
Mathias Reinhardt, Managing Partner und Mitbegründer der UDG United Digital Group
Mathias Reinhardt, Managing Partner und Mitbegründer der UDG United Digital Group
Viele Unternehmen stoßen mit ihrem bisherigen Projektmanagement nach dem Wasserfallprinzip an ihre Grenzen. Agile Entwicklung gilt oft als die Lösung für dieses Problem: schnell und flexibel sollen Ergebnisse erarbeitet werden.
Neue Formen der Projekt- und Softwareentwicklung erobern die Unternehmen - allen voran agile Verfahren wie Scrum. Viele große Konzerne, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung früh angenommen haben, arbeiten bereits agil. Jetzt erfasst die zweite Welle der digitalen Transformation den Mittelstand und viele Unternehmen stoßen mit ihrem bisherigen Projektmanagement nach dem Wasserfallprinzip an ihre Grenzen. Denn wie sollen sie Pflicht- und Lastenheft definieren, wenn sie in einer sich schnell verändernden Welt noch gar nicht genau sagen können, welche Produkte und Services sich ihre Kunden in 18 Monaten wünschen?
Agile Entwicklung gilt oft als die Lösung für dieses Problem: schnell und flexibel sollen Ergebnisse erarbeitet werden. Und weil die Zeit drängt, wird sofort losgelegt. Damit agile Verfahren erfolgreich angewandt werden können, müssen jedoch einige Voraussetzungen im Unternehmen gegeben sein - oder geschaffen werden.
Wie Scrum funktioniert
Scrum ist die moderne Antwort auf die Wasserfall-Methode, bei der zu Beginn des Projektes alle Details im Pflichtenheft festgelegt werden und sich alle Beteiligten am Schluss dennoch über das Ergebnis wundern. In ein- bis vierwöchigen, "Sprint" genannten Entwicklungszyklen werden die anstehenden Aufgaben innerhalb des Entwicklungsteams verteilt und die Ergebnisse im Anschluss gemeinsam im Team bewertet.
Auf Basis des Erreichten wird der nächste Sprint geplant. Die interdisziplinär zusammengesetzten Entwicklungsteams managen sich selbst, der sogenannte Product Owner behält das Ziel im Blick und entscheidet Schritt für Schritt über den eingeschlagenen Weg. Agil zu arbeiten ist deswegen mehr als eine Methode, deren Regeln blind gefolgt werden kann, sondern ein Mindset. Die entsprechende persönliche Einstellung muss jeder Teilnehmer für sich selbst erwerben. Auch das Umfeld ist dabei entsprechend gefordert.
Und darin genau liegt die Herausforderung: Ein Mindset ändert sich nicht von selbst, nur weil ein Projekt nach einer neuen Methode umgesetzt wird.
Die Organisation muss sich umstellen
Organisationen, die agil arbeiten, verabschieden sich von Pflichtenheften, langen Entwicklungszeiten, festen Abgabeterminen und Spezifikationen für externe Dienstleister. Sie tauschen die methodische Langläufigkeit, das ständige Anpassen von Plänen, die Verwaltung von "Change Requests" und die dadurch vermeintlich resultierenden Glaskugel-Fähigkeiten gegen Geschwindigkeit, Flexibilität und das Wissen, kontinuierlich qualitativ hochwertige und jederzeit relevante Ergebnisse schaffen zu können.
Die Entscheidung für ein agiles Vorgehen muss deshalb bewusst getroffen werden, denn sie hat eine besondere Tragweite. Diese Methode unterscheidet sich radikal von traditionellen Verfahren. Sie bringt nicht nur mehr Verantwortung für die Mitglieder des Entwicklerteams mit sich, sondern erfordert auch mehr Engagement von den Entscheidern. Statt das Ergebnis einmalig am Projektende abzunehmen, müssen in regelmäßigem Abstand Fortschritte beurteilt und das weitere Vorgehen besprochen werden. Dazu sind nicht alle Manager bereit und viele haben einfach nicht die Zeit dafür.
Und nicht nur das: Agile Methoden setzen Offenheit für Veränderungen während des Projekts voraus. Das kann vor allem dann kritisch sein, wenn weitere involvierte Abteilungen wie zum Beispiel der Einkauf nicht in das Vorgehen einbezogen sind. Hier ist es wichtig, alle Beteiligten rechtzeitig mitzunehmen.
Risiko? Ja, bitte
Auch der Umgang mit Risiken muss sich ändern. Agiles Vorgehen funktioniert nicht in einer Umgebung, die extrem risikoscheu ist. Da weder das Ergebnis eines Projektes noch der Weg vorab exakt definiert werden, lassen sich auch kritische Bereiche nicht schon zu Beginn beschreiben. Das heißt jedoch nicht, dass Risiken nicht gemanagt werden können: Scrum zum Beispiel legt Regeln vor, wie Teams mit Unsicherheit umgehen und diese Schritt für Schritt auflösen können.
Doch nicht nur der Mut zum Risiko, auch die Akzeptanz von Einzelentscheidungen muss gegeben sein. Für Unternehmen, die Beschlüsse bisher bevorzugt in Gremien getroffen haben, ist dies eine spürbare Umstellung.
Deshalb ist es für den Erfolg von agilen Projekten entscheidend, dass Mitarbeiter und auch externe Dienstleister in agiler Methodik ausgebildet sind oder werden. Und auch das Topmanagement muss sich darauf einlassen. Denn: Das Beste aus beiden Welten gibt es nicht.
Gerne agile Teams, aber bitte mit festen Meilensteinen - der Wunsch, die Vorteile der agilen und der Wasserfall-Methode zu kombinieren und so ein flexibles Produkt in einem vorab definierten Zeitrahmen zu erhalten, geht leider nicht in Erfüllung. Agile Projekte lassen sich nicht in ein enges Korsett pressen, traditionell gemanagte Projekte können sich nicht im Verlauf an geänderte Kundenerwartungen anpassen.
Für agil gilt: ganz - oder gar nicht
Ein Team kann nicht erfolgreich agil agieren, wenn Entscheidungen final vom Top-Management getroffen werden müssen, dieses aber im Tagesgeschäft keine Zeit hat, sich in regelmäßigen Abständen mit dem Projekt zu beschäftigen. Oder auf bestimmten Umfängen, bindenden Terminen zur Fertigstellung oder Festpreisen in der Zusammenarbeit mit internen und externen Dienstleistern besteht.
Unternehmen müssen sich deshalb ehrlich fragen: Können sie vor Projektbeginn sicherstellen, dass das passende Mindset in ihrer Organisation verankert ist sowie Management und die Mitarbeiter bereit für und geschult in agilen Verfahren sind? Lautet die Antwort ja, sind Scrum und Co leistungsfähige Methoden, um (Entwicklungs-)Projekte durchzuführen. Kann dies jedoch nicht garantiert werden, sind sie gut beraten, beim nächsten anstehenden Projekt auf die routinierten Wasserfall-Prinzipien mit allen Nachteilen zu setzen - und parallel dazu das Fundament für den Einsatz agiler Methoden in Zukunft zu legen.