
In spätestens fünf Jahren könnte das Zalando-Car Realität sein
In spätestens fünf Jahren könnte das Zalando-Car Realität sein
Der BVDW hat zehn Thesen zur Zukunft von Connected Cars veröffentlicht. Achim Himmelreich, Vizepräsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft, erläutert die Folgen für E-Commerce und Marketing.
Das Auto der Zukunft ist vernetzt. Fahrzeughersteller, Telekommunikationsanbieter und US-Riesen wie Apple oder Google liefern sich eine Schlacht um die Hoheit im Connected Car. Der BVDW hat in einem Positionspapier zehn Thesen zur Zukunft von vernetzten Autos zusammengestellt. INTERNET WORLD Business sprach mit Achim Himmelreich, Vizepräsident beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), über die Folgen für Online-Marketing und Handel.
Herr Himmelreich, wo auf dem Weg zum vollständig vernetzten Auto befinden wir uns denn eigentlich gerade?

Achim Himmelreich: Egal ob Entertainment, Adressbuch oder Verkehrsinformationen - ein immer größerer Anteil der Wertschöpfung im Auto ist digital. Diese Tendenz gab es zwar vor zehn Jahren schon. Doch jetzt sind die OEMS erstmals nicht mehr unbedingt diejenigen, die auch die vollständige Kontrolle über die digitale Entwicklung haben. Kaum ein Konsument will sich für 3.000 Euro ein Extra-Navigations- oder Entertainment-System anschaffen, sondern einfach sein Smartphone mit seinem Auto vernetzen. Damit brechen Branchengrenzen auf, und es stellt sich die Frage, wer die Hoheit über das digitale System im Auto gewinnen wird. Da kämpfen OEMS gegen Telcos und große Internet-Konzerne wie Google oder Apple.
Mir läge da schon fast ein Favorit auf der Zunge.
Himmelreich: Natürlich sind Google und Apple in der Pole-Position, weil sie den Konsumenten hinter sich haben. Trotzdem sehe ich auch Chancen für die Konkurrenz. Den anders als früher, wo die Leute sparten oder einen Kredit aufnahmen, um sich ein neues Auto zu kaufen, fordern sie heute eher Zugang als Besitz. Allein deshalb boomen derzeit Carsharing-Modelle. Doch die neue Mobilität muss irgendwer im Hintergrund vernetzen. Erste Pilotversuche zu Smart Mobility gibt es bereits. Und hier haben nicht Apple und Google automatisch einen Wettbewerbsvorteil. Hier kann man sich auch Konsortien vorstellen, die eine gemeinsame Software-Infrastruktur bauen. Das können dann beispielsweise auch BMW, Sixt, die Telekom und T-Systems sein.
In welchen Segmenten werden sich denn Connected-Car-Anwendungen als erstes durchsetzen?
Himmelreich: Im Auto passiert ja schon einiges. Schauen Sie sich den Opel Adam an: Der wird gezielt als Multimedia-Spaß-Auto positioniert. Vernetzung ist viel wichtiger als Verbrauch oder Motorleistung. Auch Mercedes macht das so mit der A- und B-Klasse. Außerdem gibt es schon Pilot-Regionen, die mit Smart Mobility experimentieren. Hier sind vor allem Schwellenländer mit neuen großen Mega-Metropolen wie Shanghai oder Sao Paolo aktiv. Die müssen derartige Konzepte aus schierer Not vorantreiben, weil ihnen sonst ein Verkehrskollaps droht. Und alle großen deutschen Unternehmen wie T-Systems oder die Telekom, aber auch IBM, sind dort vor Ort präsent. Die in Deutschland traditionell starken Automobilhersteller müssen sich zudem darauf einstellen, dass sie ihre Kalkulation für Innovationsmanagement neu aufsetzen müssen. In der Vergangenheit wurden neue Innovationen wie Airbag oder Seitenaufprallschutz erstmal für teures Geld in die Topmodelle eingebaut und wanderten von dort peu à peu auch in Mittelklasse- und Kleinfahrzeuge. Heute funktioniert dieses Modell, hohe Forschungskosten durch hohe Preise zu refinanzieren, nicht mehr ohne weiteres. Denn der 60-jährige S-Klasse-Fahrer legt auf Vernetzung nicht soviel Wert wie der 20- bis 30-jährige Opel-Adam-Fahrer. Mercedes hat schon reagiert, hier starten die digitalen Innovationen in der A-Klasse.
Wir haben bislang viel von Entertainment und Infotainment geredet. Sehen Sie auch für die Chancen für Marketing und E-Commerce?
Himmelreich: Auf jeden Fall. Indirekt ergeben sich Potenziale dadurch, dass Daten gesammelt werden. Hier muss allerdings erst noch an einem geeigneten Regulierungsrahmen gearbeitet werden, denn noch ist völlig ungeklärt, unter welchen Umständen welche Daten von wem erhoben und genutzt werden dürfen. Aber wenn ein Dienst, sei es Google oder eine Mercedes-Tochter, weiß, wo ich herumfahre, sind das natürlich wichtige Daten. Das ist dann wie ein Indoor-Tracking im Ladengeschäft oder Einkaufszentrum. Im nächsten Schritt können dann auf Basis der Daten, die man gesammelt hat, beispielsweise Marketing-Botschaften im Head-Up-Display ausgespielt werden. Allerdings muss auch hier die Politik aktiv werden und erst einmal die Sicherheitsaspekte klären.
Unfall dank Sonderrabatt
Allerdings, ich kann mir schon vorstellen, dass man vor Aufregung über einen Sonderrabatt bei H&M im nächsten Straßengraben landet. Es gibt ja auch Studien, die belegen, dass RMS-Radios die Unfallgefahr steigern.
Himmelreich: Damit das nicht passiert, experimentieren die Autohersteller in Wolfsburg, Ingolstadt und anderswo alle schon mit Sprach- und Gestensteuerung, um Steuerung und Kommunikation im Fahrzeug so zu gestalten, dass sie den Fahrer nicht behindern. Das heißt dann auch, dass Sie den H&M-Gutschein vermutlich nicht im Head-Up-Display angezeigt bekommen, sondern dass das Auto mit Ihnen spricht. Beim A8 ist es ja ein offenes Geheimnis, dass das neue Modell erstmals mit Gestensteuerung kommt. Und spätestens mit dem Google-Self-Driving-Car ist dann quasi alles möglich. Aber das wird wohl noch ein wenig dauern.
Wenn ich Online-Händler oder Online-Marketer bin und mir frühzeitig ein gutes Plätzchen im vernetzten Auto sichern will, mit wem spreche ich denn da jetzt?
Himmelreich: Bei den Automobilfirmen anzuklopfen, ist wohl noch zu früh. Am besten aufgehoben ist man bei den drei großen Telekommunikationsunternehmen hier in Deutschland. Die haben alle eine eigene Abteilung für Connected Cars, denn aus Telco-Sicht ist ein Auto ja auch nichts anderes als eine neue SIM-Karte. Dafür gilt es, neue Geschäftsmodelle zu generieren – angefangen von B-to-B-Sicherheitssystemen bis zu Commerce-Anwendungen.
Gibt es schon Händler oder Marketer, die bereits Anwendungen konzipiert haben?
Himmelreich: Autoscout wäre ein Beispiel. Die haben ein Dongle gebaut, das sich Kunden ins Auto stellen können und das dann bestimmte Daten ausliest: Wer fährt wann wo hin und so weiter. Dazu gibt es eine offene Schnittstelle, über die Dritte über ein Revenue-Sharing-Modell die Daten von Autoscout nutzen können. Das haben sich Händler schon angeschaut, inwiefern sie da Apps aufspielen können, die dann die von Autoscout gesammelten Daten nutzen.
Ich schätze, jedem Datenschützer stehen spätestens jetzt die Haare zu Berge.
Himmelreich: Naja, solche Daten gibt es ja ohnehin schon. Jeder Mobilfunkanbieter weiß ganz genau, wann Sie wo waren und theoretisch auch, wie oft Sie zu schnell gefahren sind. Hier brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens, wie wir damit umgehen wollen, und ggfs. einen angepassten Regulierungsrahmen.
Zalando hat ja vor einigen Jahren mit großem Pressegetöse sein Konzept vom Zalando-Car präsentiert. Ist das alles wirklich noch Zukunftsmusik?
Himmelreich: Das kann schneller kommen als man denkt. Vor zehn Jahren war jeder der festen Überzeugung, dass niemand mehr eine neue Automobilfirma gründen kann. Aber seit es Tesla gibt, weiß man, dass auch Startups Autos bauen können und dann auch noch eine neue Schlüsseltechnologie wie in diesem Fall Batterietechnik beherrschen. Wenn jetzt eine Firma wie Zalando oder Amazon in den USA zu Tesla geht und von Elon Musk einen Whilte-Label-Tesla bekommt, den er zum E-Commerce-Auto umbaut, ist das technisch durchaus möglich. Ob der Konsument das dann will, steht auf einem anderen Blatt. Aber, dass man solche Innovationen in den kommenden fünf Jahren sehen wird, ist so gut wie sicher.
Glauben Sie denn überhaupt an ein Potenzial für den Online-Handel oder geht es Verbrauchern im Auto eher um Entertainment?
Himmelreich: Es wäre fatal, wenn Händler und Marketer das Auto nur als weiteren Kanal sehen, der dann entsprechend bespielt wird. Aber der Commerce muss den Konsumenten dahin folgen, wo sie hinschauen. Er ist ihm auf sein Laptop gefolgt und auf sein Smartphone. Das Auto wäre da nur der x-te Screen, wobei der Screen vermutlich eher ein Lautsprecher ist. Im neuen Denglisch ist das Auto einfach ein Touchpoint, den der Kunde nutzt. Und weil das Auto ein Touchpoint ist und Daten generiert, wird es genauso Teil der Customer Journey werden wie in der Vergangenheit das Smartphone oder Tablet. Händler müssen da präsent sein, wenn sie eine unterbrechungsfreie Customer Journey bieten wollen.
Wo sehen Sie denn aktuell den größten Handlungsbedarf?
Himmelreich: Die Politik muss aufwachen. Wir sind zu Recht stolz darauf, dass die deutsche Automobilindustrie weltweit führend ist. An keiner Branche hängen mehr Arbeitsplätze. Deswegen ist es entscheidend, dass wir auch in einer sich wandelnden Automobilbranche die Kontrolle behalten. Wenn die Kontrolle nach Kalifornien geht, gehen auch die Margen nach Kalifornien. Wenn die Margen nach Kalifornien gehen, ist die Automobilproduktion in Deutschland nicht mehr rentabel. Und dieses Damokles-Schwert über unserer Schlüsselindustrie könnte durchaus noch mehr Aufmerksamkeit vertragen. Die Politik muss deutsche Unternehmen schneller unterstützen, Regularien anpassen, Innovationen fördern. Wenn die Kontrolle über die Branche mal irgendwo anders liegt, wird es schwer, sie zurückzuholen.
Sprechen Sie als BVDW denn mit den zuständigen Politikern?
Himmelreich: Wir sprechen permanent mit Politikern, aber im Bereich Connected Cars sind wir noch nicht so weit vorgedrungen wie bei Datenschutz oder Netzpolitik. Wir bemühen uns, aber die technologische Entwicklung ist nachvollziehbarerweise eben schneller als politische Prozesse.
Intelligente Autos, vernetztes Wohnen, Smart Wearables: Wie denken die Deutschen über die digitalen Zukunftstrends - und können sie sich ein Leben ohne Internet überhaupt noch vorstellen?