
Alexander Graf, Geschäftsführer und Gründer Spryker Systems
Alexander Graf, Geschäftsführer und Gründer Spryker Systems
Die Möbelbranche befindet sich in einem Wandel - der jahrelange Flächenaufbau hat zu einem massiven Verdrängungswettbewerb geführt, der von der "drohenden Konkurrenz aus dem Internet" noch verschärft wird.
Während ausländische Formate, wie wayfair.com, houzz.com, ao.com, casper.com oder maisonsdumonde.com richtig Gas geben und auch das Potenzial des deutschen Möbelmarktes für sich erkannt haben, lassen sich inländische Anbieter die Butter vom Brot nehmen. Durch die Denkweise, die auf traditionellen Geschäftsmodellen beruht, geben hierzulande die Anbieter entweder verfrüht Ihre Bemühungen wieder auf oder trauen sich nicht erste Schritte zu gehen. Von einer möglichen Internationalisierung ganz zu schweigen.
Die Begründungen, warum die alteingesessenen Branchendinos lieber versuchen, sich gegen den Trend zu stemmen, statt die Potenziale des E-Commerce zu nutzen sind vielfältig und teilweise schwer nachvollziehbar.
Vogel Strauß-Strategie führt selten zum Erfolg
Die Vogel-Strauß-Strategie ist nicht neu und man könnte meinen, dass sich mittlerweile herum gesprochen hat, dass sie in den wenigsten Fällen zum Erfolg geführt hat. Gegenwärtig zählen die innovationsfreudigen Unternehmen, die mit ihren Produkten die digitale Transformation nach vorn treiben, zu den wertvollsten weltweit - GAFA - also Google, Apple, Facebook und Amazon sind da nur als Spitze vom Eisberg zu nennen.
Dennoch gibt es immer noch genügend Kandidaten, die sich lieber krampfhaft an alten Strukturen festhalten und ihre Zeit lieber damit verbringen, Argumente dafür zu suchen, warum sich das Internet denn ausgerechnet in ihrer Branche nicht durchsetzen wird, anstatt sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Potenziale es denn fürs eigene Business bieten könnte.
Prominentestes Beispiel ist da wohl aktuell die Möbelbranche. Mit Argumenten wie "Wer will schon ein Sofa kaufen ohne vorher mal Probe gesessen zu haben?" oder "Die Produkte sind viel zu erklärungsbedürftig und schwer abbildbar" wird der Online-Möbelhandel als unrealistisch abgestempelt, was aus vielerlei Gründen verwundernswert ist.
Warum sich der Möbelhandel selbst im Weg steht
1. Der stationäre Möbelhandel hatte viel Zeit aus den Fehlern anderer zu lernen
E-Commerce ist mittlerweile kein neues Phänomen mehr, sondern mehr als 20 Jahre alt (1994 wurde Amazon gegründet, 1995 folgte eBay) und damit eine erwachsene Branche. Pure Player wie Amazon, Zalando und Co. machen uns seit Jahren vor, wie viel Potenzial im Onlinehandel steckt. Klassische Handelskonzerne wie Media Saturn tun sich jedoch hingegen schwer, brauchten mehrere Anläufe und wurden öffentlich belächelt, als sie rund ein halbes Jahrzent zu spät auch versuchten, ihre Produkte online zu verkaufen - als Online-Pure-Player längst den E-Commerce-Markt in diesem Segment dominierten. Umso verwundernswerter ist es, dass es immer noch Branchen gibt die weiterhin einfach weiter ausharren und warten, dass der "Tsunami E-Commerce" einfach über Sie hinwegrollen wird.
2. Der Möbelmarkt ist längst gesättigt und der Verdrängungswettbewerb hat längst eingesetzt
Laut Statista stagniert das Marktvolumen des Deutschen Möbelmarktes seit zehn Jahren bei rund 30 Milliarden Euro, während die großen Ketten gleichzeitig konsequent in den Ausbau ihrer Flächen investiert haben - und auch weiter investieren. Laut Möbelkultur nehmen die 167 größten Einrichtungshäuser in Deutschland eine Fläche von sechs Millionen Quadratmetern ein und weitere 685.000 Quadratmeter sind für die nächsten zwei Jahre geplant, was schlichtweg zur Frage führt: Woher soll der zusätzlich notwendige Umsatz kommen, wenn schon die bestehenden Flächen in ihrer Umsatzproduktivität sinken?
Die Auswirkungen sind schon lange spürbar - laut Statista ist die absolute Zahl der Möbeleinzelhändler bereits seit dem Jahr 2000 rückläufig und sank bis heute von 11.262 Unternehmen auf 9.129 - und laut dem Branchenverband BVDM werden in den nächsten fünf Jahren 600 weitere das Handtuch werfen müssen - wenn sie die Entwicklungen weiter verschlafen...
3. Kunden verzichten sehr wohl auf die Romantik des Haptischen, wenn es um den Möbelkauf geht
Bereits 2013 gaben im Rahmen einer Bitkom-Umfrage 23 Prozent der deutschen Internetnutzer an, bereits Möbel im Internet gekauft zu haben - was zwölf Millionen Konsumenten entspricht. Gleichzeitig gaben nur 15 Prozent an, sich nicht vorstellen zu können, ihre Möbel online zu kaufen - und dass dieser Wert in den letzten zwei Jahren sicherlich nochmals gesunken ist, zeigen auch die recht eindrucksvollen Zahlen der führenden Deutschen Online-Pure-Player im Möbelhandel: Die Rocket-Beteiligung Home24 belehrte den Konsumenten 2012 nicht nur, dass man zum Möbelkauf nicht mehr an den "Arsch der Welt" fahren muss und nimmt in der aktuellen Kampagne mit den Worten: "Betten kostenlos liefern lassen statt ANSTÄLLN mit allen anderen" den weltweit größten Möbelhändler aufs Korn, sondern scheint mit den Messages auch einen Nerv zu treffen: 2009 in Berlin gegründet, verzeichnete das Unternehmen vier Jahre später bereits einen Umsatz von 93 Millionen Euro und hat im ersten Halbjahr 2015 seinen Umsatz nochmals gesteigert - auf insgesamt 117,6 Millionen Euro - fairerweise muss man sagen, bei einem Ebitda von -37,3 Millionen Euro (-31,7 Prozent).
Eindrucksvoller ist da noch die Tatsache, dass der Kundenstamm um 85 Prozent auf 1,8 Millionen ausgebaut wurde und der Wert des Unternehmens nach der letzten Finanzierungsrunde bei 934 Millionen Euro liegt.
Ähnlich eindrucksvoll sind auch die Zahlen bei einer anderen Rocket-Beteiligung. Der Shopping-Club Westwing wurde 2011 gegründet, hat mittlerweile 1.600 Mitarbeiter und 20 Millionen Mitglieder in 15 Ländern und bringt es aktuell auf 108,8 Millionen Euro Umsatz bei einem Ebitda von Minus 34,5 Millionen Euro. Aber auch bei Zalando hat sich der lange Atem gelohnt und über die Börsengänge beider einrichtungsfokussierten Unternehmen wird schon lange spekuliert.
Eine Branche behindert sich selbst
Natürlich möchte ich nicht bestreiten, dass eine Vielzahl an Kunden die Möbel erst sehen und anfassen möchte und sich auch gern umfassend beraten lässt, bevor sie wirklich kaufen - aber ob das darin begründet liegt, dass die derzeit bestehenden Konzepte um Möbel online an den Mann oder die Frau zu bringen, einfach noch zu schlecht sind um auf den persönlichen Berater vor Ort zu verzichten, sei dahingestellt.
Fakt ist auf jeden Fall, dass die Branche etwas tun muss, um sich nicht komplett die Butter vom Brot nehmen zu lassen - beispielsweise von Herstellern, die zunehmend auch direkt oder über Marktplätze wie Amazon, Hitmeister oder eBay online verkaufen. Dass sie das tun ist kaum verwunderlich - zwar versucht der Handel (über die Einkaufsverbände) diese Bestrebungen mittels diverser Restriktionen klein zu halten - indirekt werden die Online-Aktivitäten jedoch regelrecht forciert, indem der Handel seine Zulieferer dazu zwingt, die Produkte per Dropshipping direkt an die Endkunden zu versenden. Kurzfristig spart der Handel so Lagerkapazitäten und erhöht damit seine eigenen Marge, langfristig finanziert er damit jedoch den Aufbau eigener Versandkapazitäten beim Hersteller und ermöglicht diesen so einen noch schnelleren Direkteinstieg in den Onlinehandel.
Dilemma und Dreiecksbeziehung
Momentan erkennen leider zu wenige Händler das Dilemma, da sie sich aktuell durch die Dreiecksbeziehung zwischen Hersteller-Verbundgruppe-Handel noch geschützt fühlen: Die rund 20 Verbundgruppen in Deutschland stellen durch ihre hohen Umsatzvolumina auf Grund des zentralen, gebündelten Einkaufs für ihre Mitglieder eine massive Marktmacht dar und können daher auf Online-Bestrebungen ihrer Hersteller mit aktiven Restriktionen reagieren, um ihre Mitglieder zu schützen. Das dies allerdings keine langfristige Überlebensstrategie sein kann, zeigt sich jedoch aktuell schon an verschiedenen Beispielen. A-Marken wie Vitra, Rolf Benz oder Kartell sind schon jetzt in einer geringeren Einzelhandelsanhängigkeit - ihre Produkte sind vom Kunden so gefragt, dass dieser eher den Händler wechselt, als auf seinen geliebten Vitra Chair zu verzichten, mit dem er schon seit Jahren liebäugelt - in dieser Gruppe setzt sich der Online-Direktvertrieb daher schon am stärksten durch. Aber auch bei B- und C-Marken, die noch in einer starken
Handelsabhängigkeit sind, bewegt sich etwas, auf Grund wachsender Möglichkeiten im E-Commerce. Ihnen kommt die schnell wachsende Anzahl an Online-Möbelshops zu Gute: Für die Verbundgruppen ist es zunehmend schwerer nachzuvollziehen, bei welchen Onlinehändlern ihre Hersteller überall gelistet sind und so einzuschätzen, wie hoch ihre eigene Macht noch ist, oder ob der Hersteller schon einen Großteil seiner Umsätze über andere Kanäle bezieht - es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Hersteller komplett aus der Abhängigkeit der alten Distributionspartner lösen können.
Wer sich im Detail zu den komplexen Hersteller - Verbundgruppen - Händler-Beziehungen interessiert, der kann das Thema gern in meinem zusammen mit Home & Living-Berater Pierre Haarfeld veröffentlichtem Whitepaper vertiefen.
Möbelhandel online ist mehr als nur einen Onlineshop zu eröffnen
Statt nur auf die Behinderungstaktik zu setzen, täten die Verbundgruppen also sicherlich gut daran, ihren Mitgliedern lieber zukunftsfähige Strategien zu präsentieren, die den E-Commerce als Chance für Händler und Hersteller und nicht als allgemeine Bedrohung für den Handel sehen - das ist natürlich wesentlich leichter gesagt als getan.
Meist sind zu viele interne Gegner vorhanden, die eine Kannibalisierung aus den eigenen Reihen fürchten, würde es denn einen zentralen Shop über die Gruppe hinweg geben - gleichzeitig fehlen aber generell interne Strukturen, Umsetzungskompetenz und der Wille ein signifikantes Budget für ein wirklich leistungsfähiges Shop-Projekt bereitzustellen, ist nicht vorhanden.
Der Kunde denkt in Bedürnissen
Denn im Falle des Möbelhandels reicht es wirklich nicht aus, einfach nur die Produkte mit Hilfe der vorhanden Daten (Bilder, Attribute und Beschreibungen) - nennen wir es "lieblos" - ins Netz zu stellen. Wenn sich der Handel darüber einig ist, dass die umfassende Beratungskompetenz, die haptische Komponente und der persönliche Bezug der große Vorteil vom stationären Handel ist, dann müssen genau diese Stärken mit den Vorteilen des E-Commerce kombiniert werden: Denn der Kunde denkt nicht in online oder offline - er denkt in Bedürfnissen und möchte diese effizient und bequem befriedigt wissen: Bestenfalls kann sich der Kunde die Couch im Netz anschauen, bei Gelegenheit im stationären Handel Probe sitzen, bei Gefallen online bestellen und bei Problemen dennoch wieder offline beraten lassen: Multi- oder Omnichannel-Konzepte sind in dem Fall also gefragt: die Kanäle zu verbinden wird für Anbieter zur Hausaufgabe und wird mehr und mehr als Selbstverständlichkeit von den Kunden eingefordert.
Solche Konzepte erfordern allerdings auch eine Verzahnung der Systeme, zentrale Bestände und Datenpools sowie Schnittstellen zu den angeschlossenen Händlern und Systemen. Solche Konzepte sind teuer und müssen strategisch geplant und mit höchster Priorität umgesetzt werden. Statt sich der Herausforderung zu stellen, sitzen Hersteller und Händler zum Teil aber lieber wie das Kaninchen vor der Schlange, während etablierte Teilnehmer die Potenziale der E-Commerce erkennen und nutzen.
"Und dann ist Schicht"
Dass diese Strategie nicht die Lösung sein kann, sehen selbst klare Befürworter des stationären Handels wie Gerrit Heinemann, der betont, dass die Pionierphase im E-Commerce vorbei ist und gibt Händlern maximal noch ein Zeitfenster von zwei Jahren für die Aufholjagd: "danach wird der Vorsprung der Onliner zu groß sein. Und dann ist Schicht." (BrandEins, April 2015, S. 67.)
Wer sich für die Trends und Bewegungen im Möbel-Onlinehandel interessiert, dem sei der von mir kuratierte Digital Commerce Day (21. und 22. April 2016 in Hamburg) empfohlen - hier widmen wir dem Thema explixit einen eigenen Slot und diskutieren unter anderem mit Vertretern von Moebel.de, Minumum.de aber auch stationären Händlern zu deren Zukunftsstrategien.