Felix Heimbrecht, Director Innovation SapientNitro
Felix Heimbrecht, Director Innovation SapientNitro
Neue Technologien, mehr Wettbewerber, komplexe Kundenwünsche und Anforderungen: Wie Digitalagenturen dem steigenden Innovationsdruck begegnen sollten, erklärt Felix Heimbrecht von SapientNitro.
Der Begriff Innovation wird heute geradezu inflationär benutzt. Kein Wunder, denn Start-ups zeigen, mit welcher Geschwindigkeit mittlerweile Innovationen entstehen: Mit einem kleinen Team krempeln sie etablierte Branchen und Märkte dank neuer technologischer Möglichkeiten und cleverer Ideen für neue Produkte und Geschäftsmodelle mit vergleichsweise geringen Investitionen um. Dieser Prozess befeuert sich zugleich selbst, weil Start-ups auch Technologien entwickeln, die wiederum eine Fülle neuer Möglichkeiten und Anwendungsszenarien eröffnen - wie den 3D-Druck oder Augmented Reality. Etablierte Unternehmen geraten aber nicht nur durch diesen neuen agilen Wettbewerb unter Druck, sondern auch durch ständig steigende Erwartungen ihrer Kunden an die Produkt- und Servicequalität.
Digitalagenturen stehen vor der Herausforderung, mit diesen stark beschleunigten Innovationszyklen Schritt zu halten. Von ihnen wird verlangt, dass sie die neuen technischen Möglichkeiten, die Entwicklungen in der jeweiligen Branche und die Wünsche der Konsumenten verstehen und dafür proaktiv Ideen und Konzepte entwickeln. Zudem sollen sie entsprechende Projekte auch umsetzen und steuern können. Wer sich in dieser Situation nicht entsprechend aufstellt, kann schnell den Anschluss verlieren.
Das Lab als Innovationsinkubator
Wie also sollten und können Digitalagenturen dem steigenden Innovationsdruck begegnen? In der Regel sind Agenturen sehr auf die laufende Projektarbeit fokussiert. Innovationsarbeit findet daher meist innerhalb konkreter Kundenprojekte statt. Das ist einerseits sinnvoll, da Unternehmen ohnehin innovative Ideen erwarten. Andererseits besteht die Gefahr, dass gute Ideen dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn die Projekte nicht ausdrücklich Innovationsprojekte sind.
Um unabhängig von Kunden mit Technologien und Lösungen zu experimentieren, sind Innovations-Labs eine Lösung. Im besten Fall gewinnen Agenturen durch sie bereits frühzeitig tieferes Know-how über neue Technologien und Verfahren und machen diese über im Lab entwickelte Prototypen für ihre Kunden im wahrsten Sinne des Wortes greifbar. Durch diese Arbeit lernt die Agentur außerdem frühzeitig, welche Herausforderungen sich in der Praxis ergeben. Diese sind mitunter größer als erwartet: das zeigen Hypes um neue Technologien wie Beacons und die wenigen erfolgreichen Projekte in diesem Bereich. Doch auch wenn der Prototyp funktioniert, ist er nur der Ausgangspunkt für die weitere Ideenfindung und für den langen Prozess bis zum digitalen Produkt oder Service.
Der Weg zur produktiv verwendbaren Lösung ist vor allem dann langwierig, wenn es um wirkliche Innovationen geht. Anders als inkrementelle Verbesserungen eines Produkts, die heute häufig schon als Innovationen gefeiert werden, zeichnen sich echte Innovationen dadurch aus, dass eine neuartige Idee in die Realität umgesetzt wurde und das Ergebnis zudem einen messbaren Einfluss auf die Geschäftsergebnisse hat. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ein mühsamer, evolutionärer Entwicklungs- und Optimierungsprozess durchlaufen werden, in den sowohl der Kunde als auch die Endkunden involviert sein sollten. Evolutionär bedeutet dabei auch, so früh wie möglich zu erkennen, ob eine Idee trägt oder nicht - und dann aus dem Prozess auszusteigen. Häufig wird übersehen, dass Scheitern im Sinne eines "Fail early" eines der wichtigsten Prinzipien der Innovationsentwicklung ist.
Innovatoren brauchen Neugier und Frustrationstoleranz
Noch bauen nur wenige Agenturen Labs auf. Denn diese sind immer eine Investition, die sich über zusätzliche gewonnene Neukunden und Projekte auszahlen muss. Sie sind aber keineswegs nur für große Agenturen und Netzwerke sinnvoll. Auch kleinere Agenturen können solche Strukturen finanzieren. Das im Zentrum eines Labs stehende Motto "exploration in a spirit of playful cleverness" ist letztendlich unabhängig von Größe und Kapazität und lässt sich auch in kleineren Strukturen etablieren.
Neben dem Lab als Raum für Innovationen brauchen Digitalagenturen auch die entsprechende Kultur und "Denke". Um diese zu fördern können Methoden wie Ideenwettbewerbe oder Hackathons genutzt werden, die oft schon in der Kreativabteilung etabliert sind. Auch die Zusammenarbeit mit Studenten und Hochschulen sorgt für frischen Wind, neue Ideen und den Einblick in aktuelle Forschungsthemen. Neben solchen Aktivitäten ist es essentiell, den Überblick über Technologien und Trends sowie über die spezifischen Entwicklungen in der Branche und im Unternehmen des Kunden behalten.
Entscheidend für das Gelingen sind natürlich die richtigen Mitarbeiter. Häufig liest man, dass jeder Mitarbeiter ein Innovator sein muss. Doch leider sind echte Innovatoren dünn gesät: Sie kombinieren Neugier, Experimentierfreude und Querdenken mit außergewöhnlicher Frustrationstoleranz, Ausdauer und Hartnäckigkeit. Meist mangelt es gar nicht so sehr an ersten Ideen, sondern an Leuten, die sie weiterentwickeln, gestalten und in einem mühsamen Prozess von Versuch und Irrtum in die Realität umsetzen können. Diese Leute zu finden und zu fördern ist die wichtigste Aufgabe der Digitalagenturen. Sie sollten eine offene und lebendige (Innovations-)Community aufbauen, der man sich anschließen kann, wenn man Interesse und Talent für diese Art von Arbeit hat.
Das ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, wie schwer sich Trends und Innovationen vorhersagen lassen. Betrachtet man, dass wir uns vor zehn Jahren noch in der Prä-iPhone-Ära befanden und lebhaft diskutierten, ob Mobile jemals ein relevanter Kanal für Unternehmen wird, lässt sich ahnen, welche Umwälzungen uns bevorstehen könnten. Die systematische Beschäftigung mit neuen Technologien und ihren Möglichkeiten wird ein immer entscheidenderer Erfolgsfaktor für das Überleben von Digitalagenturen. Anders als früher ist das aber weniger eine Frage großer Investments. Vielmehr müssen Digitalagenturen agile, effiziente Strukturen schaffen und das entsprechende Mindset fördern, um nicht unter die Räder der sich ständig beschleunigenden technischen Entwicklung zu kommen.