Internet World Messe Curated Shopping: Einführen oder einstellen?
Viele Händler haben sich schon an Curated Shopping versucht - und aufgegeben. Denn das betreute Einkaufen ist personalintensiv und verändert Unternehmensprozesse grundlegend.
Viele Händler haben sich schon an Curated Shopping, dem "betreuten Einkauf" durch persönliche Beratung, versucht: stationäre Modehändler wie Peek & Cloppenburg, Wöhrl sowie Mey & Edlich, aber auch Online-Anbieter wie der Große-Größen-Shop Navabi und das Start-up Mybook. Sie alle haben ihre Angebote nach einiger Zeit eingestellt oder zumindest auf Eis gelegt.
Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Unternehmen. Mybook hatte zwar durchaus Erfolg mit seinen Buchempfehlungen, dennoch fehlten Investoren, sodass dem Start-up das Geld ausging. Navabi hatte seine "Curve Box" erst einmal nur in einer Testphase im Angebot und will sich zur weiteren Planung noch nicht äußern. Wöhrl kämpft seit Jahren ums Überleben, und musste letzten Herbst Insolvenz anmelden - das Ende der "MyOutfit-Box". Bei Peek & Cloppenburg war zu hören, das Kundeninteresse sei eher verhalten gewesen. Mey & Edlich hingegen verzeichnete zwar eine gute Akzeptanz seines "Männerpakets", hat das Projekt wegen "begrenzten internen Ressourcen" aber vorerst auf Eis gelegt.
Oft erst einmal ein Test
Mey & Edlich dürfte einen ähnlichen Weg gegangen sein wie der Herrenausstatter Engbers. "Wir haben zunächst einen kleinen Test mit unserer Wunschbox gefahren, um zu lernen, was geht und was unsere Kunden möchten", betont Geschäftsführer Bernd Bosch. Er glaubt jedoch fest daran, dass die "Wunschbox" für bestimmte Zielgruppen ein ergänzendes Angebot darstellen kann.
Deswegen will er im Herbst mit einer konkreten Planung beginnen. "Zuerst müssen wir in Manpower investieren, damit sich ein oder zwei Mitarbeiter gezielt in das Thema vertiefen können", so Bosch. Und dann müsse man sich Gedanken über eine technische Umsetzung machen, denn "bisher lösen wir alles manuell", gesteht er.
Lösung speziell für Multichannel-Händler
Eine solche Lösung, die insbesondere stationäre Händler bei einem Curated-Angebot unterstützt, hat die Agentur Now Communication gemeinsam mit dem Mode- und Einrichtungshaus Frey in Ostbayern entwickelt. Basis der Lösung ist ein Magento-Shop, über den der eigentliche Kaufprozess abgewickelt wird. Dort sind auch die Produktdaten für das Zusammenstellen der individuellen Pakete hinterlegt. Das Modehaus Frey hat zusätzlich sein Customer-Relationship-Management-System (CRM) angebunden, mit dem auch die Kundenkonten im Webshop und die Kundenkarten aus der Stationärwelt verwaltet werden.
"Wir wollten das Rad ja nicht neu erfinden", begründet Now-Communication-Geschäftsführer Günter Nowodworski den Magento-Einsatz. Das Prozedere ist vergleichbar mit dem der großen Curated-Vorreiter wie Outfittery oder Modomoto. Der Kunde füllt einen Fragebogen aus und telefoniert anschließend mit seiner Stilberaterin. Diese Daten wandern in sein Kundenkonto. Im Gegensatz zu den Online-Anbietern erhält dann aber die Verkäuferin in der stationären Filiale diese Daten. Sie stellt die entsprechenden Outfits zusammen und legt ihre persönliche Karte bei. Hat der Kunde seine Lieblingsstücke ausgewählt und den Rest zurückgeschickt, fragt die Beraterin die Retourengründe ab.
Komplett neue Geschäftsprozesse
9.990 Euro kostet die Lösung inklusive individuellem Design. Ein vergleichbares Tool bietet auch das Essener Unternehmen Digitalwerk mit "Book A Style" an.Trotz der vergleichsweise überschaubaren Kosten für die Technik stehen die Händler nicht Schlange bei Nowodworski. Lediglich das Bad Reichenhaller Modehaus Juhasz bereitet zurzeit den Einsatz vor. Doch der Agentur-Chef ist froh darüber, denn: "Wir sagen interessierten Händlern sehr deutlich, dass sie sich sehr genau überlegen sollen, ob der Schritt wirklich der richtige für sie ist", so Nowodworski. "Ein Curated-Angebot bündelt erhebliche personelle Ressourcen und es verändert den Geschäftsprozess nachhaltig. Das ganze Haus muss wieder lernen, in kompletten Outfits und nicht mehr in Einzelteilen zu denken", warnt er.
Seiner Meinung nach kommt Curated Shopping erst für Händler mit einer Fläche von mindestens 5.000 Quadratmetern infrage. Und auch der Frey-Geschäftsführer Helmut Hagner verhehlt nicht, dass er mit seinem Angebot "Modefreyhaus.de" rote Zahlen schreibt und dies ein Lernprozess ist. Aber er macht auch deutlich, dass er fest an den Erfolg glaubt und das Engagement als Zukunftsinvestition betrachtet.
Technik kann Menschen nicht ersetzen
Die Lösung von Now Communication ist auch für Webshops geeignet, allerdings sind stets Menschen nötig, die die Zusammenstellung übernehmen - ganz so wie bei den reinen Online-Anbietern Outfittery, Modomoto oder Zalon. Sie alle setzen auf inhouse entwickelte Lösungen, halten sich aber bedeckt, wenn es um technische Einzelheiten geht. Zalon verwendet sein "Zalon Stylisten Tool", das mit dem Shop der Mutter Zalando verbunden ist. Bei Outfittery steht eine selbst entwickelte Datenbank im Mittelpunkt, in der Produktdaten und auch Retourengründe erfasst werden. Inwieweit eine Recommendation Engine oder auch ein CRM-System verknüpft sind, will Outfittery nicht verraten.
"Wir haben vom ersten Tag an eine individuelle Lösung geschaffen und dabei auf Microservices gesetzt", erklärt Modomoto- Geschäftsführer Mathias Fiedler. Kern ist auch hier eine Datenbank, die mit ergänzenden Systemen wie zum Beispiel einer Empfehlungs-Machine verbunden ist. "Wir haben verschiedene Machine-Learning-Verfahren im Einsatz und versuchen, so viele Prozesse wie möglich zu automatisieren. Dennoch ist die Beratung zu 100 Prozent Mensch. Dieser nutzt jedoch zu 100 Prozent die Maschinen", so Fiedler.
Trotz der selbstlernenden Algorithmen ist der Faktor Mensch das Wichtigste: "Die Entscheidung, was final in die Box kommt, trifft immer der Mensch", betont auch Outfittery-Gründerin Anna Alex. Das aber ist aufwendig - und kostet. 350 Stylistinnen beschäftigt Zalon, bei Outfittery stehen 150 Beraterinnen 30 IT-Mitarbeitern gegenüber. Auch bei Modomoto gehört das Gros der 250 Mitarbeiter dem Berater-Team an.
Lösung speziell für Online-Shops
Dieses Problem für Shop-Betreiber zu lösen hat sich 8Select auf die Fahne geschrieben. Einst selbst als Curated-Shopping-Anbieter gestartet, konzentrieren sich die Berliner nun auf die Technologie. "Nötig ist eine technische Lösung, die die Outfits automatisiert zusammenstellt und den Stylisten zuliefert, die sie dann nach außen verkörpern", erklärt 8Select-Geschäftsführer Mathias Stiefel.
Aus insgesamt vier Modulen besteht seine Software-as-a-Service-Lösung, die Shop-Betreiber gegen eine Umsatzprovision von durchschnittlich vier Prozent ohne weitere Setup-Kosten nutzen können. Händler wie Gina Laura, Betty Barclay, Van Graaf und s.Oliver stehen auf der Kundenliste.
Allerdings nutzen sie alle das Tool letztlich als Recommendation Engine für komplette Outfits, die dann im Shop gezeigt werden, gesteht Stiefel. Als Curated-Shopping-Lösung im Hintergrund für die Berater ist es derzeit nicht im Einsatz. Für viele Shop-Betreiber, deren Geschäftsmodell nicht ausschließlich auf Curated Shopping beruhe, sei der Aufwand noch immer zu hoch. Retourenquoten von 80 Prozent seien normal, die Aufbereitung der Ware teuer, da würden sich viele Online-Händler fragen, ob sich das wirklich lohne. Dennoch: Über die Präsentation kompletter Outfits erzielen die 8Select-Kunden teils Steigerungen des durchschnittlichen Warenkorbwerts von gut 50 Prozent.
Nicht nur Mode eignet sich für Curated Shopping
Doch nicht nur Mode eignet sich für Curated Shopping. 3Weine hat sich die Kaufberatung für Wein auf die Fahnen geschrieben. Das Konzept: Der Kunde bekommt drei Flaschen Wein, von denen er dann zurückmelden soll, ob sie ihm geschmeckt haben oder nicht. Anhand dieser Auswahl stellt 3Weine das nächste Dreierpack zusammen. Nach zwei bis drei Boxen weiß der Shop-Betreiber, was der Kunde mag, und kann ihn gezielt bedienen. Noch steht das Unternehmen ganz am Anfang, räumt Geschäftsführer Frank Leue ein. 65 Weine von 15 Winzern stehen momentan zur Auswahl, "das reicht natürlich auf Dauer nicht", so Leue.
Der Software-Ingenieur und Weinliebhaber hat die Datenbank, in der alle Kriterien wie der Zucker- und Alkoholgehalt, der Reifegrad und die Flaschengestaltung hinterlegt sind, und auch den hinter der Empfehlung liegenden Algorithmus selbst entwickelt. Sein Ziel ist, die Auswahl für den Kunden einfach zu halten, lange Fragebögen und Fachbegriffe zu vermeiden - auch, um neue Zielgruppen zu erreichen. Noch ist das Geschäft überschaubar, eine dreistellige Anzahl Pakete verschickt er pro Monat. "Aber wir wissen, dass da noch sehr viel mehr geht", ist er sich sicher.
Auch die Tourismus-Branche hat das Geschäftsmodell für sich entdeckt: Das Start-up Fineway bietet Curated Shopping für Reisen an.