Big Data war und ist derzeit eines der großen Buzzwords in der Online-Marketing-Branche. Doch warum dreht man den Big-Data-Spieß also nicht einfach um? Das fragt David Eicher, Geschäftsführer der Münchner Webguerillas.
Alle Macht den Usern, so Ihre Forderung: Internetnutzer sammeln selbst ihre persönlichen Daten und verkaufen sie gegen Entgelt weiter. Wie stellen Sie sich das vor?
David Eicher: Ende des Statistendaseins, ab heute bin ich Hauptdarsteller, das ist das Prinzip. In der Praxis heißt das, der User lässt sich nicht mehr von Cookies tracken und mit Werbung bespielen, er bestimmt selber, welche Angebote er bekommt. Ich stelle mir eine Bewegung vor, die ein eigenes Portal entwickelt, das alle persönlichkeitsrelevanten Daten aggregiert und diese an die Industrie vermarktet, und zwar genau in dem Umfang, in dem das vom User gewollt ist und natürlich gegen ein entsprechendes Entgelt.
Big Data ist doch bei allen Agenturen inzwischen ein riesiges Thema, gibt es denn nicht schon ohnehin genug Informationen über die Zielgruppen?
Eicher: Ja, aber es ist wesentlich teurer, auf Verdacht anonymisierte potenzielle Käufer anzusprechen, als seine Zielperson wirklich zu kennen, und das hat man ja nur, wenn der Nutzer sich identifiziert. Man kann über das Userverhalten oder über die Social Media Interaktionen mit Freunden schon sehr viel Salesrelevante Informationen rausziehen. Das geht umso besser, je persönlicher die Daten sind. Wir können also bereits sehr viel aggregieren und analysieren, aber der Datenschutz stellt zumindest hierzulande sicher, dass wir die aggregierten Daten nicht mit Personendaten verknüpfen dürfen. Immer nur Daten zu aggregieren, ist aber auf Dauer zu wenig, insbesondere wenn es um die Identifizierung von Influencern geht. Da muss man aus der Anonymität raus und personifizierte Daten haben.
Datenschützer gehen aber davon aus, dass bereits viel zu viel über uns bekannt ist…ist das falscher Alarm?
Eicher: Nein, jeder von uns hinterlässt Spuren im Netz und gibt freiwillig auch Informationen preis an Unternehmen und Dienste, deren Verkettungen auf den ersten Blick nicht ganz deutlich werden. Man muss sich schon genau durch alle AGBs wühlen, um zu erfassen, dass ein Service oder eine App, die uns das Leben einfacher machen will, in Wirklichkeit von der Industrie gesponsert wird, die die Daten dann auch für sich nutzt. Man wird als User in der Tat völlig transparent. Bestes Beispiel sind Fitness- oder Healthcare-Apps, die die Gesundheit, die Fitness, ja oft sogar die Lebensplanung aufzeichnen. Nehmen Sie mal die Nike Running App, da geht es vordergründig um Sportartikel, aber natürlich will Nike damit vor allen Dingen Erkenntnisse sammeln, wer für welches Produkt geeignet ist und wo sich Cross-Selling Potenzial ergibt.
Man kann sich aber mit einem anonymen Profil anmelden…
Eicher: Genau, und hier beginnt es für unser Modell interessant zu werden. Denn wenn der Nutzer ohnehin schon bereit ist, all seine Daten zu erfassen und weiterzugeben, warum nicht gleich noch eins oben drauf setzen und auch seine Identität preisgeben? Das wäre die Kirsche obendrauf, denn all die aggregierten Daten schaffen ja nur eine Annäherung, nie aber den direkten Kontakt zu genau dem User, der genau die Produkte und Dienstleistungen nachweislich haben will. Die Unternehmen könnten dabei immer noch eine Menge Geld sparen, denn einen qualifizierten Kontakt zu schaffen ist in der Regel teurer als direkt eine qualifizierte Adresse zu kaufen.
Vorausgesetzt, die User sind bereit dazu. Wie hoch schätzen Sie das Potenzial ein?
Eicher: Die Bereitschaft, persönliche Daten offenzulegen ist ja offensichtlich vorhanden. Denken Sie nur an die 25 Millionen Facebook-Nutzer hierzulande. Wenn nur 10 Prozent mitmachen, wären das schon 2,5 Millionen Menschen. 2,5 Millionen Profile, die sich runterbrechen lassen in jede Nische des täglichen Konsums. Das ist für die Industrie schon durchaus eine interessante Größe. Die entscheidende Frage ist: Stehen wir an einem Punkt , an dem wir restlos dichtmachen, kein Profil mehr ausfüllen, keinerlei Daten mehr angeben, oder stehen wir an einem Punkt, an dem wir die Schlacht sowieso schon verloren geben, weil sowieso schon alles getrackt wird? Wir könnten den Spieß doch einfach umdrehen und unsere Opfersituation in eine Akteursituation switchen. Damit hätten wir das Heft voll in der Hand und würden selbst bestimmen, wer welche Informationen über uns bekommt. Der User könnte aktiv entscheiden, an wen er sich verkauft. Und er hätte abgesehen von dem finanziellen Entgelt ja auch noch einen Nutzen davon, wenn er genau und ausschließlich die Informationen bekommt, die tatsächlich für ihn relevant sind und nicht die, von dem ein Retargeting-System annimmt, dass sie (immer noch) interessant sein könnten.
Vermarkter bezahlen Nutzer für ihre Daten
Wie stellen Sie sich die Umsetzung konkret vor?
Eicher: Noch ist es ja nur ein erster Gedanke. Aber warum sollte es nicht eine Art Bewegung geben, die sich genau zu diesem Zweck zusammenschließt? Jeder User erfasst dabei seine Daten selbst, indem er sie eingibt oder ein Trackingtool mitlaufen lässt. Wie gesagt, dies alles erfolgte ja freiwillig und im Bewusstsein, die eigenen Daten zu veräußern! Die Daten werden zentral verwaltet und dann weiter an Mediaagenturen oder Dialogagenturen vermarktet. Dabei könnten die Informationen nach bestimmten Themengebieten und Kategorien klassifiziert werden. Man könnte zudem unterscheiden nach selbstaufgezeichneten oder erfassten Leistungsdaten und nach Streamingdaten, die aufgrund der Userjourney im Netz erfasst wurden. Jeder User könnte bestimmte Boxen oder Einzeldaten freigeben oder eben nicht. Bestimmte Unternehmen oder Branchen könnte er ausschließen, wenn er partout keine Informationen dazu haben möchte. Wenn ein Unternehmen wissen will, wer hinter dieser interessanten Zielperson steckt, müsste es erst zahlen, bevor er die Identifizierung bekommt.
Wie soll so eine Bewegung in die Gänge kommen?
Eicher: Die Idee könnte von einem Start-up oder vielleicht sogar als Open-Source-Lösung wie Wikipedia umgesetzt werden. Ich glaube, es gibt einige sehr aktive User, die sich mit Elan auf so ein Thema stürzen würden. Denken Sie nur an Google, an Facebook. Das waren ja anfangs auch nur ein paar Programmierer, die einfach mal angefangen haben, etwas mit Nutzwert für andere Internetuser zu entwickeln.
Das klingt aber sehr altruistisch. Letztendlich wollen doch alle irgendwann Geld machen…
Eicher: Ja, aber es gibt ja auch so Beispiele wie Firefox oder Wikipedia. Die Urväter von Firefox haben an der Entwicklung garantiert nichts verdient. Wikipedia baut heute noch auf der Bereitschaft der Leute auf, Daten zu sammeln und zu verbreiten. Ganz viele Dienste, wurden zunächst von der Crowd entwickelt. Und, wie gesagt, es gibt ja ein Geschäftsmodell: die Daten sollen ja vermaktet werden. Die Vermarktung aller Userdaten sollte nur möglichst aus einer Hand kommen, denn die Selbstvermarktung seiner eigenen Daten wird nicht funktionieren.
Ganz abgesehen von den Programmierern der Plattform, wie würde man die User entlohnen?
Eicher: Die User würden ihr Geld vom Vermarkter erhalten, der wiederum vom Unternehmen bezahlt wird. Das Pricing richtet sich dann etwa nach der Art, der Menge, der Aktualität, dem Userstatus und dem Privatstatus der Informationen - ähnlich wie das heute schon bei der Vermarktung von Leads gehandhabt wird. Nehmen wir mal an, es gäbe 50 Persönlichkeitskategorien mit jeweils 10 Angaben. Jede einzelne dieser Angaben kostet das Unternehmen 50 Cent. Es gäbe eine Gebühr, das System überhaupt zu nutzen: sagen wir mal einmalig 50 EUR p.a.. Und jede Kategorie zu nutzen, kostete obendrein 5 Euro. Somit gäbe es eine Reihe möglicher Erlösquellen und am Ende vielleicht ein gutes Zubrot für so manchen User.
Fürchten Sie dabei keinen Paneleffekt? Am Ende enthält die Datenbank nur begeisterte Nerds und Internetverweigerer, nicht aber die breite Masse?
Eicher: Ich glaube, das ganze könnte an Fahrt gewinnen, wenn die ersten 100 Euro über den Tisch gegangen sind. Wenn die Menschen merken, dass man damit Geld machen kann und das twittern, bloggen, auf Facebook posten, dann kommen weitere Menschen, dann wird die kritische Nutzermasse sicher schnell überschritten.