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Sonstiges 09.02.2017
Sonstiges 09.02.2017

Expert Insights Wenn TV-Werbung digital wird…

Programmatic Advertising hat sich etabliert. Nach Online folgen immer mehr Kanäle dem Prinzip des automatisierten Mediahandels. Aber lässt sich das programmatische Konzept tatsächlich auf klassische TV-Werbung übertragen?

Co-Autor: Martin Sinner, Geschäftsführer der EOS, einer Tochter der Media Markt Saturn

Schon in diesem Jahr wird fast jede zweite digitale Werbefläche programmatisch gehandelt. Damit lässt sich konstatieren, dass Programmatic Advertising endgültig etabliert ist. Der Vorteil von Programmatic Advertising liegt dabei klar auf der Hand: Wurden früher lediglich Umfelder gebucht, in der man eine Zielgruppe erreichte, steht beim Programmatic Advertising der einzelne Nutzer im Mittelpunkt, der je nach Datenqualität genau adressiert werden kann. Im Ergebnis bedeutet das, dass zwei simultane Besucher der gleichen Seite vollkommen unterschiedliche Werbung zu sehen bekommen (können).

Seit 2015 hat Online-Werbung laut IAB Europe und IHS größten Anteil am Gesamt-Werbebudget in Europa (36,3 Milliarden in 2015) übernommen und damit TV (33,3 Milliarden), Print (25,5 Milliarden), Out of Home (7,5 Milliarden) und Radio (5,2 Milliarden) endgültig hinter sich gelassen. Da der überwiegende Teil des Online-Angebots bereits programmatisch ist und per Auktion angeboten wird, kann man beim aktuellen Wachstum von Online davon ausgehen, dass über 40 Prozent der gesamten Media bereits gebotsfähig ist.

Wer per Google, Facebook oder Display-Netzwerken Online-Werbung bucht, wird mit seiner Werbung nur dann erscheinen, wenn das eigene Gebot ausreichend hoch ist, um konkurrierende Gebote auszustechen. Mit guten Tools, Messmethoden und Daten können Qualität der Werbung und Gebotspreise so optimiert werden, dass auch ein höheres Gebot wirtschaftlich sein kann, da es eine genau definierte Zielgruppe erreicht.

Martin Sinner

Co-Autor Martin Sinner, der bei der Electronics Online Service GmbH (EOS) verantwortlich für die Pflege und den Ausbau des digitalen Beteiligungs-Portfolios ist.

EOS

Raider heißt jetzt Twix

Noch vor wenigen Jahrzehnten hat Werbung ganz anders funktioniert. Der große Vorteil von Unternehmen im Bereich der FMCG (Fast Moving Consumer Goods) bestand darin, im Vergleich zu anderen Produkten über relativ geringe Streuverluste zur verfügen.

Die Werbung für einen Schokoriegel im TV war für fast jeden Zuschauer relevant. Dadurch konnten die Hersteller solcher Produkte einen TKP (Tausender-Kontakt-Preis) zahlen, der für andere Werbekunden aufgrund ihrer höheren Streuverluste unerschwinglich war.

Durch das Werben zu bestimmten Uhrzeiten oder innerhalb bestimmter TV-Formate konnten diese Streuverluste zwar teilweise einschränkt werden. Am Ende blieb aber die Produktmarge beziehungsweise der für Marketing allokierbare Teil des Deckungsbeitrags, der entscheidende Faktor.

Mit programmatischer Media lassen sich Kunden mittlerweile sehr viel exakter ansprechen: So können sehr spezielle Kundengruppen erreicht und trotz geringer Produktmarge gute Werbeeffekte erzeugt werden.

Und das Werbebudget, das noch nicht programmatisch ist?

Online wird auch zukünftig stärker wachsen als die anderen Werbesegmente, deshalb wird die verbliebene Hälfte des Kuchens langsam weiter schrumpfen. Und für einen signifikanten Teil der nicht Online-Werbung nimmt die Digitalisierung gerade Fahrt auf: Auch Out-of-Home-, TV- und Radiowerbung werden sukzessive gebotsfähig werden.

Stellen wir uns die Frage: Lässt sich das programmatische Konzept tatsächlich auf klassische TV-Werbung übertragen? Aktuell ist es noch so, dass fast alle Zuschauer einer Fernsehsendung die exakt gleiche Werbung zu sehen bekommen. Zwar strahlt beispielsweise RTL seinen deutschen Zuschauern andere Werbung aus, als beispielsweise dem österreichischen Publikum. Aber abseits dieses "Geo-Targetings" erschöpft sich die Zuschauerzentrierung bereits.

Addressable TV

Es gibt bereits erste Versuche, programmatische TV-Kampagnen zu fahren. Dieses sind aber eher frühe Tests mit einer bestimmten Targeting-Option. Für die auch als "Addressable TV" bezeichnete Technologie bestehen verschiedene Optionen. Die Abwicklung kann über HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband), IP-Boxen, Set-Top-Boxen oder die OTT-Plattform (Over-the-top Content) erfolgen. Momentan lassen sich auf diese Weise rund 12 Millionen TV-Geräte in Deutschland erreichen. HbbTV scheint dabei aktuell die vielversprechendste Technologie zu sein, denn die beiden großen Senderfamilien RTL und ProSiebenSat1 haben sie in den Fokus ihrer Tests gerückt.

Es ist also auf jeden Fall absehbar, dass der Anteil an gebotsfähiger Media in Richtung 90 Prozent wachsen kann. Schätzungsweise wird es in spätestens zehn Jahren so weit sein. Doch welche Auswirkungen sind damit verbunden? Oliver Samwer musste schon seinerzeit erschüttert feststellen, dass es bei Google keine Kickbacks gibt, unabhängig von der Größe des gebuchten Volumens. Und diese Volumina waren bei Rocket Internet sicherlich nicht klein. In der heutigen Medialandschaft basiert aber die komplette Existenz so mancher Agentur von genau solchen Kickback-Zahlungen und Rabatten.

Neben den Media-Agenturen dürften mit der Zeit auch noch diejenigen Arbitrageure aus dem System ausscheiden, die keinen tatsächlichen Mehrwert bringen. Es muss aber nicht unbedingt für jeden so kommen: Ein Blick auf die aktuelle Situation im Online Marketing zeigt, dass sich Arbitrageure hier erstaunlich gut halten. Das liegt einerseits an der technischen Komplexität, andererseits kann auch Aggregation eine wertschöpfende Leistung sein. Das gilt insbesondere in Kombination mit Technologie, wie sie von Unternehmen wie Criteo, Hooklogic oder Check24 mit ihren unterschiedlichen Positionierungen angeboten wird. 

Geht TV - den gleichen Weg wie Online-Werbung?

Wird letztendlich im TV genau das passieren, was wir im Online-Bereich schon seit längerem beobachten - die Konzentration von immer mehr Budget auf immer weniger Anbieter? Avancieren Facebook, Google oder vielleicht sogar Snapchat zu den größten TV-Vermarktern? Oder greift gar ein Unternehmen wie Amazon in den Kampf um Marktanteile in dem Segment ein? Und was können etablierte TV-Sender diesen Giganten entgegensetzen? Haben sie überhaupt eine Chance? Es gibt noch eine Menge Fragen, deren Beantwortung aber definitiv nicht jedem gefallen wird.

Trotzdem hat uns die Vergangenheit auch immer wieder gelehrt, dass durch große Veränderungen auch neue Chancen entstehen. Findige Start-ups werden versuchen, in die möglicherweise neu entstehenden Nischen hineinzustoßen. Ihnen bietet sich zum einen die Chance neue Mechanismen für ihre eigenen Kampagnen zu nutzen - oder aber ihre Technologien in die Wertschöpfungskette der neuen Geschäftsmodelle einzubringen. 

Neue Potenziale lassen sich beispielsweise im Bereich integrierter Bewegbild-Kampagnen finden: Kanäle wie Online-Video, Kino, Mobile (etwa Instagram, Snapchat) und eben Programmatic TV verlangen nach passgenauen Inhalten, die sich in Länge, Formaten, Audioverhalten etc. unterscheiden. Jeder Kanal adressiert unterschiedliche Nutzer und die Inhalte müssen genau das abbilden. Bis am Ende die personifizierte Website für jeden einzelnen Nutzer steht.

Herausforderung Biddable TV-Werbung

Zuerst steht die programmatische TV-Werbung aber noch vor einer Herausforderung, die der konventionelle Online-Kanal so nicht hatte. Während Geräte wie Laptops, Smartphones und Tablets fast ausschließlich von einer Person zur selben Zeit genutzt werden, lässt sich das beim Fernsehen nicht so exakt bestimmen. Verschiedene Studien zeigen, dass rund zwei Drittel des Fernsehkonsums auf alleinige Zuschauer zurückgeht, während beim verbleibenden Drittel mehr als eine Person vor dem Gerät verweilt.

Die genaue Adressierbarkeit von Kunden wird das Werben für Produkte mit gestreuten Werbebotschaften daher in Zukunft schwerer machen (Programmatic Advertising für Nutzergruppen), da FMCGs deutlich seltener zum Zuge kommen werden, wenn nur eine Person vor dem Fernseher sitzt. Insgesamt könnte dieses dafür sorgen, dass Anbieter von Nahrungsmitteln und Schönheitsprodukten stärker auf Online-Werbung ausweichen müssen, um noch genügend Reichweite erzeugen zu können, denn aktuell wird nur ein niedriger einstelliger Prozentsatz aller Werbeaufwendungen aus diesem Bereich in Online-Kanäle allokiert.

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