
Widerrede: Noller, CEO von nugg.ad
Widerrede: Noller, CEO von nugg.ad
"Marketing muss seine Richtung ändern", hatte David Eicher, Inhaber der Agentur webguerillas, gestern im internetworld.de-Interview gefordert. Seine These: Die bisherigen Mediawährungen erlaubten keine zeitgemäße Mediaplanung. Stephan Noller von nugg.ad, einem Anbieter von Predictive-Behavioral-Targeting-Lösungen, widerspricht.
"Diese Thesen gehen an der Realität der Mediaplanung - bei aller Begeisterung für Social Media - in mehrfacher Hinsicht grob vorbei", betont Noller gegenüber internetworld.de. Hier seine Argumente:
1. Reichweite
In aller Regel wird Werbung für große Reichweiten geplant - nur wenige Produkte mit nennenswerten Budgets richten sich an wirklich spitze Zielgruppen. Wenn man die derzeitigen Reichweiten von Fangruppen auf Social Networks ansieht, holt einen die Realität dann doch schnell ein. Coca Cola hat mit fünf Millionen Fans auf Facebook schon eine beachtliche Userschaft angezogen. Nike hat 1,6 Millionen Fans, Adidas 2.3 Millionen und die Rügenwalder Teewurst 71. Weltweit wohlgemerkt. Für Coke Zero interessieren sich in Deutschland laut Facebook genau 460 Personen.
So beeindruckend diese Reichweiten sind - für eine typische Werbekampagne sind diese Zahlen nicht einmal annähernd ausreichend! Dies gilt übrigens in den meisten Fällen auch dann, wenn die Freunde von Fans einer Marke zusätzlich beworben werden können, eine Funktion die Facebook anbietet. Ganz zu schweigen davon, dass diese Freunde nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das Produkt genauso gut finden werden und ein guter Teil diese Art der personalisierten Werbung eher ablehnen würde.
2. Involvement
Die aufregenden Web2.0 Beispiele werden meist mit Marken illustriert, die von Natur aus ein hohes Involvement erzeugen, zum Beispiel Vodafone (9209 Fans in Deutschland). Die Realität ist aber, dass Werbung häufig für typische Low-Involvement-Produkte gemacht wird, die Menschen eben beiläufig im Supermarkt kaufen (ViledaUltramax: 45 Fans). Hier werden die Reichweiten der Social Networks selbst in zehn Jahren noch nicht ausreichend sein - es steht sogar zu befürchten, dass User zunehmend genervt auf die Versuche von Social Media Experten reagieren werden, sie zu einem aktiven Involvement mit solchen Marken zu "zwingen".
Zielgruppenmodell ist weiter effektiv
3. Machbarkeit
Zielgruppenmodelle sind - das sollte man nicht vergessen - auch immer Modelle gewesen, um skalierbar große Mengen von potenziellen Konsumenten anzusprechen. Also zum Beispiel fünf Millionen haushaltsführende Frauen mit einer Kontaktdosis von drei Kontakten innerhalb von zwei Wochen. Das wäre zum Beispiel. eine typische Mediaplan-Anforderung für ein neues Haarshampoo (Head & Shoulders: 812 Fans). Die zugehörige Kampagne muss neben 50 anderen Kampagnen mit einem Wartungsaufwand von weniger als einer Stunde pro Woche aufgesetzt, beobachtet und reported werden. Die genannten Social-Media-Kampagnen sind aber tatsächlich immer nur mit einem gigantischen Zusatzaufwand zu stemmen - als Einzelfall sicherlich schön und machbar, im Alltagsgeschäft derzeit völlig undenkbar.
Fazit
Social-Media-Werbung sei dennoch sinnvoll, so Noller. Als Leuchttürme und Feedbackelemente seine solche Kampagnen-Elemente sicherlich spannend und hilfreich. "Moderne Mediaplanung erfordert jedoch gerade keine Abkehr vom Zielgruppenmodell und dem Anspruch, Konsumenten mit möglichst geringem Streuverlust zu erreichen." Vielmehr müssten die bestehenden Modelle mit noch mehr Vereinfachung und intelligenter Technologie auf die Straße gebracht werden. Ob ein User ein guter Adressat für eine bestimmte Marke sei, könnten heute längst intelligente Algorithmen herausfinden - da müsse kein Unternehmen warten, bis im Profil irgendeines Social Networks die Selbstanzeige erfolgt sei.
"Online hat längst das Potential zum stärksten Werbemedium im Marketing-Mix zu werden", betont Noller, "weil es die gleichen Reichweiten wie TV liefern kann bei weitaus intelligenteren Steuerungsmöglichkeiten und viel mehr Transparenz was den Kampagnenerfolg anbelangt. Diese Vorteile dürfen aber nicht durch nervöses Umsatteln auf den letzten Hype, aufs Spiel gesetzt werden."