
Cross-Border-Online-Handel Azoya: "Chinesen sind an ein hohes Service-Level gewöhnt"
Elena Gatti, Managing Director DACH, Azoya
Elena Gatti, Managing Director DACH, Azoya
Auf 300 Millionen Menschen wird Chinas Mittelklasse in den kommenden zehn Jahren anwachsen, prognostizieren Marktforscher. Elena Gatti, Managing Director DACH von Azoya, erklärt, wie der Cross-Border-Online-Handel nach China funktioniert.
Der chinesische Singles Day, Chinas Äquivalent zum Black Friday, hat es wieder einmal gezeigt: Die Umsatzpotenziale im Land der großen Zahlen sind immens. Allein der E-Commerce-Riese Alibaba meldete 256.000 Transaktionen - pro Stunde wohlgemerkt. Insgesamt wechselten an diesem Tag Waren im Wert von 21,8 Milliarden Euro den Besitzer. Kein Wunder, dass es immer mehr europäische Händler und Brands nach China zieht.
Doch der Verkauf im neuen Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat auch seine Tücken. So mancher Händler hat sich dort schon eine blutige Nase geholt und viel Lehrgeld bezahlt. Elena Gatti, Managing Director DACH von Azoya, die Händlermarken bei der Expansion nach Cina beraten, weiß, wie man Anfangsfehler vermeidet.
Es gibt Stimmen, die sagen, wer nicht schon vor fünf Jahren in China gestartet ist, kann es inzwischen ganz lassen. Ist dieser Eindruck richtig?
Elena Gatti: Der Wettbewerb auf dem Markt hat sich in den vergangenen zwei Jahren in der Tat sehr verstärkt. Als China vor vier bis fünf Jahren als größter Konsumentenmarkt der Welt erkannt wurde, drückten viele Player in den Markt. Entsprechend sind die Kosten für Traffic Akquise deutlich gestiegen. Dies gilt aber vor allem für typische Kategorien wie Babynahrung oder Nahrungsergänzungsmitteln. In anderen Kategorien wie Sport, Outdoor oder Fashion wächst die Nachfrage der chinesischen Kunden. Die gehobene Mittelklasse in China hat erkannt, dass Sport gut für die Gesundheit ist. Entsprechend sieht man inzwischen sehr viele Leute joggen. Noch ist der Wettbewerb nicht allzu groß. Wer in diesem oder im nächsten Jahr startet, hat noch gute Chancen. Auch für Accessoires, Schuhe Taschen, Handtaschen oder Brillen sehen wir Potenzial.
Wenn ich nach China expandieren will - wie fange ich an?
Gatti: Das erste, was man sich überlegen sollte, ist, was man überhaupt anbieten will. Händler sollten vorab prüfen, ob es für die eigenen Kategorien in China auch eine Nachfrage gibt. Dann muss man klären, ob man mit bekannten Marken nach China geht oder versucht, seine Eigenmarken zu verkaufen. Unsere Erfahrung ist, dass es der bessere Weg ist, erstmal mit bekannten externen Marken in China Reputation und Vertrauen aufzubauen. Mit so genannten 'Hot Items' kann man auch den Traffic auf der eigenen Website erhöhen. Wenn man später bekannter ist, kann man höhermargige Eigenlabels nachschieben. Wer unbekannte Marken in China einführen will, muss sehr viel in Marketing investieren. Das wäre hierzulande aber auch nicht anders.
China ist ein Billigland. Werden dort die Preise gehobener europäischer Marken überhaupt bezahlt?
Gatti: Es stimmt, dass die chinesischen Konsumenten sehr preisbewusst sind. Im Gegensatz zu europäischen Kunden verbringen die Chinesen sehr viel Zeit mit Preisvergleichen und es ist fast eine Art Nationalsport, nach dem billigsten Schnäppchen zu suchen. Die eigene Preisstrategie muss also stimmen. Außerdem reagieren die chinesischen Verbraucher verschnupft, wenn sie merken, dass das gleiche Produkt in Deutschland viel günstiger angeboten wird. Eine gewisse Preiserhöhung wird akzeptiert, aber wer den fünffachen Preis verlangt, riskiert es, das Vertrauen der Kunden zu verlieren. Allgemein sind die chinesischen Konsumenten aber durchaus bereit, die höheren Preise zu bezahlen, weil sie bewusst nach europäischer Qualität suchen und diese schätzen. Sie sind auch bereit, auf ein Päckchen aus Deutschland drei Wochen zu warten, weil sie wissen, dass da ein Qualitätsprodukt aus Deutschland kommt. Deswegen ist auch der deutsche Poststempel auf dem Paket so wichtig.
Wenn der deutsche Poststempel so wichtig ist, sollte die Logistik dann am besten aus Deutschland erfolgen?
Gatti: Das ist auf jeden Fall nicht verkehrt. Für die Cross-Border-Kunden ist es wirklich extrem wichtig, zu sehen, dass ein Paket aus Deutschland verschickt wurde. Je weniger chinesische Schriften darauf sind, desto besser. Chinesische Bekannte von mir verschicken auch ganz fleißig Pakete nach China. Und sie machen ständig Bilder. Denn ihre Kunden dort wollen per Fotobeweis sehen, wie sie die Ware beispielsweise bei dm kaufen, wie sie die Pakete hier einpacken oder welche Inhaltsstoffe ein Produkt hat.
Gretchenfrage: Tmall oder eigener Shop - wie startet man optimal?
Startet man seinen Online-Handel in China besser auf einem Marktplatz wie Tmall oder funktioniert auch ein eigener Online Shop?
Gatti: Hier macht es tatsächlich einen Unterschied, ob man Hersteller ist oder Händler. Als Brand kann sich der Eintritt über Marktplätze mittelfristig lohnen, weil die Marge höher ist. Als Händler kann ich auf Marktplätzen zwar die Nachfrage für Produkte testen, aber das Überleben und die Profitabilität sind extrem schwierig. Der Wettbewerb ist einfach immens groß. Und neben einer jährlichen Gebühr und den Provisionen auf Tmall müssen Händler in der Regel noch Kosten für Tmall-Partner einkalkulieren, die sie in China begleiten. Natürlich bekommen sie auch etwas für ihr Geld: Der ganze Traffic ist da und die Handhabung ist leicht. Aber Sie werden es als Händler nicht schaffen, unter Tmall eine Marke aufzubauen. Dort geht es nur um das Produkt, nicht um den Händler. Man muss sich also überlegen: Will ich nur Produkte verkaufen oder mittelfristig als Marke in China Fuß fassen. Wer letzteres will, ist mit einem eigenen Webshop besser bedient. Man darf auch nicht vergessen, dass Alibaba selbst Händler ist und Brands vielleicht anders behandelt als Händler. Ein eigener Webshop bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich. Marketing in China zu machen, ist komplex. Die digitale Medienlandschaft sieht komplett anders aus als bei uns. Wir kennen Google, Facebook und Instagram. In China gibt es die nicht. Man befindet sich nicht nur im Ausland, sondern fast in einer anderen Welt. Und sich in dieser digitalen Landschaft zurechtzufinden und gezielt Marketing zu betreiben und Traffic zu generieren, ist als Deutscher von Deutschland aus schwierig.
Kaufen Händler denn überhaupt in Online Shops? Den Löwenanteil an Traffic ziehen doch Alibaba und JD.com auf sich.
Gatti: Die meisten Käufe finden in der Tat über Marktplätze statt. Aber es gibt Händler, die sich einen eigenen Kundenstamm aufbauen und damit ganz gut unterwegs sind. Denn der Cross-Border-Kunde ist treuer als ein durchschnittlicher Kunde aus Deutschland. Wenn der weiß, dass der Händler in Deutschland tatsächlich existiert und die Logistik funktioniert, kauft er dort auch wieder ein. Wir haben ein paar Key-Opinion-Leader in China. Die laden wir dann zu unseren Kunden in Deutschland ein, wo sie Online-Videos machen. Erst im September hat einer dieser Influencer einen unserer Partner in Deutschland besucht, Livestreaming-Videos mit ihren Fans aus dem Warenlager gemacht, Coupons verschenkt und sich mit dem Geschäftsführer unterhalten. Im Peak waren 600.000 Follower gleichzeitig live und insgesamt generierten wir über den gesamten Zeitraum vier bis fünf Millionen Views.
Haben Sie sonst noch Tipps zur Kundenakquise und Kundenbindung?
Gatti: Wir stellen immer wieder fest, dass chinesische Kunden immer gut informiert sein wollen. Die lesen und recherchieren wirklich. Wenn man sich eine chinesische Produktbeschreibung anschaut, dann muss man Seite über Seite über Seite scrollen. Es gibt einen riesigen Bedarf nach Informationen über Inhaltsstoffe, Anwendungsgebiete etc. Auf der anderen Seite wollen die Chinesen aber auch unterhalten werden. Wer sie binden will, sollte immer wieder Games anbieten oder Promotions veranstalten. Der Händler mit dem Influencer hat inzwischen einen eigenen WeChat-Kanal mit 76.000 Followern. Für die macht er aus Deutschland immer wieder live kleine Video-Sequenzen und lässt seine Kunden teilhaben am deutschen Leben. So pusht er seine eigenen Produkte. Und das funktioniert gut. Letzten Endes ist auch ein guter Service zur Kundenbindung wichtig. Der Chinese ist an sehr hohe Standards gewohnt. Die fragen per WeChat nach, wo ihr Paket ist. Und das Paket sollte da sein, wenn es versprochen wird. Denn alles wird bewertet und über Social Media geteilt.
Freihandelszone: Strategie nicht ganz ohne Risiko
Kommen wir nochmal zum Thema Logistik. Welche Herausforderungen ergeben sich denn da?
Gatti: Es gibt grundsätzlich zwei Wege, Online-Bestellungen nach China zu schicken. Entweder packt man die Pakete in Deutschland und verschickt die Pakete tropfenweise nach China. Das hat den Vorteil, dass ein Händler vergleichsweise geringe Investitionen hat, weil Fulfillment und Lagerbestand in Deutschland sind. Auch die Prozesse ändern sich kaum - mit der Ausnahme, dass die Ware nach China robuster verpackt werden sollte, denn die chinesischen Dienstleister gehen mit den Paketen nicht gerade zimperlich um. Hier merken wir, dass Händler, die das Fulfillment sehr automatisiert erledigen, größere Probleme haben als Händler, die noch viel manuell machen. Die andere Möglichkeit ist der Versand über Freihandelszonen: Hier lagern Händler ihre Produkte, in der Regel die Bestseller, in einem Lagerhaus in China, das aber eine Freihandelszone ist. Die Ware kann steuerfrei in China lagern. Der Zoll wird erst fällig, wenn eine Bestellung angekommen ist.
Was würden Sie empfehlen?
Gatti: Dropshipping hat natürlich den Nachteil, dass es zehn bis 14 Tage dauert, bis das Paket ankommt. Wer aus Freihandelszonen verschickt, kann Pakete innerhalb von zwei bis drei Tagen zustellen. Es ist aber auch das riskantere Modell, denn die Gesetze ändern sich mehr oder weniger monatlich. Es ist schon häufiger passiert, dass das, was vorher eine Freihandelszone war, von einem Tag auf den anderen keine mehr ist. Und natürlich ist das Modell auch kapitalintensiver, da ich ein Lager bauen und ein Fulfillment installieren muss. Wir empfehlen unseren Kunden, mit Dropshipping zu starten und später, wenn die Bestseller bekannt sind und man die Gesetze der Freihandelszone besser beurteilen kann, im zweiten Schritt die Freihandelszone zu nutzen.
Viele Händler haben sich in China schon eine blutige Nase geholt und viel Lehrgeld bezahlt. Mit welchen Kosten muss ich denn rechnen?
Gatti: Sie brauchen in China für viele Dinge Partner - und jeder zusätzliche Dienstleister muss bezahlt werden. Tmall beispielsweise ist auch so einer. Dann sollte man wissen, dass die Chinesen sehr viel nach Kampagnen einkaufen. Je mehr Kampagnen ein Händler macht, desto höher steigt die Zahl der Bestellungen. Ein funktionierender Trick für Cross-Border ist Gratisversand. Aber auch das ist ein Kostenfaktor, der in meiner Marge berücksichtigt werden muss.