User wechseln während der Customer Journey häufig die Endgeräte. Damit stößt Tracking über Cookies an seine Grenzen. Es gibt Alternativen, doch die haben ihre Tücken.
Von Raoul Fischer
Das treibt Werbungtreibenden den Schweiß auf die Stirn: Angeregt durch ein riesiges Plakat am Bahnhof denkt ein Internet-Nutzer darüber nach, seinen Mobilfunkanbieter zu wechseln. Noch im Zug besucht er mit dem Smartphone die Website des Unternehmens. Zu Hause am PC steigt er dann tiefer in die Recherche ein, sucht nach Testberichten und informiert sich über die Angebote andere Mobilfunk-Provider. Abends vor dem Fernseher geht die Recherche weiter. Angeregt durch einen TV-Spot im Umfeld einer Doku-Soap, geht er mit seinem Tablet ins Internet und sucht weiter nach günstigen Angeboten. Inzwischen ist er schon so weit, dass er nach Kontakten beziehungsweise nach einem Shop sucht, bei dem er sich beraten lassen und gegebenenfalls einen Vertrag abschließen kann.
Eigentlich ist doch alles gut gelaufen, könnte man sagen. Die Werbung hat gewirkt. Aber: Der Fall stellt im Kontext einer modernen Werbestrategie deshalb ein echtes Problem dar, weil Werbungtreibende diesen User immer wieder aus den Augen verlieren. Wichtige Stationen der Customer Journey finden auf den mobilen Endgeräten statt - und entziehen sich damit allen Tracking-Ansätzen, die auf Cookies basieren.
Wechselt ein User das Gerät, ist das so, als ob er in ein paralleles Universum hüpft. Er wird schlicht nicht wiedererkannt. Zudem schränken Anbieter wie Apple oder Google die Nutzung von Cookies in den von ihnen bereitgestellten Betriebssystemen stark ein - oder untersagen sie ganz.
Die Folge: Die Customer Journey hat Lücken. "Ohne ein Cross Device Tracking lässt sie sich nicht zusammenführen", erklärt Uta Hermanns, Leiterin der Abteilung für Datenanalyse beim Marketing-Dienstleister Explido iProspect in Augsburg: "Ohne eine Gesamtbetrachtung des Kaufprozesses muss die Analyse zu Fehlschlüssen führen." Kein Wunder, dass Dienstleister wie Explido, Intelliad oder Refined Labs fieberhaft an Lösungen arbeiten, den User auch auf mobilen Endgeräten nicht aus den Augen zu verlieren und sein Verhalten im Web ohne Cookies zu verfolgen.
Deutsche wollen keine Cookies
Die meisten Nutzer mögen Cookies nicht. Gerade die Deutschen sind empfindlich, was den Umgang mit ihren Daten betrifft. Sie möchten nicht, dass ihr Surfverhalten für Unternehmen gläsern und transparent wird. Da wirkt dann so manche einfach gestrickte Retargeting-Kampagne kontraproduktiv: Sie erkennt einen User, der sich auf einer Website über ein Produkt informiert hat, per Cookie auch auf anderen Internet-Seiten wieder und beschießt ihn daraufhin bei jeder Gelegenheit mit Werbung für genau dieses Produkt.
Das erzeugt Verdruss, der User löscht in seinem Browser die Cookies - und alle Informationen sind verloren.Es sei denn, das User-Verhalten wird mithilfe des sogenannten Fingerprinting verfolgt. Hier gibt es verschiedene Ansätze, die alle auf ein Prinzip hinauslaufen: Anhand vieler verschiedener Informationen, die die Browser beim Aufruf zum Teil ohne Anfrage an den Website-Betreiber weitergeben, entsteht ein individuelles Bild vom jeweiligen User.
Dabei wird die Konstellation von Browser-Einstellung, Sprache, Schriftart, sogenannten Zusatzanwendungen (Add-ons) etc. aufgezeichnet. "Je mehr Parameter ausgelesen werden, desto genau der Fingerprint", erklärt Thomas Bindl, Gründer und Geschäftsführer des Dienstleisters für Performance Marketing Refined Labs in München. Diese Momentaufnahme wird anschließend auf dem Server des Anbieters gespeichert. Sie funktioniert wie ein Bild. Die Kombination der Bilder für verschiedene Seitenaufrufe und Aktionen ergibt dann ein Gesamtbild des Surfverhaltens, unterschiedlichen Studien zufolge mit einer Treffergenauigkeit von über 90 Prozent.
Potenzial und Grenzen von Fingerprinting
Von Datenschützern wird Fingerprinting jedoch misstrauisch beäugt. Auch Bindl hält den Ansatz datenschutzrechtlich für bedenklich und setzt Fingerprinting deshalb nicht ein, wird doch das Recht des Users (eigentlich durch die Europäische Union vorgeschrieben) ausgehebelt, das Setzen von Cookies zu kontrollieren. Über Fingerprinting werden sogar diejenigen User verfolgt, die eigentlich im Privacy-Modus surfen, also die Aufzeichnung ihrer Seitenaufrufe und ihres Verlaufs deaktiviert haben.
Es sei denn, der Anbieter bietet auch in diesem Falle eine Option an, aus dem "Getracktwerden" auszusteigen. Der große Vorteil: Die Technik funktioniert auch beim mobilen Surfen, weil eben kein Cookie zum Einsatz kommt. Mit der kleinen Einschränkung, dass Werbungtreibende natürlich nicht verfolgen können, was ein User in der mobilen Anwendung - kurz App - eines anderen Anbieters macht. Fingerprinting beschränkt sich hier auf Aktivitäten, die im Browser durchgeführt werden.
"Mobile Tracking ist eine Welt für sich, die mit Desktop Tracking wenig zu tun hat", erklärt Refined-Labs-Gründer Bindl. Die Mechanismen seien bislang weit von der Mannigfaltigkeit und Messgenauigkeit des Desktop Trackings entfernt, erklärt er. Ein weiteres Problem: Auch hier wird über Fingerprints oder - eingeschränkt - mit Cookies nur eine Momentaufnahme von einem Smartphone oder Tablet erzeugt.
"Der Fingerprint ist eine sinnvolle Ergänzung der bisherigen Tracking-Ansätze, weil die Daten eben auf dem Server des Anbieters und gar nicht auf der Festplatte des Users gespeichert werden", erklärt Thilo Heller, Chief Marketing Officer beim Tracking-Dienstleister Intelliad. Das allein reiche aber nicht, so Heller. Was fehlt, ist eben die Identifikation eines Users über verschiedene Geräte hinweg.
Probabilistisch und deterministisch
Explido-Datenspezialistin Hermanns sieht hier zwei Möglichkeiten: Der erste - probabilistische (Anm.: der Wahrscheinlichkeit nach) - Ansatz versucht anhand verschiedener Parameter ein Gesamtbild eines Users zu zeichnen, sodass dieser auf verschiedenen Geräten wiedererkannt wird. Das funktioniert ähnlich wie Fingerprinting, stellt aber letztlich ein Vorhersagemodell dar. Trefferquote: zwischen 60 und 90 Prozent, sagt Hermanns.
Der andere Ansatz ist deterministisch und funktioniert anhand einer eindeutigen Identifikation, etwa über eine Kundennummer. "Das steht und fällt damit, dass sich ein Nutzer zu erkennen gibt, etwa über ein Login, das dann die Brücke schlägt", erklärt sie. Etwa wenn Services auf verschiedenen Geräten genutzt werden wie zum Beispiel E-Mail-Konten, Facebook, Twitter oder auch Anwendungen wie Skype oder Amazon.
"Der User-Name jedes Nutzers wird mit einer Identifikationsnummer - kurz ID - verknüpft, die bei jedem Login unabhängig vom benutzten Device wiedererkannt wird", erklärt Intelliad-Manager Heller. Dieser ID kann dann das Surfverhalten auf verschiedenen Geräten zugeordnet werden. Damit entsteht ein Gesamtbild von der Customer Journey - vorausgesetzt, die User geben ihr Einverständnis.
Hier sind nun die Werbungtreibenden in der Pflicht. Sie müssen den Internet-Nutzern plausibel erklären, warum sie Nutzerprofile anlegen und ihr Surfverhalten verfolgen wollen. Das Ziel besteht darin, den Besuchern einer Website die Werbung zeigen zu können, die für sie mit hoher Wahrscheinlichkeit relevant ist. Die oben beschriebenen Ansätze, bei denen die User von bestimmten Angeboten regelrecht verfolgt werden, dürften allerdings eher das Gegenteil bewirken.