Christoph Keese ist Executive Vice President bei der Axel Springer SE
Christoph Keese ist Executive Vice President bei der Axel Springer SE
Axel-Springer-Manager Christoph Keese erklärt im Interview mit der INTERNET WORLD Business, weshalb die Medienkonzerne Geld von Google wollen.
Um bis zu 80 Prozent brach der Traffic auf einigen Online-Angeboten aus dem Axel-Springer-Portfolio ein, als sich das Medienhaus im Oktober weigerte, auf Zahlungen aus dem Leistungsschutzrecht zu verzichten und daraufhin in den Google-Suchergebnissen nur noch im geringen Maß präsent war.
Für Christoph Keese - er gilt als "Außenminister" von Springer - ein deutliches Zeichen dafür, dass im Netz das Onlinemarketing aus den Fugen geraten ist und ein Ausgleich zwischen den Verlagen und Google für die Leistungen stattfinden muss.
In Netzdebatten um das Leistungsschutzrecht wird Google oft als der Gute dargestellt, Springer ist der Böse. Können Sie sich das erklären?
Christoph Keese: Die Materie rund um das Urheberrecht ist komplex. Ich bin kein Jurist, sondern Ökonom und Journalist, allerdings beschäftige ich mich seit Jahren mit diesem Thema. Wenn Kritik zum Leistungsschutzrecht geäußert wird, dann freut mich das, sofern sie auf Sachkenntnis fußt. Wenn jedoch fundamental falsche Voraussetzungen angenommen werden und die Kritiker nur polemisch daherkommen, kritisiere ich das. Die in vielen Medienblogs demonstrierte Sachkenntnis geht gegen null - und teilweise unter null - weil sie falschen Informationen aufsitzt.
Worin besteht denn nun genau der Zweck des Leistungsschutzrechts?
Keese: Das Leistungsschutzrecht gibt Verlagen das Recht, Lizenzverträge abschließen zu können, wenn ihre Leistungen von Dritten im Internet veröffentlicht werden.
Aber prallen da nicht zwei Kulturen aufeinander? Überall bemühen sich Unternehmen, ihre Inhalte mit SEO-Maßnahmen so zu optimieren, dass sie bei Google möglichst prominent erscheinen - und dann kommt die VG Media mit den bei ihr organisierten Verlagen und will aufgrund des Leistungsschutzrechtes von Google Geld dafür.
Keese: Das ist ein Scheinwiderspruch. Nehmen Sie zum Beispiel das Kabelfernsehen: Einerseits versuchen TV-Sender mit allen Mitteln, eine hohe Einschaltquote zu erreichen, andererseits haben sie in jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen mit den Kabelnetzbetreibern erreicht, dass nicht die TV-Sender den Netzwerken Geld bezahlen, sondern genau umgekehrt. Das war eine ähnlich grundlegende Auseinandersetzung über die Frage, wo der Mehrwert entsteht.
Der Rechtsstreit wurde entschieden, und in den vergangenen zehn Jahren haben die TV-Sender von den Netzbetreibern viele Hundert Millionen Euro bekommen - eine Stange Geld. Im Internet ist die Situation vergleichbar: Die Verlage bemühen sich um eine möglichst gute Sichtbarkeit bei Google. Der Wert, den Verlage zusammen für Google erzeugen, ist dennoch weit höher als der Wert, den Google für die Verlage erzeugt. Deshalb sollte der Zahlungsstrom in die entgegengesetzte Richtung gehen.
Angenommen, die VG Media erreicht mit Google eine Einigung zum Leistungsschutzrecht und Google zahlt an die Verlage: Würden Sie dann immer noch versuchen, mit SEO nach vorn zu kommen?
Keese: Natürlich, denn das sind zwei unterschiedliche Leistungsbereiche. Die Inhalteanbieter bewegen sich in einem geschlossenen Markt von x Nutzern, um deren Aufmerksamkeit sie sich bemühen - unter anderem mit SEO. Aber das Aggregat dieser Inhalte hat einen bestimmten Wert. Wäre der Wert dessen, was die Verlage für Google tun, nämlich Inhalte zu liefern, gleich groß wie der Wert dessen, was Google für die Verlage tut, nämlich Traffic beizubringen, dann würde man bartern, also bargeldlos die Leistungen tauschen. Dem ist aber nicht so, die Werte der Verlage sind weit höher.
In der öffentlichen Wahrnehmung geht es vor allem um Google News - einen Dienst, in dem Google keine Werbung schaltet.Keese: Allein um Google News geht es schon lange nicht mehr. Das behauptet selbst Google nicht mehr. Es geht um alle Dienste. Seriösen Schätzungen zufolge erzielt Google in Deutschland im Jahr zwischen 3,5 und 4 Milliarden Euro Umsatz. Alle in der IVW gelisteten Online-Verlagsangebote zusammen kommen gerade einmal auf 500 Millionen.
Aber Google macht seine Umsätze ja nicht nur mit Verlagsinhalten.
Keese: Das stimmt, aber Google ist eine Company Town, ein geschlossenes Ökosystem mit vielen Diensten und einem zentralen Login. Und der Zugang dazu gleicht einem breiten Traffic-Trichter, in dem die Suche nach professionell gemachten News eine wichtige Rolle spielt.
Das Bundeskartellamt hat aber doch verkündet, Google könne nicht gezwungen werden, Inhalte anzukaufen.
Keese: Das ist die Rechtsauffassung des Kartellamts. Es gibt gesetzliche Regeln, wie sich marktbeherrschende Unternehmen zum Leistungsschutzrecht verhalten müssen. Sie dürfen zum Beispiel nicht diskriminieren. Wir wissen das genau, weil auch die „Bild“-Zeitung als marktbeherrschend eingestuft wird. Der Ermessensspielraum des Kartellamts, einen konkreten Fall aufzugreifen kann gerichtlich nicht überprüft werden. Deswegen können die Verlage ihre gegenteilige Auffassung nicht vor Gericht durchsetzen und das Amt zum Handeln zwingen. Das heißt aber nicht, dass die Verlage im Unrecht sind, sondern nur, dass unterschiedliche Auffassungen zur Digitalökonomie bestehen.
Wagen wir mal einen kühnen Blick in die Zukunft: Google hat genug Geld und könnte, anstatt sich mit den Verlagen herumzuschlagen, ja eigene Inhalte schaffen …
Keese: … daran haben sie aber gar kein Interesse…
… und die Verlage könnten sich auch zusammenschließen und eine andere Suchmaschine unterstützen – etwa Bing.
Keese:
Genau das tun wir gerade. Es ist das erklärte Interesse der VG Media, mit vielen verschiedenen Marktteilnehmern Vereinbarungen über die Lizenzierung von Inhalten zu treffen. Die Snippets können dann auch länger, die Bilder größer, die Videos zahlreicher werden. Dies wurde erst möglich durch das Leistungsschutzrecht. Es hat die Verlage bündnisfähig gemacht und so erst den Zusammenschluss unter dem Dach der VG Media erlaubt. Wir möchten den Markt wieder lebendig und innovativ machen – und die Marktverhältnisse gesünder gestalten. Google kann ja gerne Marktführer bleiben, aber zum Beispiel 80:20 sind gesünder als 95:5.
Das Leistungsschutzrecht wurde am 7. März 2013 vom Bundesrat verabschiedet.