
Tapio Liller, Gründer und Managing Partner von Oseon
Tapio Liller, Gründer und Managing Partner von Oseon
Die nächste Sau muss her, die man als Marketer um der Branchenaufmerksamkeit willen durch den medialen Durchlauferhitzer jagen kann. Da kommt das "Internet of Things" (IoT) gerade recht.
In der vergangenen Woche war auf der nach Hamburg zurückgekehrten Technologie- und Zukunftskonferenz Next zu besichtigen, was passiert, wenn technikaffirmativer Zukunftsoptimismus auf die richtigen, kritischen Fragen trifft. Das Internet of Things, oder kurz IoT, war das verbindende Thema der meisten Vorträge und Workshops.
Smarte Produkte als Selbstzweck? Lieber nicht
Trendforscher versuchten, das Publikum für die Chancen der Vernetzung zu begeistern und zeichneten Szenarien einer angeblich gar nicht so fernen Zukunft, in der sich über unser Leben ein unsichtbares Netz von Daten legt. Das lässt sich dann, so die Futuristen, in smarte Dienstleistungen verwandeln, die den Menschen das Leben leichter, komfortabler, effizienter und überhaupt viel besser machen. Diese Visionen wurden mit so viel Euphorie vorgetragen, dass man sich gelegentlich über den Drogenkonsum der Referenten Sorgen machen musste.
Zum Glück gab es aber auch Referenten, die die Behauptungen der Trendapologeten hinterfragten. Allen voran die Designerinnen Anab Jain und Alexandra Deschamps-Sonsino. Sie formulierten unabhängig von einander in ihren Referaten die Frage aller Fragen: "In welcher Zukunft möchten wir leben?"
In welcher Zukunft möchten wir leben?
Das ist so entscheidend für unseren Umgang mit den Möglichkeiten emergenter Technologien, weil es der Frage nach dem technisch Machbaren die Frage nach dem gesellschaftlich und ethisch Wünschenswerten entgegenstellt. Klar, neu ist die Frage nicht; sie stellt sich bei jeder Technologie, die das Potenzial in sich birgt, auch gegen die Menschen verwendet zu werden oder unerwünschte Nebenwirkungen zu haben. Angesichts der IoT-Euphorie derzeit ist die Frage nach den Grenzen des Möglichen besonders geboten.
Mit Blick auf die derzeit kursierenden IoT-Szenarien und Produktvisionen tun sich eine ganze Reihe konkreter Anschlussfragen auf:
- Wenn selbst Alltagsgegenstände einen Mikrochip mit Antenne enthalten, was passiert mit den aussortierten Artikeln? Wollen wir wirklich noch mehr als ohnehin schon zu den Bergen giftigen Elektroschrotts in Drittweltländern beitragen?
- Wie viele und welche Daten möchten wir welchen Unternehmen geben und was sollten diese Unternehmen damit anstellen dürfen und was nicht?
- Woher weiß ich, wer was über mich weiß und wie kann ich das wieder löschen lassen?
- Wenn die Analysetechnik aufgrund ständig und überall gesammelter Daten unser Verhalten vorauszusagen vermag, wie frei sind wir dann noch?
- Möchten wir wirklich so durchschaubar sein, dass uns Amazon einen Artikel schickt, von dem ein Algorithmus meint, das wir ihn morgen brauchen werden?
- Wie viel Freiheit darf der Staat uns im Namen der öffentlichen Sicherheit nehmen? Wie viel Durchgriff auf die Daten von Unternehmen erlauben wir dem Staat (und umgekehrt), und haben wir darauf überhaupt genug Einfluss?
Technik um ihrer selbst Willen raubt uns Freiheit
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Digitalisierung, Vernetzung, Internet of Things, Predictive Analytics, sind für sich genommen alles faszinierende Trends und Technologien, die auch für Gutes, Wünschenswertes eingesetzt werden können. Für transparentere Regierungen durch Open Data zum Beispiel, für Warnsysteme vor Naturkatastrophen durch Sensornetze, für Internetzugang (und damit Zugang zu Bildung) für die Ärmsten der Welt. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.
Bevor wir Marketer und Kommunikatoren aber zur nächsten Revolution im Marketing und der Produktvermarktung aufrufen, sollten wir den Fragestellern, den Kritikern, den Philosophen mehr Aufmerksamkeit widmen. Sonst passiert es angesichts des Innovationstempos tatsächlich schneller als uns lieb ist, dass wir uns bald in einer gar nicht mehr so wünschenswerten Zukunft wiederfinden.
Mir wäre ein Internet of People, das für echten, weil sozialen, ökologischen und medizinischen Fortschritt eingesetzt wird jedenfalls deutlich lieber als eine künstliche Superintelligenz in der Cloud, die uns auf Schritt und Tritt nur das nächste Wegwerfprodukt verkaufen will.
Tapio Liller ist Gründer und Managing Partner der Agentur Oseon.