
Martin Esser (links) und Michael Tobehn
Martin Esser (links) und Michael Tobehn
Windows Phone hat damit angefangen, Google+ hat mitgemacht, und jetzt ist auch Apple dabei: Der Design-Trend der Stunde für die digitale Welt heißt "Flat Design". Doch was bedeutet der Begriff genau? Und muss jeder Website-Betreiber den neuen Trend zur Fläche mitmachen? INTERNET WORLD Business sprach darüber mit Michael Tobehn, Creative Director, und Martin Esser, Managing Partner bei der Internetagentur people interactive.
Mein Herren, was ist überhaupt Flat Design? Und was ist daran besser als an der bisher üblichen Gestaltung?
Michael Tobehn: Flat Design bedeutet Minimalismus im Interface Design und reduziert die notwendigen Gestaltungselemente auf ihr formales Minimum. Flat Design bedient sich aus Basiselementen wie einfachen Formen, standardisierten Größenverhältnissen, einer prägnanten Farbpalette, sorgfältiger Typographie und einem kontrollierten Einsatz von Icons - weniger ist hier mehr. Visuelle Effekte wie Schatten, Verläufe und Ebenen werden im Flat Design konsequent vermieden, was auch die Herkunft des Begriffs erklärt: Einfach sein, flach sein, unkompliziert sein.
Martin Esser: Flat Design ist aber nicht bloß ein aktueller visueller Trend, sondern die notwendige gestalterische Antwort auf eine zunehmende Komplexität digitaler Anwendungen und die gleichzeitige Miniaturisierung von Displays. Im Interface Design, das auch für mobile Anwendungen ausgelegt ist, hat Flat Design eine klare Stärke. Aber nicht jede Form digitaler Kommunikation profitiert von Flat Design. Je nach Anforderung, Marke, Produkt und Zielgruppe werden auch weiterhin grafische Gestaltungselemente notwendig sein, die keine pure Funktion bedienen, sondern eher dekorativ sind. Und das ist auch richtig so.
Woher kommt überhaupt diese plötzliche Rückbesinnung auf die Einfachheit im Webdesign nach Jahren der Verspieltheit?
Tobehn: Flat Design ist keine neue Erfindung, sondern eine moderne Anwendungsform des Minimalismus, der schon in den 60er und 70er Jahren das Kommunikationsdesign stark geprägt hat. Aufgrund rasanter technologischer Entwicklungen entstanden später Produkte mit immer mehr Features und immer mehr Funktionen – deren Bedienung auf immer kleinerem Raum stattfindet. Außerdem wurden - speziell im Web - offenbar viele Designer verführt von den schieren Möglichkeiten ihrer digitalen Entwicklungstools, mit denen sie immer mehr und immer neue Effekte erfinden konnten. Das Ergebnis: Viele Menschen fühlen sich von den Möglichkeiten überfordert, erleben ein Design, das mehr oder weniger zum Selbstzweck geworden ist. Flat Design räumt damit ziemlich entschieden auf und schafft im Interface Design Klarheit, Orientierung und Unaufgeregtheit.
Wenn Websites oder Webshops im Flat Design relaunchen, verwirren sie dann damit nicht ihre Nutzer? Erhabene Buttons sind doch inzwischen so wunderbar gelernt...
Esser: Von Verwirrung würde ich hier nicht sprechen. Aber Flat Design auf Websites oder in Webshops bietet durchaus Risiken für bestimmte Absichten der User Experience. Besonders, wenn neben der Usability ein bestimmtes Momentum erzeugt werden soll, also Konversion oder Markenwahrnehmung das Ziel der Anwendung sind, gerät Flat Design an seine Grenzen.
Warum?
Tobehn: Verschiedene Zielgruppen haben durchaus verschiedene Erwartungen und Vorerfahrungen im Umgang mit Design. Ich glaube, junge Designer entwerfen viele Anwendungen intuitiv für ebenfalls junge Zielgruppen und denken über die Ansprache älterer Menschen überhaupt nicht nach. Für diese Menschen könnte Flat Design durchaus eine Herausforderung sein, wenn den Interfaces die Plastizität und damit ihre intuitive Attraktivität fehlt. Was gut gemeint ist, verfehlt dann sein Ziel. Flat Design ist keine Garantie für gute Usability und kommt vor allem ohne hervorragende Informationsarchitektur und konsequente UX Konzeption nicht aus.
Esser: Außerdem bietet Flat Design das Risiko von Belanglosigkeit und geringerer Aufmerksamkeit speziell bei einer konversionsorientierten User Experience sowie der Differenzierung und Attraktivität einer eher imageorientierten Präsentation. Beides ist aber ein Muss bei vielen kommerziellen digitalen Auftritten von Marken: Beliebtheit schaffen und erfolgreich verkaufen. Das geht über Flat Design nicht in allen Fällen oder nicht ganz einfach.
Mehr über Flat Design und dessen Auswirkungen auf die Website-Gestaltung lesen Sie in Ausgabe 13/2013 von INTERNET WORLD Business.