
Das Vergabeverfahren für die neuen Top Level Domains (New TLD) bringt die Internet-Kontrollorganisation ICANN an ihre Grenzen. Aufgrund technischer Probleme wird jetzt das Bearbeitungsverfahren für die fast 2.000 Anträge auf Zulassung einer neuen TLD geändert. Nicht die erste Panne in diesem Zusammenhang - der zuständige Manager hat bereits seinen Posten geräumt.
Nachdem die IT-Infrastruktur der Internet-Kontrollorganisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) bereits während der Anmeldefrist für die neuen TLDs zusammenbrach (wir berichteten), kommt die Non-Profit-Organisation auch bei der Bearbeitung der inzwischen eingegangenen, knapp 2.000 Anträge an ihre Grenzen. Wir erinnern uns: Erstmals in der Geschichte der ICANN konnten sich Unternehmen und Interessensgruppen frei um die Zuteilung einer Top Level Domain bewerben - also zum Beispiel .bmw für den Autobauer, .berlin für eine Region oder .shop für Onlineshops.Vom 12. Januar bis 12. April 2012 sollte ursprünglich die Frist für die Bewerbungen laufen - nachdem das IT-System der ICANN unter dem Ansturm der Bewerber zusammengebrochen war, musste die Organisation das Enddatum verschieben. In Anbetracht der Tatasache, dass die ICANN den gesamten Adressraum des Internets verwaltet und von Bewerbern valide Nachweise darüber fordert, dass sie technisch in der Lage sind, als Registry für die von ihnen beantragte TLD zu fungieren, in den Augen vieler Insider ein echtes Armutszeugnis.
Jetzt liegen 1.930 Bewerbungen bei der ICANN vor, jede von ihnen umfasst mehrere hundert Dokumente. Die Bearbeitung aller Anträge wird Monate dauern - das war vorher bekannt. Für die Antragsteller entscheidend ist deshalb die Reihenfolge, in der über die eingegangenen Bewerbungen entschieden wird. Dazu hatte sich die ICANN ein kompliziertes System namens "Digital Archery" (Digitaler Bogenschusswettbewerb) ausgedacht: Bewerber sollten einen Zeitpunkt genannt bekommen, an dem sie sich ins System einloggen müssen - und wer diesen Zeitpunkt möglichst genau trifft, dessen Antrag wird bevorzugt bearbeitet. Nachdem sich in den vergangenen Wochen die Meldungen über technische Unzulänglichkeiten dieses Systems gehäuft hatten, hat die ICANN jetzt die vorläufige Aussetzung des Archery-Verfahrens bekannt gegeben. Gesucht wird jetzt nach einer möglichst gerechten Methode, die Reihenfolge der Anträge festzulegen. Die naheliegensten Möglichkeiten scheiden aus: Das Prinzip "Bearbeitung nach Eingang" hätte bereits zu Beginn der Bewerbungsfrist kommuniziert werden müssen und eine Verlosung der Slots erscheint den Verantwortlichen zu riskant, sie befürchten Klagen wegen illegalen Glücksspiels - denn die Antragsteller haben schon viel Geld bezahlt. Insgesamt, so schätzen Experten, kostet der Antrag auf eine New TLD rund 185.000 Dollar, wobei dort neben der Antragsgebühr für die ICANN auch Kosten für die notwendige technische Infrastruktur für den Betrieb einer Registry enthalten sind. Diese Kosten, so steht zu befürchten, laufen weiter, auch wenn sich die Zuteilung der TLD in die Länge zieht.
Ob die erneute Panne im New-TLD-Einführungsprozess Michael Salazar seinen Posten gekostet hat, ist unklar. Salazar, seit 2009 Direktor des New-TLD-Programms hat vor wenigen Tagen seinen Rücktritt erklärt. Seinen Posten übernimmt interimsmäßig Kurt Pritz, bisher Senior Vice President und einer der Sprecher des gTLD-Programms der ICANN. Auch an der ICANN-Spitze werden die Stühle gerückt, Fadi Chehadé, ein aus Ägypten stammender US-Amerikaner folgt als CEO auf Rod Beckstrom, dessen Amtszeit turnusgemäß am 1. Juli 2012 endet. Wann genau Chehadé seinen Posten antreten wird ist jedoch - wie so vieles bei der ICANN - noch nicht ganz klar. ICANN spricht von 1. Oktober 2012 oder früher. Bis dahin fungiert Chief Operating Officer Akram Atallah als Interims-CEO.