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Expert Insights Von der App zum Ökosystem

Wer es mit seiner App nicht auf den "First Home Screen" des Smartphone-Nutzers schafft, landet schnell im digitalen Nirwana. Die Zukunft gehört deshalb Ökosystem-Apps, die vielfältige Funktionen vereinen.

Zwei Drittel aller Deutschen besitzen heute ein Smartphone. Und wir nutzen das Smartphone häufig, durchschnittlich mehr als 100 Mal täglich, und intensiv. Damit hat das Smartphone innerhalb kürzester Zeit den PC als meistgenutztes digitales Zugangsgerät zu webbasierten Angeboten abgelöst und steht davor dem Fernseher seinen Rang als aufmerksamkeitsstärkstes Medium im Haushalt abzulaufen.

Die Aufmerksamkeit, die dem Smartphone dadurch zukommt, spiegelt sich in der explosiven Entwicklung an verfügbaren Apps wieder: In Apples App Store kann der Nutzer aus 1,4 Millionen Apps auswählen, im Google Play Store sind es sogar 1,5 Millionen. Doch die Gunst der Smartphone-Nutzer ist knapp bemessen: 30 Prozent von ihnen haben nur zwischen elf und 20 Apps auf ihrem Smartphone installiert, weitere 30 Prozent sogar weniger als elf Apps. Und kommt es zum App-Download, bedeutet das deshalb nicht gleich, dass die Mobile Applikation auch genutzt wird. Die Zahl der Apps, die nach der Erstnutzung nie wieder aufgerufen werden, wächst rapide. Und auch die Apps die zu Beginn genutzt werden müssen sich über die Zeit beweisen - nach einem Jahr werden nur 5 Prozent der installierten Apps - oder in anderen Worten jede zwanzigste App - noch genutzt. Die nicht regelmäßig genutzten Apps landen hingegen bestenfalls auf der dritten Homescreen-Seite oder in einem Ordner "Sonstiges" - mit anderen Worten: im digitalen Nirwana.

Nur wer sich auf dem sogenannten "First Home Screen" (also der ersten Seite nach Entsperren des Smartphones) des Nutzers platziert und dadurch wiederkehrend gefunden und genutzt wird, der hat es wirklich geschafft. Klassischen Prinzipien der digitalen Ökonomie folgend ("Winner takes all-Prinzip") geht die Schere dann rasch auseinander.

Zugeschnittene Angebote und personalisierte Apps

Was muss eine App also haben, um den Weg ins Herz - oder besser gesagt, unter den Finger - der Smartphone-Nutzer zu finden? Studien zeigen, dass die Nutzer relevante, auf sie zugeschnittene Angebote, integrierte Services und personalisierte Apps wünschen. Dies verdeutlicht auch unser tägliches Verhalten - einige wenige Apps allokieren unsere Aufmerksamkeit. Weitere wichtige Faktoren sind UX (User Experience) und UI (User Interface). Heißt, Apps müssen intuitiv sein - Kunden wollen mit möglichst wenigen Klicks durch die App navigieren. Gleichzeitig sollen Apps inspirieren. Und schließlich wünschen sich die Nutzer mobile Applikationen, die das Smartphone zum digitalen Gegenbild eines Schweizer Taschenmessers machen: Das Mobile soll ein Werkzeug für jeden Zweck bieten.

Eigentlich ein Argument für die spezialisierte einzelne App, doch möchten die Nutzer sich nicht mit der langwierigen Suche nach dem richtigen Werkzeug befassen - und sich dabei wie früher die Fingernägel abbrechen -, sondern sie möchten einfach nutzen. Im Idealfall direkt im Kontext und wie selbstverständlich sowie ohne weiteren Aufwand.

Apps werden multifunktional

Die Antwort auf das Nutzerbedürfnis nach hochgradig funktionalen, aber auch stark relevanten mobilen Applikationen sind Ökosystem-Apps - Apps, die mehrere Funktionen in sich vereinen. Ein Musterbeispiel dafür ist die in China und im asiatischen Raum führende App WeChat. Neben einer WhatsApp-artigen Chatfunktion bietet die App unter anderem auch ein an Facebook angelehntes soziales Netzwerk, Onlineshopping- und Mobile-Payment-Funktionen. Damit können wesentliche Aspekte der Smartphone-Nutzung aus einer App heraus erledigt werden - und WeChat ist der Platz auf dem First Home Screen der Nutzer sicher.

Auch in Deutschland gibt es bereits gute Beispiele für Ökosystem-Apps. Dazu zählen Moovel und Runtastic. Beide Apps verknüpfen verschiedene Services zu einem ganzheitlichen Erlebnis. Runtastic startete als reine Fitness-Tracking-App und bietet heute Trainingspläne, Ernährungstipps sowie eine Community rund um Fitness und Lifestyle. Die Mobilitäts-App Moovel ermöglicht neben dem Car- und Bikesharing auch die Bestellung von Taxis sowie die Bezahlung von Bahn- und Nahverkehr-Tickets.

Die Entwicklung hin zu multifunktionalen Apps lässt sich auch im E-Commerce-Umfeld beobachten. So versuchen Plattformen wie zum Beispiel Instagram, Google oder Twitter, in ihre Apps sogenannte "Buy-Buttons" einzubauen. Ziel ist es, eine ganzheitliche Customer Journey zu schaffen und den Bestellvorgang für den Kunden zu vereinfachen.

App-Entwicklung neu ausrichten

Wie könnte der Weg für App-Entwickler hin zu einer Ökosystem-App im Detail aussehen? Zunächst lohnt sich dabei der Blick auf die strukturellen Voraussetzungen: Für eine ganzheitliche Ökosystem-App sind Kooperationen essentiell. Werden Services und Produkte verschiedener Firmen kombiniert, steigt der Mehrwert für den Nutzer exponentiell. Und der Mehrwert für die kooperierenden Partner steigt mit. Doch wer hat das Zeug zur regelmäßig genutzten Meta-App und welche Funktion fließt eher in einen übergreifenden Dienst ein?

Einen Fingerzeig dazu hat kürzlich Apple gegeben, das nach Facebook erste Meta-Apps definiert hat und die Schnittstellen im Ökosystem zur Teilnahme an diesen geöffnet hat. Es handelt sich dabei um die Funktionen Maps (Navigation und lokale/vertikale Suche), iMessage (asynchrone und Gruppenkommunikation), Telefon (synchrone Voice-/Bild-Kommunikation) und Siri (Suche/Assistent). Weitere denkbare Ansatzpunkte für Ökosystem-Apps sind Kamera, Kalender, Entertainment, News und Shopping. In diese Meta-Apps integrieren sich Funktionen wie beispielsweise das Bezahlen von Inhalten.

Wichtig für Erfolg von Ökosystem-Apps

Neben diesen strukturell-technischen Aspekten ist das Nutzerverhalten die zweite wichtige Variable für den Erfolg von Ökosystem-Apps. Die in Frage kommenden Plattformen müssen entsprechend großes Vertrauen und Relevanz schaffen, damit sowohl Entwickler als auch Nutzer diese Plattform nutzen. Im Bereich soziale Medien ist beispielsweise Facebook aktuell klar dominierend, ebenso gilt dies für Google als Suchmaschinen-und Mehrwert-Plattform. Beide Apps können aufgrund der Nutzungsfrequenz klar als "Daily Apps" bezeichnet werden, die sich nachhaltig im "Relevance Set" der Nutzer etabliert haben. 

Diese Apps bieten sich für Entwickler als bevorzugte Andockstelle für ergänzende Anwendungen an. Mit dem Zugriff auf eine Vielzahl an Services halten und erweitern die Ökosystem-Apps wiederum ihre Relevanz für die Nutzer - und laufen damit keine Gefahr, in absehbarer Zeit im digitalen Nirwana zu verschwinden. Vielmehr belegen die Apps wichtige Plätze auf dem First Home Screen der Nutzer und lassen alleinstehenden, spezialisierten Apps nur sehr geringe nachhaltige Chancen. Jedoch gilt es als kooperierender Partner der Meta-Apps die Chancen, wie beispielsweise die Reichweite, und die Risiken, wie beispielsweise eine erhöhte Abhängigkeit, im Einzelfall gründlich zu durchdenken, um auch zukünftig mit seinen Services noch zu den Smartphone-Nutzern durchdringen zu können.


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