
Philipp von Hilgers, Geschäftsführer von Meetrics
Philipp von Hilgers, Geschäftsführer von Meetrics
Viewability - die Sichtbarkeit von Online-Werbung - ist ein Thema, das auf jeder dmexco wichtig ist. Wie aktuell der Stand ist und wo die Probleme bei Mobile und Bewegtbild liegen, erklärt Philipp von Hilgers von Meetrics.
Viewability, also die Sichtbarkeit von Anzeigen, ist seit Jahren eines der am meist diskutierten Themen der Online-Werbung. Auch in diesem Jahr werden auf der dmexco die Forderungen nach deutlicheren Fortschritten, besseren Raten und einheitlicheren Messungen wieder laut. Wir sprachen mit Philipp von Hilgers, Geschäftsführer bei Meetrics, über den aktuellen Stand und die Probleme.
In Sachen Sichtbarkeit von Online-Werbung variiert die Viewability-Rate international stark. Laut Ihrem Benchmark stagniert sie in Deutschland in Q2 2016 bei etwa 60 Prozent, in Österreich liegt sie bei 69 Prozent, in Großbritannien wiederum mit 47 Prozent deutlich darunter. Können Sie das erklären?
Philipp von Hilgers: Das ist in erster Linie mit dem Anteil an Programmatic Advertising in den jeweiligen Ländern zu erklären. Im Gegensatz zum Direkteinkauf hat man bei Programmatic einfach immer noch weniger Transparenz über die Inventarqualität. In Großbritannien etwa ist der Anteil von automatisiert gehandelten Werbeflächen deutlich höher als hierzulande. Das erklärt die zum Teil enormen Sichtbarkeitsunterschiede.
Der Anteil von Programmatic Advertising wird in den kommenden Jahren überall steigen. Ist demnach davon auszugehen, dass die Viewability-Rate überall weiter sinken wird?
Von Hilgers: Nicht zwangsläufig. Wir lernen ja grundsätzlich dazu und Programmatic wird besser, etwa wenn es darum geht, die Qualitätsunterschiede festzustellen. Wenn man es nun schafft, rechtzeitig die Vorteile auszuspielen und "schlechtes" Inventar auszufiltern, gibt es durchaus Chancen, dass trotz steigendem Programmatic-Anteil die Sichtbarkeitswerte wieder ansteigen.
Wie sieht es denn mit einer Einheitlichkeit bei der Viewability-Messung aus? Denn trotz Standardisierungen und Automatisierung hapert es ja da noch …
Von Hilgers: Es gibt in diese Richtung schon heute eine internationale Zusammenarbeit. Auch der BVDW mit seinen Guidelines orientiert sich stark daran, was in anderen Märkten passiert. Bei dem Thema spielt natürlich vor allem die Initiative in den USA eine große Rolle, denn die USA sind nun mal der größte Werbemarkt überhaupt. Die Initiative dort wird über den Media Rating Council umgesetzt, aber angestoßen durch die verschiedenen Player im US-Markt. Das amerikanische IAB als "Publisher-Vertreter" und die Mediaagenturen und Werbungtreibenden haben diese Initiative auf den Weg gebracht. Also so gesehen gibt es ein ganz klares Zeichen. Man möchte im Digitalbereich vorankommen und hat sich im Display-Bereich ja schon auf die 50:1-Empfehlung geeinigt. Das heißt, es reicht für die Bewertung einer sichtbaren Impression aus, wenn mindestens 50 Prozent der Pixel für eine durchgehende Sekunde sichtbar sind. Damit ist schon mal ein Standard geschaffen worden. In anderen Märkten ist man jetzt dabei, den gleichen Empfehlungen zu folgen.
Es kommen ja auch immer wieder neue Themen hinzu, das ist auch ein Grund, warum sich die Fortschritte nicht immer so bemerkbar machen. Sie werden überlagert von neuen Themen, die man auch technisch erst einmal bewältigen muss.
Zum Beispiel?
Von Hilgers: Im Display-Bereich machen die Vermarkter beim "Direct Buy" bereits ihre Hausaufgaben und arbeiten daran, dass sie Platzierungen auf ihren Webseiten identifizieren, bei denen auch eine Sichtbarkeit gegeben ist. Technologisch kann das auch in einer gewissen Weise sichergestellt werden, es gibt inzwischen smart-loading-Technologien. Ein Werbeplatz wird nur dann von einem Werbemittel bespielt, wenn man absehen kann, dass sich der Nutzer auch in diesem Bereich bewegt. Da passiert also eine ganze Menge. Das kommt aber eben nicht zum Tragen, wenn in der Gesamtschau neue Trends entstehen, wie etwa die zunehmende mobile Nutzung, die solche Entwicklungen überdecken. Man muss zunächst ja auf die Abwanderungstendenzen in der Werbeauslieferung reagieren. Dann kann man sich erst um die Sichtbarkeit kümmern und das drückt natürlich dann auf die Zahlen. Mobile nimmt in den Mediaplänen zu, schneidet aber in der Viewability nicht so gut ab wie auf dem stationären Desktop. Hier hat man über Jahre gelernt, welche Platzierung nötig ist. Die Zeit gibt es im Mobilen noch nicht.
Wie sieht es im Programmatischen genau aus?
Von Hilgers: Hier ist es meiner Ansicht nach nötig, eine Unterscheidung zwischen Private und Open Marketplace zu machen. Die großen Qualitätsunterschiede kommen über den Open Marketplace. Was nicht heißt, dass man davon komplett Abstand nehmen sollte. Aber der Aufwand eines Qualitätsmanagements ist dort einfach höher anzusetzen, weil man sonst zu sehr preisorientiert auf große Reichweiten schielt, die man über diesen Kanal auch günstig einkaufen kann - vermeintlich. Aber wenn das darin resultiert, dass von den Werbeplatzierungen keine Wirkung ausgeht, da diese nicht sichtbar werden, dann ist jede Preisoptimierung in Frage zu stellen.
In der ersten Stufe müsste man gucken, ob es nicht ein Überangebot gibt oder ein Inventar, von dem überhaupt kein Wertbeitrag ausgeht. Hier ist die Technologie nach unserem Empfinden noch nicht konsequent über die programmatischen Anbieter ausgerollt. Nötig ist, dass es auch im Prebidding-Bereich erst einmal eine Mindestqualität gibt, die mir mit der Impression angeboten wird. Dann kann ich über den Bid-Manager eine Vorgabe machen, was das Ganze kosten soll. Aber das ist bei Weitem noch nicht so differenziert wie man sich das wünscht, da ist noch einiges zu tun. Die neusten Lösungen, an denen wir mit einigen Anbietern von programmatischen Plattformen arbeiten, liefern zumindest Grund für Optimismus.
Der Vorteil von Programmatic ist ja eigentlich, dass ich nicht nur automatisiert einkaufen, sondern auch programmierbar festlegen kann, wie die Qualität gemanagt werden soll, so dass es in einer differenzierten Weise funktioniert. Durch die Minimalvorgabe des Media Rating Councils mit 50:1 ist es schwer flexibel zu sein. Das heißt, ich kann nicht sagen, ich benötige Inventar, bei dem ich sicher sein kann, dass eine Impression nicht nur mindestens eine Sekunde, sondern fünf Sekunden sichtbar wird. Da werden Sie wenige Angebote finden. Das versuchen wir auch nochmal zu ändern. Man muss über den reinen Auslieferungsnachweis, den die 50:1 Regel sicher abdeckt, hinauskommen und daran arbeiten, dass es auf der Ergebnisseite positive Effekte gibt. Ziel bei einem programmatischen Einkauf ist es zu sehen, dass Kampagnenziele auch auf der Wirkungsebene erreicht werden und, dass Conversion Rates etc. mit dem Abverkauf von Produkten oder dem Branding-Effekt zu tun haben. Das halten wir absolut für möglich. Nur das Angebot an Technologien, die einen das so aussteuern lassen, ist noch nicht sehr üppig.
Noch einmal zurück zum Thema Mobile. Die Bildschirme sind kleiner, die Nutzer scrollen schneller… wie sinnvoll sind da Viewabilty-Messungen?
Von Hilgers: Wir sehen schon, dass das Thema Sichtbarkeit bei Mobile und auch bei Video besonders wichtig ist, weil hier die goldene Werbeformel einfach noch nicht gefunden wurde. Es ist immer noch nicht klar, wie im Mobilen und im Bewegtbildbereich mit Werbung umzugehen ist. Hier liefert eine Sichtbarkeitsmessung wichtige Hinweise. Ausgehend vom Mediaplan schwächeln die mobilen Platzierungen hier. Man muss erst herausfinden, mit welchen spezifischen Mobile-Formaten eine Verbesserung herbeizuführen ist. Es ist ja immer so wenn neue Kanäle auftauchen. Man versucht erst einmal Gelerntes zu übertragen, bis man merkt, das geht so nicht. Von den Zahlen kann man erst einmal nur feststellen, dass wir nicht auf dem Niveau angelangt sind, das man vom Desktop kennt.
Was gibt es beim Bewegtbild noch für Probleme? Ist der MRC-Standard mit 50/2 (50 Prozent der Fläche für zwei Sekunden sichtbar) noch aktuell?
Von Hilgers: Ja, aber hier muss man sich schon fragen, wie man denn überhaupt zu dieser Definition gefunden hat. Im Display-Bereich mit 50:1 kann man sich die Frage natürlich auch stellen. Hier ist die Argumentation aber so, dass es noch kein Wirkungsnachweis ist, sondern erst mal nur ein Auslieferungsnachweis. Das Display Ad wurde sauber im sichtbaren Bereich platziert. Das hat eine gewisse Schlüssigkeit. Im Video-Bereich hat man einfach aus einer Sekunde zwei gemacht, mir persönlich erschließt es sich nicht, warum man da einfach eine Sekunde hinzu addiert hat. Wir sind deswegen auch in unseren eigenen Diskussionen nicht weitergekommen. Zu viele Fragen sind hier noch offen.
Man muss bei Video schon einräumen, dass die Dauer eine ganz andere Qualität hat. Das ist das Gleiche wie im Display-Bereich mit Rich Media. Hier können die Werbeformate animiert sein, auch hier ist eine starke zeitliche Komponente drin. Daher sollte man auch von der einen Sekunde absehen. Das ist nicht aussagekräftig genug, wenn die eigentliche Markenbotschaft erst nach fünf Sekunden kommt. Bei Video ist eigentlich sonnenklar, dass es oft bis zu 20 Sekunden dauert, bis die Markenbotschaft voll erfasst werden kann. Daneben gilt es bei Video auch die Interaktivität mit dem Werbemittel zu beachten. Der Nutzer kann das Video selbst anstoßen oder es startet selbst via "Auto Reply". Das ist ein Qualitätsunterschied wie Tag und Nacht. Bei sehr guten Completion Rates muss man immer skeptisch sein, ob das nicht einfach automatisch ablief, ohne dass der Nutzer es mitbekommen und gesehen hat. Das sind völlig unterschiedliche Nutzungssituationen. Beim Video gibt es also noch sehr viele Fragen, nicht nur bei den Präsentationsformen, und daher ist eine Sichtbarkeitsmessung natürlich unabdingbar.
Was ist Ihr dmexco-Gepäck?
Von Hilgers: Einen hohen Stellenwert hat bei uns das Thema "Suspicious Traffic". Wir stellen mit einer gewissen Sorge fest, dass dieser Anteil zunimmt. In Deutschland gehen wir davon aus, dass momentan unter drei Prozent der Impressions "verdächtig" sind. Hier muss man annehmen, dass diese Werbeauslieferungen nur generiert wurden, um auf betrügerischer Weise Geld zu verdienen. Sie sind am Nutzer vorbei generiert worden. Unter drei Prozent klingt nicht viel, wenn man das aber umlegt auf die Gesamt-Spendings, kommen Millionenbeträge heraus, was keine Peanuts sind. Zumal das Ganze eben zunimmt. Das betrifft wieder den Open-Market-Bereich am stärksten, bei dem die Hürden gegen kriminelle Praktiken recht niedrig sind. Das Ganze ist schwer zu greifen, die Verdächtigen sind schwer zu fassen. Daher muss es die erste Maßnahme sein, diesen Betrügern den Geldhahn zuzudrehen. Es darf keine Möglichkeit und keine Anreize geben, hier einzusteigen. Da sind wir sehr hinterher.
Daneben arbeiten wir an einem Qualitätsmanagement, das es erlaubt, die Unterschiede bei Mediaangeboten deutlich zu machen. Es darf nicht alles über einen Kamm geschert werden und man muss weg von der rein quantitativen Betrachtung bei der Werbeauslieferung. Das muss dann vor allem auf den programmatischen Einkauf übertragen werden. Der dritte Fokus liegt auf Video, einem Format, das immer gefragter ist, aber auch viel Opportunismus mit sich bringt. Es werden viele Angebote geschaffen, deren Tauglichkeit in Frage gestellt werden muss.
In Deutschland gibt es grundsätzlich oft die Grundstimmung: "Es tut sich ja eh nichts". Wir haben aber auch den Blick auf internationale Märkte und merken, anderswo hält man sich mit solchen Diskussionen nicht auf, das ist progressiver, wettbewerbsorientierter und man sieht mehr Chancen als Hindernisse. In Deutschland ist das gerade im Viewability-Bereich anders. Wir warten zu oft einfach ab. Das muss sich ändern.