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Jacobi
Sonstiges 28.02.2018
Sonstiges 28.02.2018

Expert Insights Was Addressable TV mit Elektroautos gemeinsam hat

Robert Jacobi, Managing Partner bei The Nunatak Goup

Robert Jacobi, Managing Partner bei The Nunatak Goup

Die Verschmelzung der klassischen und digitalen Kanäle und der zugrunde liegenden Technik wird die TV-Welt revolutionieren. Addressable TV - personalisierte Fernsehwerbung - ist dabei das Stichwort der Stunde, auch wenn die Umsätze noch minimal sind.

Mit der personalisierten Fernsehwerbung ("Addressable TV") verhält es sich in etwa so wie mit der Elektromobilität: Ihre Vorteile sind offensichtlich und der Markt wächst mit hohen Prozentbeträgen, aber die Umsätze insgesamt sind im Vergleich zur klassischen Werbung noch immer minimal.

Verwunderlich, denn die Vorteile liegen auf der Hand: für Werbetreibende, die ihre Zielgruppen genauer ansprechen können. Für Zuschauer, die wenigstens relevante Werbung ausgespielt bekommen, wenn es denn nicht ohne Werbung geht. Und für die Sender sowieso: Sie können Restplätze besser vermarkten, in denen die Zuschauerzahl zu klein ist, um klassische Spots zu verkaufen.

Warum ist das so - und wodurch könnte sich das ändern?

  1. Die Sender und ihre Vermarkter haben die Sorge, ihr Kerngeschäft zu kannibalisieren. Wie so oft bei neuen Technologien: Auch wenn die Marktplayer ihr Potenzial erkennen, ist die Sorge groß, dass sie weniger rentabel sind als das bestehende Geschäft. Das ist bei Elektroautos so, unter anderem angesichts der teuren Batterien, und auch im TV-Geschäft. Nur, hier wie dort gilt: Wer sich nicht bewegt, öffnet neuen Playern das Feld und muss schauen, wo er bleibt. Investitionen in die Zukunft zahlen sich leider nicht kurzfristig aus, aber ohne sie ist der Erfolg erst recht gefährdet.

  2. Technologie und Infrastruktur sind (teils) noch nicht weit genug. So richtig möglich wird der Austausch kompletter Spots je nach Haushalt erst durch den HbbTV 2.0-Standard. Über diesen verfügen nur die allerneuesten TV-Geräte. Immer mehr Zuschauer wandern jedoch ohnehin auf alternative Nutzungsformen ab, auf mobilen Endgeräten oder anderswo, und dort sind die Instrumente schon jetzt verfügbar. Vorausgesetzt, die Vermarkter öffnen sich konsequent der Technologie und weiten die AdServer-Logik, die sie bereits für ihre digitale Werbung verwenden, auf das TV-Geschäft aus. Das ist immerhin schon "work in progress" bei manchen, wenn auch nicht bei allen klassischen Anbietern.

  3. Die Hausaufgaben im Bereich Datenmanagement sind nicht gemacht. Addressable TV braucht Daten über die Zuschauer - und generiert sie zugleich auch. In Zeiten der Datenschutzgrundverordnung haben viele Anbieter gemerkt, dass sie das Thema dringend angehen müssen. Und zwar nicht passiv, sondern aktiv: Datensammlung und -aggregation ist weiterhin gestattet, nur muss sie bestimmten Kriterien gehorchen. Wer diese befolgt, schafft sich Handlungsspielraum, und hat keinen Grund zur Angst vor Negativ-Schlagzeilen in Richtung Missbrauch oder Überwachung. Relevanz für den Zuschauer ist ein echter Mehrwert, dieser lässt sich mit Daten sicherstellen, und das Engagement dafür lohnt sich.

  4. Das Interesse der Werbekunden wird falsch eingeschätzt. Klassische Branding-Kunden sagen gerne, dass sie Mikro-Zielgruppen nicht brauchen. Um deren Budgets tobt aber ohnehin der größte Wettbewerb. Viel interessanter sind abverkaufsorientierte Kampagnen, die bisher nicht klassisch im Fernsehen liefen und sich jetzt dort rentieren, und das nicht nur im Nachtprogramm. Das Performance-Prinzip aus dem Web funktioniert hier sogar besser, wie die laufenden Projekte zeigen. Die Herausforderung liegt hier eher bei den Vermarktern, die ihre Organisation nicht mehr scharf zwischen Online- und TV-Vermarktung trennen können, weil sich die Ansprache der Kunden und auch die Buchungslogik immer mehr angleicht.

  5. Die Rolle des klassischen TV als Nutzungsform wird immer noch überbewertet. Vermarkter und Werbetreibende leben immer noch in der Scheinwelt von klassischen Quoten und Reichweiten. Wer ehrlich misst, wann wirklich zugeschaut wird, weiß, dass das längst nur noch Schein ist. Ohne Cross-Channel-Vermarktung auch in Richtung Mobile sind insbesondere jüngere Zuschauer gar nicht mehr erreichbar. Sie künstlich auf einem Kanal halten zu können, ist schwierig, und überhaupt nur noch möglich, wenn über Smart-TVs auch die Möglichkeiten der Werbung besser ausgenutzt werden - von direkter Vereinbarung von Probefahrten über das Bestellen von Produkten hin zu virtuellen Besuchen am Point of Sale.

Genauso, wie Elektroautos in Verbindung mit autonomen Fahren eine neue Mobilitätswelt entstehen lassen, wird die Verschmelzung der klassischen und digitalen Kanäle und der zugrunde liegenden Technik die TV-Welt - nicht nur in der Werbung, auch in der Ausspielung der Inhalte - revolutionieren.

Noch sind die Beharrungskräfte stark, doch irgendwann, auch das lehren vergleichbare Fälle, brechen sie angesichts der evidenten Vorteile des neuen Systems in sich zusammen. Auf der Gewinnerseite stehen dann diejenigen, die sich früh genug auf die Veränderung eingestellt haben.

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