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Sonstiges 20.03.2015
Sonstiges 20.03.2015

Zielgruppen erreichen Targeting versus Umfeldplanung

shutterstock.com/Jirsak
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Ist Targeting oder klassische Umfeldplanung zielführender? Meist bringt eine Kombination aus beiden Ansätzen letztlich den Werbeerfolg.

Von Raoul Fischer

Sie wollen die Zielgruppe "jung, männlich, Single" erreichen? Machen Sie es wie der US-Lieferservice Eat24. Der schaltete seine Werbung für Burger, Pizza, Thaifood etc. zwischen Erotik-Videos auf diversen Pornoseiten - mit durchschlagendem Erfolg.

Die Banner waren nicht nur viel günstiger als Werbung auf Facebook, ­Google oder anderen Plattformen, sie waren auch weitaus erfolgreicher und brachten Eat24 Tausende Neukunden ein. Das Beispiel ist nicht mehr ganz neu, aber es macht klar, welche Faktoren zusammenkommen müssen, damit Online-Werbung erfolgreich ist: Die richtige Zielgruppe wird im richtigen Umfeld in der richtigen Situation mit dem passenden Angebot angesprochen.

Den wichtigsten Faktor sehen viele Mediaplaner und Experten in der Zielgruppe. Daher bekommt Audience Buying, der ­gezielte Einkauf von Reichweite in einer Zielgruppe über Targeting, eine immer größere Bedeutung. "Targeting ist der klassischen Umfeldplanung überlegen, weil es in der Online-Werbung der Hebel zu mehr Effektivität (also Relevanz) und Effizienz (sprich Reduzierung von Streuverlust und Ausschöpfung der Reichweite) bei der Zielgruppenansprache ist", sagt Jörg Klekamp, Adition-Vorstand und Vorsitzender der Fokusgruppe Targeting im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW).

"Das Werbeumfeld ist allerdings ein wichtiger Hilfsfaktor, der die Wirkung einer Kampagne verstärken kann." Deutet sich da ein Paradigmenwechsel in der Online-Werbung an, oder ist er gar schon vollzogen? "Den sehe ich nicht", sagt Jörg Schneider, Country Manager bei Undertone. Er hält den Faktor Umfeld für nach wie vor für unverzichtbar: Image-Transport, Brand Safety, Qualitätssicherung und Transparenz sind für ihn die Stichwörter in Bezug auf Qualität und Sichtbarkeit, Share of Voice (Anteil der eigenen Anzeige an allen ausgelieferten Werbeformaten auf einer Website) und Planbarkeit sind die quantitativen Kriterien.

"Diese Indikatoren sind noch immer für den Erfolg einer Kampagne maßgeblich und nur durch eine Umfeldplanung restlos gewährleistet", sagt Schneider. Zudem seien Sonderwerbeformen nur bedingt über Targeting-Mechanismen auslieferbar, da sie nicht standardisiert seien. Zeit also für eine Bestandsaufnahme: Was bringt die besseren Ergebnisse - Audience Buying oder die klassische Belegung bestimmter Werbeumfelder? Zur Klärung gilt es, verschiedene Themen wie Zielgruppengenauigkeit, Wirkung des Werbeumfelds, Customer Journey sowie Datenqualität abzuklopfen.

Streuverluste vorprogrammiert

Bei der klassischen Umfeldplanung sind in den meisten Fällen Streuverluste programmiert. Ein plattes Beispiel: Auch Frauen müssen auf Sportseiten Banner mit Werbung für "Männerspielzeug" wie übergroße Uhren, schnelle Autos oder ­andere Statussymbole ertragen. Bei manchen Produkten gibt es zudem keine eindeutig zuzuordnenden Umfelder. Targeting hingegen richtet die Werbeeinblendung an Zielgruppenparametern aus - vom Wohnort über Interessen bis hin zu soziodemografischen Kriterien.

"Gerade bei reichweitenstarken Umfeldern ist die Zielgruppenansprache über Targeting wichtig", erklärt Christian Geyer, Geschäftsführer von Nano Interactive. "Verbraucher bekommen heute so viele News und Botschaften, dass nur noch das zu ­ihnen durchdringt, was wirklich relevant ist." Über Targeting-Maßnahmen könne diese Relevanz verbessert werden.

Neben einer treffsicheren und besser steuerbaren Zielgruppen­abdeckung habe Targeting vor allem Vorteile bei der Effizienz. "Bewege ich mich etwa im Direct-Response-Feld und möchte automatisierten Einkauf nutzen beziehungsweise Real-Time Advertising betreiben, ist Targeting unumgänglich, um Streuverluste zu vermeiden und meinen Return on Investment zu maximieren", erklärt ­Undertone-Manager Schneider.

Das gelte nicht zuletzt für die flexibleren Preiskalkulationen und die Echtzeitoptimierung, die RTA mit sich bringen könne. Hier werde die Umfeldplanung zweitrangig. Es gibt jedoch zwei Fälle, in denen klassische Umfeldplanung immer noch greift: wenn Zielgruppen sehr breit definiert sind oder wenn es in einem sehr speziellen Themenbereich nur wenige Angebote und potenzielle Werbeträger gibt, die aber für die Zielgruppe eminent wichtig sind.

"Wenn ich über hohe Mengen geringe Streuverluste erziele, stellt sich allein aus Kostengründen die Frage, welchen ­Gegenwert Targeting bietet", erklärt Kai-Peter Grafeneder, Teamleiter Media und Data Driven Advertising bei der Agentur Pilot in Hamburg.

Der Preis reicht je nach technologischem Aufwand der verschiedenen Targeting-Ansätze von einem Tausend-Kontakt-Preis von 40 Eurocent bis zu 8 oder 9 Euro bei anspruchsvollen Modellen wie Predictive-Behavioural- oder Profil-Targeting. Gerade bei Performance-Kampagnen lohne sich Letzteres nicht, weil die Daten selten den Uplift - sprich: die Steigerung des Ergebnisses - erzeugen, der die Kosten rechtfertige, so Grafeneder. 

Im Jahr zehn nach den ersten Targeting-Ansätzen hat deshalb auch die klassische Umfeldplanung noch ihre Bedeutung. "Das hängt letztendlich immer von der ­individuellen Kampagnenzielsetzung ab", erklärt Stefan Schumacher, Executive ­Director Digital bei G+J EMS. In seinem Haus stelle man immer wieder fest, dass Umfeld in vielen Fällen das beste Targeting sei, weil mit qualitativ hochwertigen Inhalten renommierter Medienmarken auch eine bestimmte Zielgruppenqualität einhergehe - die sich wiederum positiv auf die Kampagneneffekte auswirke.

Umfeld statt Targeting verstärkt die Werbewirkung

Der große Vorteil sei der Effekt bei der  Werbewirkung. Ein Beispiel: Werbung in Verbindung mit dem Thema Fußball, die auf Seiten zur Fifa-Fußball-WM geschaltet wird, profitiert von den Emotionen, die dieses Umfeld erzeugt. "Die Ausspielung von Botschaften nah an relevanten Umfeldern wird zunehmend wichtiger", bestätigt Jessica Seis, Forschungsleiterin bei Universal McCann in Frankfurt. Sie schlägt allerdings dafür eine Targeting-Lösung vor: Kontextuelles Targeting gewinne hier an Bedeutung. "Wir merken bei den Anforderungen unserer Kunden ganz klar einen Trend zum passenden Umfeld! Werbung und Inhalt verschmelzen immer mehr", so Seis.

Die Nachteile der klassischen Umfeldplanung? Wollen viele Wettbewerber in ein qualitativ hochwertiges Umfeld, erzeugt das Druck und treibt die Preise nach oben. Und: Bei der umfeldbasierten Werbeplanung wird vom Content auf potenzielle User-Eigenschaften und Interessen geschlossen. Das Prinzip: Je spezialisierter das Thema, desto treffsicherer die Zielgruppenansprache - was aber in der Regel hohe Tausend-Kontakt-Preise (TKP) mit sich bringt.

Das Problem sehen manche Experten in einer hohen Ungenauigkeit und einer Vorgehensweise, die zu stark auf Thesen beruhe. "Die Beweggründe für den Besuch eines Artikels oder Themenbereichs einer großen redaktionellen Seite können völlig unterschiedlich sein", erklärt Hendrik Seifert, Managing Director bei Kupona. Die treffsichere Ansprache beschränke sich auf diesen ­einen Touchpoint.

Stärken bei der Customer Journey

Insbesondere beim Blick auf die Customer Journey spielt Targeting seine Stärke aus, weil die Lösungen gezielt an verschiedenen Touchpoints ansetzen. "Die unterschiedlichen Targeting-Ansätze lassen sich am besten entlang des Conversion Funnel einsortieren", bestätigt Ben Prause, Geschäftsführer von Eprofessional. Er ­erklärt, wie es geht: Targeting-Lösungen, die sich eher allgemein am Interessenprofil des Nutzers orientieren, wie ­Behavioral Targeting oder Contextual Targeting, setzen am oberen Ende des Abverkaufstrichters (Upper Funnel) an und wecken das ­Interesse des potenziellen Käufers am Produkt, so Prause.

Enger eingegrenzte Targeting-Ansätze, die beispielsweise auf einer User-Segmentierung über die Daten-Management-Plattform eines Kunden oder einer Agentur basieren, wirken wie ein Mid Funnel: Der User erwägt bereits einen konkreten Kaufabschluss. Retargeting ­dagegen habe den Effekt eines abschließenden "Schubsers" im Lower Funnel bis hin zur Bestellung. Damit das funktioniert, muss die Qualität der Daten stimmen, und zwar gerade dort, wo es darum geht, neue User aufmerksam zu machen, die sich noch nicht in der Datenbasis eines Werbekunden finden.

Letzterer ist also auf die Daten Dritter (Third-Party Data) angewiesen. Diese werden von Anbietern auf anderen Webseiten gesammelt und den Kunden zur Verfügung gestellt. First-Party-Daten hingegen erhebt und verarbeitet ein Werbekunde selbst; sie sind in aller Regel valider. Gerade im Bereich der Third-Party-Daten sind sich die Experten aber in einem einig: ihre Qualität schwankt, ihr Ursprung ist bisweilen fraglich. Was das betrifft, möchte allerdings niemand mit dem Finger auf andere zeigen.

Die verschiedenen Kriterien zeigen am Ende: Ein ­Entweder-oder gibt es nicht. Die Experten sind sich vielmehr darin einig, dass erst die auf eine Kampagne zugeschnittene Kombination verschiedener Lösungen den gewünschten Erfolg bringt. "Beide Ansätze haben ihre Stärken", sagt Rasmus Giese, CEO bei United Internet Media. Richtig sei, dass es mit Targeting möglich sei, auch komplexere Marketingzielgruppen präzise anzusprechen.

Klassische Umfeldbuchung hingegen schaffe Präsenz am Point of Interest und garantiere damit das Involvement auf Nutzerseite. Auch BVDW-Experte Klekamp spricht hier von "kombinierter Relevanz": Beide Ansätze tragen seiner Meinung nach zusammen zum Erfolg einer Kampagne bei.

Targeting und Umfeld in Kombination

Nicht zuletzt deshalb beschränken sich manche Publisher und Vermarkter nicht darauf, auf die Qualität der eigenen Umfelder zu setzen und bieten eigene Targeting-Lösungen an. Targeting und Real-Time Advertising erfolgt allerdings bislang laut Undertone-Manager Schneider über proprietäre Marktplätze der Pub­lisher.

Dies sei ein Unterschied zu den USA, wo beim Großteil aller Kampagnen Targeting-Maßnahmen hinzugenommen werden, auch wenn die Werbung auf festgelegten Umfeldern ausgeliefert wird. Schneider nennt als Beispiel die "New York Times". Anzeigen werden dort auf Basis einer Targeting-Lösung ausgeliefert, die Daten von verschiedenen Anbietern nutzt.

"Die Nettoreichweiten auf der ,New York Times‘ sind sehr hoch und die Qualität des Umfelds unumstritten, sodass sich solche Kampagnen hier lohnen", erklärt Schneider. Davon seien Angebote einzelner Publisher in Deutschland weit entfernt. Am Beispiel der „New York Times“ könne man aber sehen, dass eine Kombination aus Targeting und Umfeldplanung unter bestimmten Gegebenheiten am ­effizientesten ist. Also am Ende doch ein Paradigmenwechsel? Die Zukunft gehört dem Audience Buying - und der Abstimmung auf das Werbeumfeld.

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