoher Investitionen in die Digitalisierung wickelt die Handelskette online mittlerweile über 20 Prozent des Gesamtumsatzes ab. Trotzdem hat sich das Unternehmen von Click & Collect verabschiedet.
Nachdem die Engländer uns Deutschen im Onlinehandel drei bis vier Jahre voraus sind, können wir aus deren Erfahrungen lernen. Das Ende von Click & Collect begründet John Lewis ganz einfach mit dem Kosten-/Nutzenverhältnis. Der Service sei nicht der relevante Hebel für den Multichannel-Erfolg, gleichzeitig aber mit enormen Kosten beispielsweise für zusätzliche stationäre Lagerfläche verbunden. Echte Top-Renner werden aus der Fläche abgezogen und für Kunden reserviert, die die Ware entweder gar nicht oder erst nach einer Woche oder noch länger abholen. Auch den stationären Flächenumsatz konnte John Lewis mit dieser Maßnahme nicht entsprechend steigern.
Click & Collect ist keine Innovation
Mein Fazit: Click & Collect kostet viel Geld. Die Lösung ist weder innovativ - dafür bieten sie schon zu viele Händler an - noch bringt sie eine erhebliche zusätzliche Kauffrequenz auf die Fläche. Stattdessen ist Click & Collect die aktuell am meisten überschätzte Funktion im E-Commerce-Markt. Click & Collect kann bei stark angebotsgetriebenen Sortimenen als Sicherungsfunktion sinnvoll sein, gerade auch dann, wenn der Anbieter sehr gut distribuiert ist. Dieses trifft allerdings auf die Strukturen von vielen Händlern und Sortimenten nicht zu.
Statt weiter in unnütze Spielereien wie Click & Collect zu investieren, sollten stationäre Händler ihre Strategie lieber darauf ausrichten, regional die schnellste Direktlieferung zu ermöglichen. Nicht mehr nur hinter der Ladentheke zu stehen, sondern raus aus dem Laden und direkt zum Kunden zu gehen - das wäre innovativ und würde dem lokalen Händler einen echten Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen Onlinehändlern verschaffen. Regionale Lieferung innerhalb von zwei Stunden zum Kunden nach Hause oder ins Büro - das wäre ein echter Service. Potenzielle Kooperationspartner könnten Kuriere oder auch Taxifahrer sein. Wenn diese ohnehin schon regional unterwegs sind, könnten sie durch die Bestellauslieferung ein kleines Zusatzgeschäft machen.
Auch um das Thema Online-Verfügbarkeitsanzeigen kommt der stationäre Handel nicht herum. Investitionen in Systeme, die dies leisten können, sind nahezu unabdingbar. Erst diese Woche hat Google in der mobilen Produktsuche einen Filter nach lokalen Verfügbarkeiten integriert. Auch produktorientierte lokale Plattformen wie Locafox und Co sind mögliche Kooperationspartner.
Wenn sich der stationäre Handel aber auf solchen Themen ausruht, statt seine Geschäftsstrategie zu überdenken, werden Amazon und Co mit immer schnelleren Lieferservices auch den Kampf um die "letzte Meile" gewinnen. Ich wünsche mir, dass der Handel endlich wach wird, aufhört, sich auf die stationäre Fläche begrenzen zu lassen, innovativer im Sourcing wird, Beratungskompetenz im Laden ausbaut, vermeintliche Services auf echte Kundenmehrwerte hin überprüft und den Killerfaktor Preis in den Griff bekommt. Jetzt gilt es, innovativ zu handeln. Los geht's!
Autor: Marcus Diekmann, freier E-Commerce-Berater und Autor des Buches "E-Commerce lohnt sich nicht"
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