Immer wieder sind User über Werbekampagnen verärgert. Für Unternehmen stellt sich die Frage: Was tun, wenn der Shitstorm aufzieht?
Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nachdem die Handelskette Edeka ihr Werbevideo zum Muttertag online gestellt hatte, hagelte es auch schon Kritik. "Unteriridisch" sei das, so ein User, ein "Schlag ins Gesicht eines jeden Vaters", so ein anderer. Und immer wieder die Drohung: Künftig werde man woanders einkaufen.
Über 10.000 Kommentare sind bis heute auf der Facebook-Seite von Edeka zu finden, die meisten davon negativ. Dazu gab es eine Beschwerdeflut beim deutschen Werberat. Und alles wegen eines Werbespots, der Väter ein wenig tollpatschig darstellt, aber vermutlich witzig gemeint war (Agentur: Jung von Matt/Next Alster).
Ähnliche Erfahrungen musste in diesen Wochen auch Hornbach machen. In einem Video seiner Frühjahrskampagne blendete die Baumarktkette am Ende eine Asiatin ein, die offenbar entzückt an einer verschwitzten Wäsche eines Mannes riecht (Agentur: Heimat). Auch hier zeigte sich, wie schwierig der Umgang mit Humor ist: Über das Unternehmen brach ein regelrechter Shitstorm herein, ihm wurde Sexismus und Rassismus unterstellt.
Krisenplan für Shitstorm wie ein Rettungsboot
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen: Media Markt, Bayern LB oder True Fruits - manchmal bewusst, manchmal unbedacht haben diese Unternehmen mit ihrer Werbung Teile der Community gegen sich aufgebracht. Der Wutbürger, der auf den sozialen Kanälen seinem Zorn freien Lauf lässt, muss offenbar in jede leicht provokante Werbekampagne mit einkalkuliert werden.
Unternehmen sollten für einen Shitstorm also gerüstet sein. "In heutigen Zeiten eine Kampagne zu veröffentlichen ohne einen Krisenplan, ist vergleichbar mit einem Passagierschiff, das ohne Rettungsboote in See sticht", bestätigt Nadine Dlouhy, Geschäftsführerin der Agentur Brand Lite, Köln. Die Frage ist nur, wie so ein Krisenplan aussieht? Was ist die wichtigste Regel, wenn sich im Netz plötzlich Proteste formieren?
Experten raten im Ernstfall vor allem zu einem: Gelassenheit. "Als oberstes Gebot gilt: Ruhe bewahren! Nicht übereilt kommentieren oder posten, sobald der Mob tobt, sondern vorher überlegen, was man sagen möchte und wie", sagt Frauke Reimringer von der Digitalagentur Elsch&Fink, Münster. "Viele Nutzer kommentieren im Affekt: spontan, impulsiv und meist emotional überladen", sagt Sarah Korzeniewski von der Agentur TLGG, Berlin. "Exakt so sollte eine Marke nicht reagieren."
Erst Überblick, dann Stellungnahme
Bevor sich das kritisierte Unternehmen in den sozialen Medien äußert, sollte es sich zudem einen Überblick verschaffen. Vielleicht sind es ja auch nur ein paar kritische Anmerkungen, mit denen jedes Unternehmen immer wieder rechnen muss. "Falls es allerdings ein echter Shitstorm ist, ist Quellenforschung angesagt", erklärt Klaus Weise, Geschäftsführer von Serviceplan Public Relations & Content. "Wer steckt dahinter: ein frustrierter Troll, der seine Tage mit Hasspredigten verbringt, organisierte Fremdenfeinde, die Fake News verbreiten, oder eine Randgruppe, die nach Aufmerksamkeit heischt - oder tatsächliche Kunden des Unternehmens?"
Erst wenn diese Fragen geklärt sind, wenn also feststeht, welche Verantwortung das Unternehmen hat, welche Erwartungen tatsächlich enttäuscht wurden, kann man richtig reagieren: mit einer Erklärung, einer Entschuldigung oder dem Versuch, eine Diskussion anzuschieben. Reimringer: "Ein erstes Statement zeigt, dass der Shitstorm ernst genommen wird, das Unternehmen das Problem anerkennt und daran arbeitet."
Diese erste Stellungnahme sollte zeitnah erfolgen, was bedeutet: nicht unmittelbar, aber auch nicht Stunden später. Hier zahlt es sich aus, wenn sich Unternehmen im Vorfeld schon einmal mit dem Phänomen Shitstorm befasst haben. Denn jetzt können kurze Abstimmungswege entscheidend sein. "Nichts ist peinlicher, als Stunden in Tausende interne Feedback-Schleifen zu investieren und erst am nächsten Tag auf einen oder mehrere Nutzer zu reagieren", so Korzeniewski. "Das bringt zusätzlich schlechte Markenwahrnehmung und weitere Angriffspunkte."
Langatmige Antworten verärgern die User weiter
Wichtig dabei ist, sich ernsthaft mit dem Anliegen der Nutzer auseinanderzusetzen und eine klare Botschaft auszusenden. Im Falle der Hornbach-Kampagne war es ein Tweet, in dem das Unternehmen betonte, für Vielfalt und Respekt zu stehen und niemanden verletzen zu wollen. Zudem kann die Wortwahl Pluspunkte bringen - keine verklausulierten, langatmigen Phrasen, sondern klare, leicht verständliche Sätze. "Lange Passagen aus der Pressemitteilung oder Unternehmensphilosophie sollten besser nicht kopiert werden", betont Sarah Korzeniewski.
Die Kommunikation mit erzürnten Usern erfordert viel Fingerspitzengefühl. Allerdings macht es wenig Sinn, sich mit Trollen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen, also jenem Personenkreis, der im Netz nur darauf abzielt, andere zu provozieren. "Hier reicht es, den Troll kurz zu verwarnen und ihn anschließend zu ignorieren", so Reimringer. "Zeigt ein Unternehmen, dass es differenziert mit den verschiedenen Kritikern umgeht, wirkt sich das positiv auf das Ansehen aus."
Tatsächlich steckt in jedem Shitstorm eine Chance. Selten bekommt ein Unternehmen einen so unmittelbaren, intensiven Dialog mit den Kunden. "Auch ein negativer Kommentar ist eine Einladung zum Dialog", erklärt Martin Wittmann, Geschäftsführer von Territory Webguerillas. "Tritt das Unternehmen offen, ehrlich und respektvoll auf, können trotz differenter Meinungen neue und feste Beziehungen entstehen."
Außerdem schafft die Empörung Reichweite: Der Edeka-Muttertagsspot wurde auf YouTube über zwei Millionen Mal aufgerufen. Das Hornbach-Video, das inzwischen wieder zurückgezogen wurde, war ebenfalls ein viraler Hit. "Der Spot bekam aufgrund des Shitstorms eine gewaltige Reichweite, die das Unternehmen keinen Cent kostete", sagt Klaus Weise. "Und asiatische Frauen, über die sich Hornbach lustig machte, sind für den Baumarkt als Zielgruppe marginal". Deshalb ist er sich auch sicher: "Das war alles geplant."
Kommunikation muss auch künftig provozieren
Eine geplante Provokation, um einen viralen Hit zu landen? Nicht wenige Experten raten davon ab. Andererseits gehört es schon immer zur Natur der Werbung, zu provozieren und damit auf sich aufmerksam zu machen. Für viele Kreative ist es eine Horrorvorstellung, nur noch zu hundert Prozent politisch korrekte Botschaften entwickeln zu dürfen, die garantiert niemanden verletzen, aber auch niemanden hinter dem Ofen hervorlocken.
"Natürlich könnte jede Kampagne so lange weichgespült werden, bis sie gar nicht mehr wahrgenommen wird", sagt Dirk Spannaus, Geschäftsführer der Agentur Twenty Zen, Dresden. "Das wäre aber genau das Gegenteil von dem, was Werber erreichen möchten: Emotionen auslösen." Kollege Wittmann sieht das genauso: "Kommunikation muss polarisieren und provozieren dürfen, sofern sich dies schlüssig begründen lässt. Auf der anderen Seite des Grates stehen Populismus und jede Art von Diskriminierung - dies steht keinem Unternehmen gut."
Allein deshalb werden Shitstorms weiter über die Werbelandschaft hinwegfegen. Eine aktuelle Umfrage aus der Schweiz belegt, dass die Werbungtreibenden den Zorn der User auch nicht mehr so fürchten wie noch vor wenigen Jahren. Als Bedrohungsszenario spielt er eher eine untergeordnete Rolle.
Dennoch sollten Unternehmen die Stimmung im Netz kontinuierlich mit Monitoring-Tools beobachten. Diese seien vergleichbar mit einem Wetterradar, so Spannaus: "Wir erfahren früher vom aufziehenden Unwetter und können den Zeitvorsprung nutzen, aber das Gewitter nicht aufhalten."