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Sonstiges 02.02.2016
Sonstiges 02.02.2016

Expert Insights Dynamische Attribution: So gelingt die optimale Kanalgewichtung in Echtzeit

Die Vielzahl von Daten ist zu viel für das menschliche Gehirn. Der Ausweg dieser menschlichen Überforderung liegt im Falle der Customer Journey Analyse in der Etablierung dynamischer Attributionsmodelle.

Was haben selbstfahrende Autos und dynamische Attributionsmodelle für die Customer Journey Analyse gemeinsam? Richtig: Beide werden als große Zukunftsthemen gehypt, sind im Regelbetrieb aber noch nicht auf der Straße. Beide stehen außerdem für die digitalen Megatrends Automation und Machine Learning. Und: In beiden Fällen tun wir uns schwer, "das Steuer aus der Hand zu geben", also unser Handeln und die Kontrolle darüber Daten und Algorithmen zu überlassen. Doch bleibt uns in Zeiten exponentiell wachsender Datenmengen überhaupt eine Wahl?

Bereits heute überfordert die Vielzahl von Daten und Informationen das menschliche Gehirn (auch das des Marketers). Auf der einen Seite werden bei der Analyse der Daten zur Customer Journey häufig die falschen Schlussfolgerungen für die Optimierung der Marketingstrategien getroffen. Auf der anderen Seite - und das ist beinahe noch schlimmer - herrscht in den Unternehmen beim Umgang mit Daten vielfach apathische Tatenlosigkeit. Beispielsweise, wenn werbungtreibende Unternehmen die vorhandenen Datenströme und -schätze ignorieren und überhaupt nicht nutzen.

Ausweg: Etablierung dynamischer Attributionsmodelle

Der Ausweg dieser menschlichen Überforderung aufgrund der ansteigenden Komplexität liegt im Falle der Customer Journey Analyse in der Etablierung dynamischer Attributionsmodelle. Wie das selbstfahrende Auto die Mobilität, hebt die dynamische Attribution die ganzheitliche und somit korrekte Erfassung und Bewertung der Werbekanäle auf ein fortschrittliches Level.

Denn anders als bei statischen Modellen, die jedem Touchpoint einen bestimmten Wert zuordnen (zum Beispiel Gleichverteilung, U-Modell), erfassen dynamische Modelle laufend und für jeden einzelnen User, welcher Touchpoint welchen Beitrag zur Conversion beiträgt. Dabei werden auch Wechselwirkungen und Synergien zwischen den Kanälen berücksichtigt. Unaufhörlich durch neue Echtzeitdaten gespeist, lernen und entwickeln sich die hochsensiblen dynamischen Modelle permanent weiter. Veränderungen des individuellen Kundenverhaltens (zum Beispiel wachsendes Recherchebedürfnis oder steigende Preissensibilität), Verschiebungen im Markt (zum Beispiel steigender Wettbewerb) oder Wirkungsveränderungen von Werbemitteln (zum Beispiel sinkende Relevanz von Display-Ads durch Ad-Blocker) fließen automatisch in die Attributionsmodellierung mit ein - gesteuert von künstlicher Intelligenz und nicht von Menschenhand.

Ganz anders bei der klassischen statischen Attribution: Hier hält der Marketingverantwortliche auf Agentur- oder Unternehmensseite das Lenkrad in der Hand und steuert die Gewichtungslogik entsprechend dem veränderten Kaufverhalten aus - nicht selten intuitiv und nach "Gefühl".

Maximale Effizienz - minimale Transparenz

Die dynamische Attribution ist sicher der exakteste Ansatz zur Verteilung des Ertrages eines Werbeerfolges auf Werbemittel und -kanäle. Doch wie immer, wenn wir Menschen den Maschinen das Denken überlassen, ist das mit einem tiefgreifenden Kontrollverlust und gravierenden Folgen für den Marketer verbunden:

Da für jede Customer Journey die algorithmenbasierte Verteilung des Ertrages anders aussieht, ist es für den einzelnen Kanalverantwortlichen in den Unternehmen in der Summe kaum zu erkennen, warum die Performance "seines" Kanals im Vergleich zum Vormonat gestiegen oder gesunken ist und folglich wo und wie er optimieren kann. Ihre volle Kraft bringt die dynamische Attribution entsprechend erst dann auf die Straße, wenn ein Unternehmen sein gesamtes Silodenken über Bord geschmissen hat und alle Marketingmitarbeiter kanalübergreifend ein gemeinsames Ziel ansteuern (zum Beispiel Umsatzmaximierung bei gleichbleibenden Cross-Channel-CPO). Der jeweilige Kanalverantwortliche optimiert in dieser idealen Welt nicht mehr "seinen" Kanal, sondern ist als Bestandteil eines Teams für das Gesamtergebnis mitverantwortlich.

Die Crux: Bei seit Jahren auf performance-ausgerichtete Unternehmen mag die Fokussierung aller Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel Realität sein. In der Mehrheit der deutschen Unternehmen sind allerdings noch getrennt voneinander agierende Marketingsilos die Regel. Insofern sollten sich die Verantwortlichen auf Unternehmensseite gut überlegen, ob sie in ihrer Unternehmenskultur und in ihren Organisationsstrukturen schon so weit sind, um die Einflussmöglichkeiten der Mitarbeiter massiv zu beschneiden und einzig der Maschine die Verteilung der Budgets zu überlassen.

Was also tun?

Vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Werbungtreibenden noch am Anfang einer Multi-Touchpoint-Bewertung seiner Werbeaktivitäten stehen, erscheint der Hype um dynamische Attributionsmodelle der zweite Schritt vor dem ersten zu sein. Denn individuell auf das Unternehmen zugeschnittene, regelbasierte Modelle bringen bereits einen enormen Effizienzgewinn gegenüber dem traditionellen last- oder first-click-Modell. Erst wenn diese Ansätze ihren Grenznutzen erreichen, sollten sich Marketer den dynamischen Modellen zuwenden.  

Damit die Transformation von der regelbasierten Verteilung zu einer algorithmen-basierten dynamischen Verteilung gelingt, ist es notwendig, sich Schritt für Schritt dem Thema zu nähern. Eine Möglichkeit liegt beispielsweise darin, mittels einer darauf ausgerichteten Software dynamische Attributionsmodelle parallel zu bereits im Unternehmen etablierten statischen Modellen laufen zu lassen und zu analysieren, wie sie sich in ihrer Bewertung unterscheiden. Im nächsten Schritt bietet es sich an, in einem Nischenbereich des eigenen Unternehmens zu testen, wie gut das dynamische Modell in der Praxis funktioniert.

Oder um es mit der Entwicklung selbstfahrender Autos zu vergleichen: Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Kinder selbstfahrende Autos nutzen werden und dass dies gut funktionieren wird. Stand heute bin ich aber froh, selbst noch am Steuer zu sitzen - und vielleicht ab und zu die Abstandswarnung zu aktivieren.

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