Ingo Kamps, Head of Performance and Mobile Marketing bei Drillisch Telecom
Ingo Kamps, Head of Performance and Mobile Marketing bei Drillisch Telecom
Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die USA Deutschland technologisch einige Jahre voraus sind. Aber warum eigentlich? Schließlich erscheinen technische Neuerungen zeitgleich auf beiden Märkten.
Im November 2015 habe ich mich auf eine Autoreise von Atlanta über Georgia und Boston nach Massachusetts begeben und dabei Zwischenstopps in vierzehn Bundesstaaten eingelegt. Während der Reise wollte ich in Erfahrung bringen, wie weit die mobile Disruption in den Vereinigten Staaten schon fortgeschritten ist und welchen Nachholbedarf wir in Deutschland haben.
Free-Wifi und Express-Shopping
Die Ostküste der USA verfügt über eine sehr hohe Dichte an frei nutzbaren WLANs, die es hierzulande nicht annähernd gibt. Fast jedes Restaurant und jede Bar bietet seinen Gästen kostenlosen Zugang zum Internet an und selbst Stadtparks und die Highway-Toiletten von South Carolina sind mit drahtlosem Internet ausgestattet. Bei so vielen Hotspots sind US-Bürger tatsächlich "always on". Limitierte 4G-Datenpakete in Mobilfunknetzen fallen somit deutlich weniger ins Gewicht.
Während des Besuchs einer Großveranstaltung von World Wrestling Entertainment, Inc. (Survivor Series 2015) in der Philips Arena in Atlanta konnte ich sehen, wie man 17.000 Zuschauern gleichzeitig einen schnellen und zuverlässigen WLAN-Zugang zur Verfügung stellt. Die Besucher dankten es mit verstärktem Social-Media Engagement inklusive Werbeeffekt für den Veranstalter.
In den Pausen wurde ich dann zum ersten Mal mit einem Trend konfrontiert, von dem ich bis dahin nur gelesen hatte: so genannte Light- oder Express-Shops. Dabei handelt es sich nicht um die vielfach gebräuchliche mobile Version eines bestehenden Online-Shops, sondern tatsächlich um eine speziell für den Einsatz auf Smartphones optimierte Einkaufsmöglichkeit.
Produktseitig ist das Angebot auf wenige Topseller beschränkt, die eine hohe Conversion-Wahrscheinlichkeit haben und teilweise während der Veranstaltung vorgestellt werden. Die Navigation erfolgt durch einfache Wischbewegungen von links nach rechts (aka "Tinder-Style"). Das gleiche Prinzip sah ich dann eine Woche später im legendären New Yorker Madison Square Garden im Rahmen des NBA-Spiels New York Knicks gegen Miami Heat.
Express- oder Light-Shops werden aber nicht nur für Sportveranstaltungen verwendet. In den U-Bahnen von Boston warb beispielsweise ein Wäscheversender aufmerksamkeitsstark für seinen Mobile Shop, der dann ganze drei Produkte im Angebot hatte.
Mobile Payment
Um einen Kaffee von Starbucks zu trinken, stellen sich immer weniger US-Bürger in die Schlange der Kaffeehauskette, sondern ordern und bezahlen ihr Heißgetränk schon auf dem Weg in die Filiale. Bereits jede fünfte Bestellung bei Starbucks wird inzwischen mobil bezahlt. Das entspricht monatlich knapp fünf Millionen Bestellungen - 32 Prozent mehr als noch vor einem Jahr.
Um die mobile Nachfrage weiter zu befeuern, verlässt sich Starbucks nicht nur auf die bequeme Bezahlmöglichkeit und wegfallende Wartezeiten. Das Unternehmen hat zusätzlich ein sehr einfach zu nutzendes und attraktives Mobile Loyalty-Programm etabliert, an dem bereits mehr als 20 Millionen Amerikaner teilnehmen. So funktioniert Kundenbindung.
Mobiles Bezahlen in den USA beschränkt sich natürlich nicht nur auf Kaffee: Parkgebühren, Taxifahrten, Broadway Tickets, Medikamente oder Subway-Sandwiches können problemlos per App bezahlt werden. Und wenn das eigene Fahrzeug mal abgeschleppt wird, erfolgt die Begleichung der Auslösegebühr ebenfalls mobil. Dazu kommen Apple Pay und Android Pay mit sehr vielen Akzeptanzstellen.
Vom Retail bis zum Messenger
Mobile Marketing im Retail
Supermarktketten wie Aldi und Lidl experimentieren hierzulande zaghaft mit Mobile Payment-Lösungen. Wer aber tatsächlich schon drahtlos zahlen wollte, hat wahrscheinlich auch in die verunsicherten Gesichter der Mitarbeiter an den Kassen geblickt. Ich selbst habe bereits mehrfach miterlebt, dass trotz NFC-Zahlmöglichkeit am Ende doch wieder die traditionelle EC-Karte gezückt wurde. Die US-Supermarktketten haben hingegen bereits Fakten geschaffen und tun dies nicht nur beim Mobile Payment.
Die App der Supermarkt-Kette Kroger hat kürzlich ein Update erhalten. Dabei wurde sie mit neuen standortbasierten Funktionen ausgestattet. Fügt der Kunde jetzt ein gewünschtes Produkt zur integrierten Einkaufliste hinzu, wird ihm sofort die genaue Position des Artikels im Laden angezeigt. Und nicht nur das – die Einkaufliste sortiert alle Artikel automatisch in die Reihenfolge, in der sich der Kunde durch das Geschäft bewegt. Einkäufe lassen sich dadurch deutlich zeitsparender und effizienter durchführen. Und das Personal wird durch weniger Nachfragen seitens der Kunden entlastet.
Außerdem hat Kroger seinen Push-Message-Versand optimiert. Statt allgemeingültige Angebote an Besitzer der Kroger-App zu versenden, erhalten diese speziell auf ihr Einkaufsverhalten abgestimmte Offerten. Als Datenquelle dienen dabei beispielsweise in der Vergangenheit gekaufte Produkte.
Messenger
Messenger Apps wie WhatsApp, Facebook Messenger oder Snapchat sind die wahren Gewinner des Mobile-Jahres 2015 und gehören wenig überraschend zu den erfolgreichsten Apps überhaupt. Dass US-Bürger bei neuen Funktionen die Nase voraushaben, ist wenig überraschend. Die Software kommt von dort …
Beim Facebook Messenger können US-Bürger jetzt direkt aus einem Chat mit einem Freund heraus ein Fahrzeug von Uber bestellen. Dafür müssen sie die Unterhaltung nicht verlassen. Gibt es mehrere Mitfahrer, können sogar direkt die Kosten untereinander aufteilt werden. Der Uber-Service ist ein Vorgeschmack auf den von Facebook angekündigten Dienst M, einen digitalen Assistenten auf Basis des Facebook Messengers. Dieser soll Nutzern ganz unterschiedliche Aufgaben wie das Buchen von Restaurants oder das Durchsuchen von Deal-Seiten abnehmen und dabei nebenbei den Mobile Commerce weiter anschieben.
Mobile umarmen
Während der Reise bot sich unzählige Male die Gelegenheit, den Vorsprung im mobilen Alltag zu sehen und zu erleben. Auffällig war übrigens auch, dass sehr häufig konkret mobile Angebote beworben wurden - deutlich häufiger als klassische Websites.
Aktuell lässt sich sagen, dass die vermuteten zwei bis drei Jahre Vorsprung realistisch sind. Die schnelle Adaption von Mobile Payment hat damit zu tun, dass die Amerikaner den bargeldlosen Zahlungsverkehr schon lange gewöhnt sind. Dennoch wünsche ich mir, dass wir den mobilen Umbruch ähnlich konsequent annehmen und gestalten wie die US-Unternehmen - und dabei den Abstand etwas verkürzen.

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