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Ikea Click & Collect

Gastkommentar zur EHI-Studie Ikea im E-Commerce: Nichts Halbes, nichts Ganzes - aber irgendwie erfolgreich

Ikea
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Ikea ist im neuen EHI-Ranking der große Gewinner, trotz E-Commerce-Vermeidungsstrategie. Dennoch gibt es gute Gründe für Ikeas Wachstum, meint der E-Commerce-Experte Alexander Graf - und erläutert, wieso sich MediaMarkt und Apple deutlich stärker entwickeln als Amazon.

Von Alexander Graf, Seriengründer, E-Commerce-Unternehmer und CEO von Spryker

5 Euro "Click & Collect"-Gebühr pro Bestellung und 4,90 Euro Versandgebühr pro Paket: Ikea fährt in Sachen E-Commerce noch immer eine Vermeidungsstrategie - und ist im aktuellem EHI-Ranking der umsatzstärksten Onlineshops Deutschlands dennoch der große Gewinner. Knapp 103 Prozent Wachstum beim Umsatzvolumen online gegenüber dem Vorjahr bedeuten den Sprung auf Platz fünf. Wie kann das sein?

Drei Gründe sind ausschlaggebend für den Erfolg des schwedischen Möbelriesen: die Markenstärke von Ikea, die Schwäche der Konkurrenz und die Sondereffekte der Pandemie.

Starke Brand, schwache Konkurrenz

Ikea ist die Möbel-Brand schlechthin. Um an Pax-Schrank und Hemnes-Bett zu kommen, sind die Kunden bereit, Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen. Click & Collect bei Ikea macht nämlich oft keinen Spaß. Wenn man Pech hat, steht man bei Regen und Kälte in der Schlange der Warenausgabe, um nach 30-minütiger Wartezeit vom gestressten Mitarbeiter gesagt zu bekommen, dass die Bestellung leider nicht komplett auf Lager ist, es bedauerlicherweise keinen Liefertermin für die fehlenden Schrankbeine gibt, die bereits kommissionierten Beine nicht erstattbar sind, es dafür aber eine Gutscheinkarte gibt - nicht hier, sondern am Retourenschalter.
 

Alexander Graf

Alexander Graf, Spryker

Spryker

Das Problem: Asynchrone Warenbestände und entkoppeltes Bestell- beziehungsweise Zahlungsmanagement sind keine Exklusiv-Spezialität von Ikea. Die Konkurrenz im Einrichtungssegment macht es häufig nicht besser. Ikea fehlt der starke Wettbewerber, deshalb können sie sich ein im E-Commerce-Vergleich unterdurchschnittliches Niveau erlauben. Dass es langfristig mehr Hingabe fürs Online-Geschäft braucht, hat Ikea dennoch langsam begriffen. Sie investieren in diesen Bereich, bauen dazu intensiv an ihrer Organisation in Schweden. Noch aber will Ikea die Kunden zum stationären Einkauf in die Möbelhäuser locken, auf Incentivierungen zum Online-Einkauf verzichten die Schweden bislang, sondern bestrafen Online-Käufe beinahe.
 
So oder so sollte der Erfolg von Ikea nicht darüber hinwegtäuschen, dass Click & Collect eine Krücke bleibt, ein aus der Not geborenes Konzept, bei dem große, teils innerstädtische Geschäftsflächen als Lager missbraucht werden. Es bleibt dabei: Je weniger Menschen ein Produkt auf dem Weg von der Herstellung zum Endkunden anfassen müssen, desto billiger und effizienter ist der Prozess. Zentrallager und Paketversand sind für den E-Commerce daher die beste Lösung - aber solange die Herausforderung der letzten Meile gerade bei unhandlichen Produkten noch nicht gelöst wurde, bleibt Click & Collect etwa im Möbelbereich eine Notlösung, um alte Modelle zu retten - zumindest für Sortimente, die sich gut versenden lassen. Bei allen anderen wäre ich bereit, das Gegenteil zu behaupten.

Pandemie als Trendsetter - in beide Richtungen

Unabhängig von Ikeas eigener Stärke und der schwachen Konkurrenz: Die mehr als 100 Prozent Wachstum auf 1,75 Milliarden Euro E-Commerce-Umsatz hat Ikea zuvorderst einem Sondereffekt zu verdanken: der Corona-Pandemie. Der harte Lockdown im ersten Quartal 2021 hat dazu geführt, dass die Leute das Geld, das sie nicht für Reisen, Restaurantbesuche und Events ausgeben konnten, in ihr eigenes Zuhause investiert haben. In Möbel, Home Entertainment, Handys und die Ausstattung des Arbeitszimmers.
 
Diese Konsumverschiebung ist auch der Grund für das starke Abschneiden von Media Markt (Platz 3) oder Apple (+72 Prozent Online-Umsatz, wobei hier auch Apples Preiserhöhungen eine Rolle spielen) im EHI-Ranking. Ein Trend, der 2022 nicht anhalten wird. Die Menschen haben sich neu eingerichtet, sie haben neue Devices angeschafft. Vor allem haben wir eine historische Inflation und eine beginnende Rezession. Da überlegt man sich zweimal, ob es das iPhone aus dem Vorjahr nicht doch noch tut.
 
Was sonst noch in der EHI-Studie - deren Zahlen für einige Unternehmen auf Schätzungen beruhen und daher mit Bedacht interpretiert werden müssen - auffällt: Amazon ist mit mittlerweile 15,7 Milliarden Euro E-Commerce-Umsatz zwar noch immer unangefochtener Spitzenreiter, wächst mit 13,8 Prozent aber nicht so stark wie die restliche Top 10. Der Erfolg des eigenen Marktplatzes wird für Amazon zum Boomerang. Das Sortiment ist komplett unübersichtlich geworden, vor lauter China-Schrott finden Kunden nicht mehr das, was sie suchen. Anders als etwa bei MediaMarkt, wo die Auswahl viel kleiner ist, ich aber leichter die für mich relevanten Produkte finde. Klar, die Übermacht von Amazon ist weiter groß - aber das Momentum liegt bei den Nischenplayern. Wenn andere deutlich stärker wachsen, beginnt die Aufholjagd. So fing es damals auch an, als Amazon sich daran machte, eBay zu schlagen …

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