
Otto-Vorstand Hanjo Schneider und Posthaus-Chef Jan Zadrozny verstehen sich prächtig
Otto-Vorstand Hanjo Schneider und Posthaus-Chef Jan Zadrozny verstehen sich prächtig
323 Millionen US-Dollar wurden 2011 in Brasilien im Online-Modehandel umgesetzt. Da besteht noch viel Potenzial, glaubt die Otto Group und engagiert sich jetzt selbst in dem südamerikanischen Land. INTERNET WORLD Business begleitete Otto-Vorstand Hanjo Schneider auf die brasilianische Insel Florianapolis, um sich vor Ort ein Bild vom brasilianischen Mode-Einzelhandel und seinen Chancen im E-Commerce zu machen.
Wenn brasilianische Unternehmer über die aktuelle wirtschaftliche Situation in ihrem Land sprechen, geraten sie ins Schwärmen: Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum liegt jährlich bei vier Prozent. Die Inflationsrate und das Zinsniveau sind auch während der Finanzkrise stabil geblieben. Und die rund 195 Millionen Einwohner des Landes sind im Schnitt 27,4 Jahre alt. Nur sechs Prozent der Bevölkerung sind über 65. "Das ist eine einmalige Chance für unser Land", sagt José Gallo, Geschäftsführer von Lojas Renner, einem der größten Textil-Filialisten des Landes. Und: Diese Bevölkerung hat immer mehr Geld in der persönlichen Brieftasche. Verfügten 2005 noch 92,9 Millionen Brasilianer pro Jahr über weniger als 5.200 US-Dollar Haushaltseinkommen, so sank dieser Anteil bis zum Jahr 2010 auf 48 Millionen Einwohner. Im Gegenzug stieg die Zahl der Verbraucher mit einem jährlichen Haushaltseinkommen zwischen 5.200 und 13.400 US-Dollar von 52,7 auf 101,1 Millionen Einwohner. Die Topverdiener mit einem Einkommen von über 13.400 US-Dollar stieg von 26,4 Millionen auf 42,2 Millionen. Die Arbeitslosigkeit sank auf magere vier Prozent.
Bis zum Jahr 2015 will Brasilien zur fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt aufrücken. Fortgeschrittene Industrialisierung, politische Stabilität und große Rohstoffvorkommen bergen weiteres wirtschaftliches Potenzial, die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 lassen zudem auf weiteres Wachstum hoffen. Kein Wunder also, dass sich auch ausländische Investoren immer stärker für das südamerikanische Land interessieren. Die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) sind seit 2005 um über 400 Prozent gestiegen. Unter den vier größten Investoren nach Ländern liegt auch Deutschland. "Wenn mit der Welt nichts Schlimmes passiert, können Sie für die kommenden zehn Jahre mit Wachstum rechnen", ist Hanjo Schneider, Konzern-Vorstand Services der Otto Group und verantwortlich für die Expansion der Hamburger in den brasilianischen Markt, überzeugt.
Rund 78 Millionen Brasilianer nutzen das Web
Auch die Internet-Penetration in Brasilien wächst. Lag der Anteil der Internet-Nutzer 2009 noch bei 33 Prozent, werden es 2015 bereits 74 Prozent sein. Absolut gesehen heißt das, dass in drei Jahren 155 Millionen Brasilianer im Web surfen werden, drei Mal soviele wie in Deutschland. Und: Die Brasilianer verbringen auch mehr Zeit im Web als die Deutschen. Laut ComScore World Metrix surfen sie im Schnitt rund 26,6 Stunden pro Monat im Web. In Deutschland sind es nur 22,3 Stunden. Der Online-Handel indes steckt in Brasilien noch in den Kinderschuhen: Gerade einmal 9,5 Milliarden US-Dollar gaben die Brasilianer laut einer Studie von Euromonitor 2011 im Web aus. In Deutschland waren es - bei geringerer Anzahl an Internet-Nutzern - 24 Milliarden Euro. Über das Web verkauft werden aktuell vornehmlich Elektronikartikel. Hier flossen 2011 immerhin bereits 4,3 Milliarden Euro. Der Online-Handel für Kleider jedoch ist mit Umsätzen in Höhe von 323,1 Millionen US-Dollar noch deutlich unterrepräsentiert.
"Bislang glaubten die Textilhändler in Brasilien, Mode über das Web zu verkaufen, sei schwierig, weil die Verbraucher sich lieber in den Geschäften vor Ort ein Bild von der Qualität der Ware machen wollen", erklärt Otto-Vorstand Schneider. Zwar testeten brasilianische Textil-Platzhirsche wie Lojas Renner, Lojas Riachuelo, Marisa oder Zara Brasil den Online-Modehandel seit rund eineinhalb Jahren zaghaft aus - mit durchaus guten Wachstumsraten, wie Lojas-Renner-Chef José Gallo betont. Doch unter der Hand ist von Experten zu vernehmen: Wirklich gekonnt und professionell wirken diese Auftritte noch nicht. Das zeigt allein die Tatsache, dass bei einem Rundgang durch einen Lojas-Renner-Store in einem modernen Einkaufszentrum von Florianapolis nicht ein einziger Hinweis auf den Webshop ausgemacht werden konnte. Multi-Channel sieht anders aus.
Lokaler Distanzhändler Posthaus hilft Otto beim Markteintritt in Brasilien
Das will die Otto Group nun ändern und setzt dabei - wie schon bei ihrer erfolgreichen Expansion nach Russland - mit dem Distanzhandelsunternehmen Posthaus auf einen starken nationalen Partner, der die Gepflogenheiten im brasilianischen Textilhandel gut kennt. Posthaus wurde 1983 als Familienunternehmen gegründet und vertreibt über Kataloge, die mit einer Auflage von 11.000 Exemplaren gedruckt werden, Textilwaren aus Blumenau und der Umgebung. Dazu errichtete das Unternehmen ein modernes Versandzentrum und baute ein breites Netz von Distributoren und Resellern im ganzen Land auf. Seit dem Jahr 2000 engagiert sich Posthaus auch mit einem eigenen Shop im Web und gründete 2008 einen Internet-Marktplatz, auf dem eigene Produkte sowie Waren von aktuell 30 Partnermarken angeboten werden. Rund 130.000 Pakete verlassen pro Tag das Versandzentrum - 15 Prozent davon wurden per Internet bestellt, 85 Prozent gehen an die Distributoren und Reseller. Im Schnitt werden pro Paket vier Produkte bestellt, der durchschnittliche Warenkorbwert liegt bei 60 Euro. Von der Bestellung bis zum Eintreffen der Ware beim Empfänger im Südosten Brasilien vergehen zwei bis drei Tage. In den Norden des Landes ist die Ware zwischen 12 und 15 Tagen unterwegs. Der Gesamtumsatz von Posthaus lag 2011 bei rund 100 Millionen Euro, der E-Commerce-Umsatz "im mittleren zweistelligen Bereich".
"Posthaus und die Otto Group sind auf Grund ihrer Wurzeln im Versand- und Onlinehandel und ihres Geschäftsmodells optimale Partner", freut sich Hanjo Schneider über die Kooperation. Auch menschlich scheint es zwischen Schneider und Posthaus-Chef Jan Zadrozny zu stimmen. "Erst kommt der Mensch, dann das Geschäft", sagen beide unisono. Zusammengeführt habe die beiden der pure Zufall. Und obwohl sich die Verhandlungen länger hinzogen als gedacht - ursprünglich wollte man schon im Sommer vergangenen Jahres die Kooperation verkünden - sei man nun froh, sie zu einem guten Abschluss gebracht zu haben.
Zusammen mit Posthaus hat die Otto Group im Zentrum des mit seinen Fachwerkhäusern fast deutsch anmutenden brasilianischen Städtchen Blumenau das Gemeinschaftsunternehmen DBR ("Deutschland Brasilien") gegründet, an dem die Hamburger eine knappe Mehrheit halten, und das von Posthaus den Internet-Marktplatz Posthaus.com.br. übernahm. Darauf will die Otto Group in den kommenden Jahren ihre Marken lancieren. Den Auftakt bilden dabei die Otto-Marken Bonprix, die bereits seit vier Jahren erste Tests in Brasilien fährt, sowie die höherpreisige Sport- und Lifestyle-Marke Arqueonautus. "Sobald man Ware in den Shop packt, steigt die Nachfrage sprunghaft an. Das habe ich sonst noch nirgendwo so gesehen", sagt Schneider. Doch weil die brasilianische Regierung die heimische Wirtschaft durch massive Import-Zölle in Höhe von 45 Prozent zu schützen versucht, ist es das Ziel von Otto, nur rund 50 Prozent der in Brasilien angebotenen Produkte zu importieren. Die andere Hälfte soll in der Region Blumenau, die für ihre Textilfertigung berühmt ist, lokal produziert werden. Im Büro von DBR hängt für alle Mitarbeiter sichtbar eine große digitale Tafel, auf der in Echtzeit alle wichtigen Kennzahlen des Marktplatzes zu sehen sind. Von sämtlichen auf dem Marktplatz verzeichneten Marken wird die Performance angezeigt - in grün, wenn die Zahlen in Ordnung sind, und in rot, wenn Nachholbedarf besteht. Das Monatsziel für Mai liegt bei 2,2 Millionen US-Dollar. Und es scheint schon Anfang des Monats sehr wahrscheinlich, dass es auch erreicht wird.
Keine Angst vor Dafiti
"In Brasilien ohne starken Partner Fuß zu fassen, ist schwer", ist Otto-Vorstand Hanjo Schneider überzeugt. Diesen Weg jedoch gehen die Konkurrenten von Rocket Internet mit ihrem brasilianischen Zalando-Klon Dafiti - und glänzen bereits mit beachtlichen Zahlen. Sechs Monate nach dem Launch hat Dafiti Posthaus.com.br bereits als größten Online-Textilhändler überholt. Das Investment der Samwers in Dafiti wird bislang auf rund 20 Millionen US-Dollar beziffert. Schneider sieht die neuerliche Konkurrenz durch die Samwers in Brasilien allerdings gelassen: "Ob ich in einem Land, das so wächst, als Nummer zwei, drei oder vier profitabel bin, ist mir total egal", sagt er. Man sei kein VC, sondern müsse die Geschäfte profitabel betreiben. Die Umsatzziele für die kommenden fünf Jahre allerdings sind nicht unehrgeizig. Aktuell fließen laut Schneider "Umsätze im mittleren zweistelligen US-Dollar-Bereich" über Posthaus.com.br. Bis 2016 sollen jährliche Umsätze in Höhe von einer halben Milliarde US-Dollar in den Büchern stehen - allerdings nicht allein durch Umsätze via Online-Vertrieb, sondern auch durch Dienstleistungen in Sachen E-Commerce.
Mit an Board in Brasilien ist nämlich auch der E-Commerce-Dienstleister Hermes NexTec, der in Südamerika als 100-prozentige Tochter des Joint-Ventures DBR fungiert. Er soll brasilianische Modehändler bei ihrem E-Commerce-Engagement unterstützen. "Wir realisieren für Kunden in Deutschland Konversionsraten von fünf Prozent. Damit können wir auch in Brasilien viel erreichen", ist Schneider überzeugt. Doch nicht nur heimische Händler hat Hermes NexTec im Visier. Auch internationale Marken sollen über den Marktplatz Posthaus.com.br ihre Chancen auf dem brasilianischen Markt, der bislang vor allem auf heimische Marken setzt, ohne großes finanzielles Risiko ausloten können. Mit einigen namhaften Marken sei man bereits im Gespräch, sagt Schneider. Konkrete Namen nennen wollte er allerdings nicht.
Darüber hinaus hat die Otto-Finanzdienstleistungstochter EOS Gruppe im Sommer 2011 60 Prozent der Anteile an dem Inkasso-Unternehmen Hoepers Recuperadora de Crédito übernommen und will darüber auch Finanzdienstleistungen für Online-Händler abwickeln. Somit ist man in allen drei Segmenten Distanzhandel, Web-Enabling und Finanzdienstleistungen aktiv.
Unberührt von den Otto-Aktivitäten in Blumenau sind die Investments über das VC-Joint-Venture Redpoint eVentures, der aus seinem 20-Millionen-Euro-Topf bereits in Startups wie Sophie & Juliete oder Shoes4you investierte. Hier gehe es um frühe Geschäftskonzepte, an denen man sich maximal mit fünf bis zehn Prozent beteilige. Zwar habe sich auch Schneider schon in Sao Paulo nach interessanten Geschäftsmodellen umgesehen. Aber: "Da brauchen Sie ein großes Herz, eine dicke Brieftasche und ganz viel Vertrauen", lacht der Otto-Vorstand.