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Sonstiges 24.05.2016
Sonstiges 24.05.2016

Andreas Ernst, Geschäftsführer Jung von Matt/Alster "Aus dem Informationsmeer auftauchen"

Content Marketing, Native Advertising, Storytelling: Immer wieder sorgen Buzzwords für Aufruhr in der Marketing-Branche. Im Interview versucht Andreas Ernst (Jung von Matt) Licht ins Dunkel zu bringen.

Wer neue Kunden für sein Produkt oder die eigene Dienstleistung gewinnen möchte, benötigt Aufmerksamkeit. Reichte dafür vor 30 Jahren vielleicht noch eine Anzeigenkampagne in einer renommierten Zeitschrift aus, ist der erforder­liche Marketingaufwand heute deutlich höher.

Im Durchschnitt verbrachten die Deutschen laut einer gemeinsamen Studie von ARD und Agma (Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse) 2015 insgesamt 452 Minuten, also etwa 7,5 Stunden, pro Tag mit audiovisuellen Medien. Der Großteil dabei entfällt auf Fernsehen und Radio. Die Internet-Nutzung ist in dieser Studie noch nicht eingerechnet.

Addiert man noch das Zeitbudget des Nutzers für Internet-Nutzung - bei ­Jugendlichen beläuft sich der Konsum inzwischen auf mehr als 200 Minuten täglich - und soziale Medien, kommt man schnell an dem Punkt an, an dem klar wird: Die Gesellschaft im Allgemeinen und Digital Natives im Speziellen laufen Gefahr, in der unaufhaltsamen Flut von Informationen, die Tag für Tag auf sie einprasseln, zu ertrinken. Wie Marken aus der Masse herausragen können und welche Rolle Buzzwords spielen, erklärt Andreas Ernst, Geschäftsführer Jung von Matt/Alster und Sprecher auf dem Online Marketing Forum, im Interview.

Herr Ernst, welches Marketing-Buzzword beschert Ihnen momentan beim Hören die größten Schmerzen?

Andreas Ernst: Da muss ich schmunzeln. Ich mache meinen Job beinahe 20 Jahre, dabei habe ich das eine oder andere ­Buzzword kommen und gehen sehen. Schmerzen wäre jetzt zu viel gesagt. In ­unserer Branche gehören die Buzzwords ein Stück weit dazu. Was aber momentan in der Phrasendrescherei ein bisschen ­heraussticht und zuweilen nervt, ist die oft substanzlose Diskussion um Content ­Marketing.

Wer erfolgreiches Marketing betreiben möchte, muss also auch schon einmal ein Buzzword in die Welt setzen.

Ernst: Ich glaube, da muss man selbstkritisch sein und sehen, dass unsere Branche so funktioniert. Sie braucht neue Trends und muss vermehrt einen einfachen ­Zugang zu komplexen technologischen Themen schaffen. Wir sind Kreative, ­Innovatoren und Erfinder. Wir müssen neue Themen für uns entdecken und setzen. Da wirkt es, wenn der Joghurt neu ist und 20 Prozent mehr verspricht, was ja auch nichts anderes als Buzzwording ist.

Buzz ist ein fester Bestandteil des Wortes "Buzzword". Wie würden Sie denn den ­Begriff definieren?

Ernst: Buzz ist Aufmerksamkeit im Netz, ein Summen oder Brummen, das durch das Netz geht. Und das muss nicht immer eine Ice Bucket Challenge sein, welche die gesamte Netzgemeinde berührt. Wenn wir über kommerzielle Themen sprechen, also über moderne Marketingkommunikation, dann geht es darum, dass sich ­Leute mit Branded Content und den ­dahinterstehenden Produkten und Services auseinandersetzen.

Würden Sie sagen, dass "Buzz" auch ein Buzzword ist?

Ernst: Nein. Unser fachlicher Sprachgebrauch hat sich "verenglischt" und modernisiert. Unsere Aufmerksamkeit funktioniert in der digitalen Zeit anders, ist schnelllebiger und sie verbreitet sich viel schneller als früher über Offline-Kanäle.

Wie schaffe ich es, in der heutigen Zeit des Informationsüberflusses als Marke noch aus der Masse hervorzustechen?

Ernst: Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Marketingkommunika­tion umdenken muss, weil das Informa­tionsüberangebot dramatisch ist und der Mensch beim Kommunikationsverhalten an seine Grenzen stößt. Daher ist die ­Frage, wie Marken Aufmerksamkeit bekommen können, relevanter denn je. Zum einen über die Qualität der Kommunikation und die Relevanz der Botschaft. Und zum anderen: Nur wer mutig ist, kann ­einen Punch setzen und sich vom allgemeinen Grundrauschen abheben. Das muss kein globaler Case sein. Es reicht, in der Zielgruppe Momentum zu erreichen.

Sind die deutschen Werber mutig genug?

Ernst: Ich bin überzeugt, dass Werber und Werbungtreibende noch stärker auf Mut und Relevanz setzen müssen. Schaut man sich an, was dieses Jahr zum Muttertag oder letztes Jahr vor Weihnachten durchs Netz gegangen ist, wird bereits deutlich, dass Marken zunehmend versuchen, emotional mit starken Geschichten und einer klaren Haltung aus dem Informationsmeer aufzutauchen.

Ist der mediale Hype um die Buzzwords ­gerechtfertigt?

Ernst: Da bin ich hin- und hergerissen. Wenn man es mit kühlem Kopf und Professionalität betrachtet, nein. Trends wie Native, Online-Video oder Storytelling sind selten wirklich neu oder bringen ­radikalen Wandel in unser Geschäft. Es sind Entwicklungen, die Dinge weitertreiben und uns im Zeitalter der Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffnen. Man ist gut beraten, genau hinzuschauen. Aber es ist nachvollziehbar und in Teilen sogar hilfreich, dass ein Hype um Buzzwords entsteht. Damit wird die Aufmerksamkeit aller Akteure auf neue Entwicklungen ­gelenkt und die Branche zum schnelleren Umdenken bewegt.

Ist "genau hinschauen" auch hilfreich, um Buzzwords von echten Trends zu unterscheiden?

Ernst: Absolut. Genau hinschauen, genau zuhören, genau recherchieren. Das erfordert aber viel Energie und Expertise. Leider wird die Diskussion oft verkürzt und eben nur anhand von Buzzwords geführt. Dann berät man seine Kunden aber schlecht und ist im wahrsten Sinne als Agentur selbst schlecht beraten.

Ist die Marketingbranche besonders von der Buzzword-Krankheit betroffen?

Ernst: Mit Sicherheit. Unsere Branche muss komplexe Themen seit jeher knapp, verständlich und interessant transportieren können. Wir haben bei Marken immer das Spannungsfeld zwischen Konsistenz und Innovation. Der digitale Wandel bringt zudem jeden Tag neue Chancen und Herausforderungen. Man benötigt ein professionelles Verständnis, um sich klarzumachen, worum es zum Beispiel bei Native Advertising im Kern geht.

Native Advertising, Content Marketing und Co.: Welches ist die größte Herausforderung für die Werbebranche?

Ernst: Wir müssen gemeinsam mit unseren Kunden ein sinnvolles Energie­management betreiben. Wir haben einerseits eine enorme Komplexität auf unserer Kommunikationsklaviatur zu beherrschen und viele Botschaften über viele Kanäle zu transportieren. Aber wir müssen für ­unsere Marken auch Momente schaffen, die Menschen berühren, und die sie nicht vergessen. Das geht nur durch Freiräume und Energie.

Welchen Trick verwenden Sie bei Jung von Matt, um im stressigen Arbeitsalltag immer wieder die dringend benötigte Energie freizuschaufeln?

Ernst: Das geht heute nur noch mit einer sehr starken, breit aufgestellten und hoch motivierten Mannschaft. Früher genügten die Top-Kreativen, die sich außergewöhnliche Geschichten für Marken ausgedacht haben. Heute brauchen Sie Top-Kreative, Top-Technologen, Experten in vielen Feldern und kompetente Kommunikationsgeneralisten. Wir müssen Teams bilden, die auf einer spezifischen Aufgabe Höchstleistungen in Qualität und Relevanz ­hervorbringen.

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