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Sonstiges 26.01.2016
Sonstiges 26.01.2016

Expert Insights Digitale Distribution: Kein Spielfeld für Verlage

Auch im digitalen Zeitalter behalten Verlage ihre Rolle als wichtige Schöpfer hochwertiger Inhalte. Die Verbreitung bei der Zielgruppe allerdings beherrschen andere viel besser.

Können Sie ad hoc beantworten, aus welchen Quellen die Nachrichten stammten, die Sie heute gelesen haben? Achten Sie mal darauf. Bei mir waren es heute mehr als zehn Quellen, darunter Spiegel Online, Wired.de und handelsblatt.com. Allerdings: Für keinen der Artikel, die ich größtenteils auf meinem Smartphone gelesen habe, habe ich eine dieser Seiten direkt angesteuert. Mindestens zwei News habe ich aus meinem Twitter-Feed heraus angeklickt, einen hat mir ein Kollege per Link über den Yahoo Messenger weiterempfohlen, die Spiegel-Beiträge habe ich als Instant Articles direkt in der Facebook-App gelesen.

Warum ich das erzähle? Unser Weltbild wird im Zeitalter von Mobile und Social Media nicht mehr geprägt von dem einen Medium, das wir von vorne bis hinten lesen. Wir nehmen Online-Inhalte unterschiedlichster Herkunft heute dort auf, wo wir uns gerade befinden - häufig in sozialen Netzwerken oder über Messenger, die ebenfalls heute Communitys bilden. Das erfordert vor allem in Verlagen ein Umdenken. Ich trete ein für eine klare Arbeitsteilung: Die einen erschaffen Inhalte, andere distribuieren sie über digitale Kanäle.

So abgedroschen der Spruch "Content is King" wirken mag: Er ist wahrer als je zuvor. Menschen sehnen sich nach hochwertigen Inhalten, nach Geschichten, die informieren und berühren. Sie interessieren sich, wenn sie online unterwegs sind, aber immer weniger für die Absender-Marke, die hinter einem Inhalt steht. Aus diesem Grund prognostiziere ich, dass die verlagseigenen Portale von Medienmarken, vor allem die News-Startseiten, immer mehr Leser verlieren werden.

Viele abgeschottete Insellösungen statt guter User Experience

Bisher hosten Online-Medien ihre Inhalte größtenteils auf ihrer eigenen Präsenz im Netz. Jede Homepage ist eine Insellösung und ein kleines in sich geschlossenes Ökosystem. Die Verlage hegen es, indem sie über soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Tumblr Leser auf ihre Webseite zu lotsen versuchen. Der Internetnutzer klickt also beispielsweise auf einen Link in einem Tweet und landet auf einem publizistischen Angebot. Schlimmstenfalls wird ihm dieses nicht einmal in einer Darstellung geboten, die für die Displays von Smartphones optimiert ist. In jedem Fall aber muss er zum Teil mehrere Sekunden warten, bis sich ein Artikel im Browser oder eine App öffnet. Meine Prognose lautet: Die Menschen sind immer weniger bereit, das zu akzeptieren. Denn nutzerfreundlich ist diese Art der Leserführung nicht.

Bequem und an den Bedürfnissen der Nutzer ausgerichtet ist es hingegen, wenn ich möglichst viel auf meinem mobilen Gerät innerhalb einer einzigen App tun kann. Wenn eben ein soziales Netzwerk der Raum ist, in dem ich mich mobil bevorzugt bewege, möchte ich dort auch Nachrichten konsumieren, vielleicht sogar von dort aus direkt online einkaufen. Ohne, dass ich zwischendurch immer wieder mit langen Ladezeiten konfrontiert bin oder ständig zwischen mehreren Apps hin und her switchen muss.

Sich um eine möglichst nahtlose und komfortable Nutzererfahrung zu kümmern, ist allerdings nicht die Welt, aus der Verlage kommen. Sie haben sich mit ihren Medienmarken darauf spezialisiert, vertrauenswürdige Inhalte zu produzieren. Das ist ihre Kernkompetenz. Darauf sollten sie auch weiterhin ihre Energie verwenden. Das darf natürlich nicht als Aufforderung missverstanden werden, die User Experience zu vernachlässigen. Die ist unbedingt zu verbessern. Nur müssen und sollten Verlage das nicht selbst in die Hand nehmen. Sie sollten dafür kooperieren mit, wie ich sie nenne, Digital Pure Players - Unternehmen wie Tumblr, Facebook, Twitter oder auch eine App wie Flipboard.

Kernkompetenz der Digital Pure Players: Inhalte zur Zielgruppe bringen

Diese Unternehmen zeichnet aus, dass sie sich von Beginn an auf die Distribution von Inhalten im digitalen Raum fokussiert haben. Die Kernkompetenz von Digital Pure Players ist es, Inhalte, die in der Regel andere geschaffen haben, zu den Zielgruppen zu bringen. Ein gutes Beispiel sind die Instant Articles bei Facebook. Zur Verfügung gestellt wird der Inhalt von klassischen Medienredaktionen. Facebook ist die Plattform, über die er sein Publikum erreicht - die Leser sind dort ohnehin, und sie müssen das soziale Netzwerk für die Lektüre
auch nicht verlassen.

Ein journalistisches Medium kann auf diese Weise seine Inhalte für die Leserschaft viel bequemer zugänglich machen. Und die Werbeeinnahmen, die im Umfeld der Instant Articles generiert werden, kommen zu einem großen Teil dem Ersteller der Inhalte zugute. Die Refinanzierung des Journalismus kann also auch außerhalb des Ökosystems einer eigenen Homepage stattfinden.

Verlage müssen dorthin gehen, wo die Nutzer schon sind

Wir sollten ohne Scheu verstärkt über derartige Kooperationsmodelle zwischen Verlagen und Digitalunternehmen nachdenken. Wie auch in vielen anderen Belangen sind die USA auch bei diesem Thema schon deutlich weiter als Deutschland. Verlage haben dort schon deutlich weniger Berührungsängste gegenüber Digital Pure Players.

Ein gutes Beispiel ist die National Geographic Society, die mit Flickr, Instagram und Tumblr zusammenarbeitet. Auf Tumblr pflegt sie unter anderem "Found", eine kuratierte Sammlung von Fotografien aus den eigenen Archiven. Hinter den Posts, zum Teil niemals vorher veröffentlichte Fotos, steht ein Redaktionsteam. Es handelt sich also um ein redaktionelles Angebot. Doch es wird nicht auf der Homepage des National Geographic Magazins angeboten, sondern auf Tumblr, wo Millionen Menschen ohnehin Inhalten zu unterschiedlichsten Themen und Leidenschaften teilen. National Geographic versucht also nicht, Nutzer auf eigene Webseiten zu locken, sondern geht mit seinen Inhalten dorthin, wo die Nutzer bereits sind.

Auch auf dem deutschsprachigen Markt werden sich solche Modelle mehr und mehr durchsetzen. Wir sollten uns dem nicht aus einem falsch verstandenen Traditionsgedanken heraus verschließen. Letztlich können gute Inhalte auf Dauer nur überleben, wenn sie ihr Publikum finden. Und dieses Publikum tummelt sich nun mal in Massen eher in sozialen Netzwerken als auf den Homepages von Online-Medien.

Fazit

Zu hochwertigen Inhalten gehört eine professionelle Distribution. Durch und durch digitale Unternehmen sind die richtigen Partner, um diese Leistung zu erbringen. Darauf sollten sich Verlage einlassen. Das ist in ihrem eigenen Sinne - und vor allem im dem ihrer Nutzer.

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