
Kommentar Das Metaverse - wirklich "The Next Big Thing"?
Metaverse, virtuelle Welten, NFTs - für viele Experten ist dies das Internet der Zukunft. Glaubt man einer Umfrage unter deutschen Internet-Nutzern, ist ihre Begeisterung dafür eher verhalten. Aus gutem Grund, meint INTERNET WORLD-Redakteur Frank Kemper.
Gut jeder dritte deutsche Internet-Nutzer zeigt Interesse am Metaverse. Mit dieser grundsätzlich optimistisch klingenden Botschaft beginnt eine Meldung von Fittkau & Maaß Consulting. Im Rahmen einer Studie zur Nutzersicht auf das Metaverse hat die Beratungsfirma über 4.000 Internet-Nutzer ab 18 nach ihrer Meinung zum neuen Trend-Thema befragt.
Doch echten Enthusiasmus zeigten nur 12 Prozent aller Befragten, stellten die Marktforscher fest. Ein weiteres Fünftel gab an, sich die Sache mal anzuschauen aus Angst, etwas zu verpassen - also etwa die Geisteshaltung, die auch viele Onlinehändler zum Thema Metaverse einnehmen dürften.
Verfolgt man die Berichterstattung rund um das Metaverse, die Meldungen über diese und jene Brand, die jetzt auf Decentraland eine neue, virtuelle Filiale hochgezogen hat, über digitale Kunstwerke, die als NFTs unglaubliche Summen erzielen, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass 2022, 15 Jahre nach der Vorstellung das iPhone, endlich das gekommen ist, auf das alle gewartet haben: "The Next Big Thing" - das nächste große Ding, das alles im Internet ändert.
Ich habe daran meine Zweifel. Und die will ich gern begründen.
1. Das Marktvolumen
Ohne Crypto-Currency wäre das Metaverse nicht denkbar - für Cryptocurrency gibt es im Gegenschluss aber auch noch andere Anwendungsbereiche. Virtuelle, Blockchain-basierte Bezahlsysteme sind also ein spannendes Thema. Aber auch ein wichtiges? Neulich las ich, dass das Gesamtvolumen aller weltweit gehandelten Bitcoin, Ether und anderer virtuellen Währungen kleiner ist als das Privatvermögen von Bill Gates. Nun ist der Microsoft-Gründer mit geschätzten 106 Milliarden US-Dollar wirklich außergewöhnlich wohlhabend. Andererseits sind selbst 106 Milliarden Dollar nicht die Welt - sondern gerade einmal ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes von Österreich.
2. Die Spekulationsblase
Wenn man die irrwitzigen Summen liest, die für Grundstücke im Metaverse bezahlt werden, für als NFT signierte digitale Kunstwerke und für individuell gestaltete Avatare, dann darf man nie vergessen, dass diese Summen nicht als Geldkoffer über irgendeine reale Ladentheke wanderten, sondern in einer virtuellen Währung bezahlt wurden, deren Wert stärker schwankt als ein Kahn auf hoher See.
Ein Ether - die Währung Etherum wird für den Handel im Metaverse bevorzugt verwendet - war am 1. Januar 2021 knapp 639 Euro wert. Am 7. Mai desselben Jahres hatte sich der Kurs auf 3.220 Euro verfünffacht - nur um sich sechs Wochen später wieder zu halbieren. Solche Kapriolen sind nicht selten: Von April bis Juni 2022 halbierte sich der Ether-Wert ebenfalls, nachdem er am 12. November 2021 erstmals über 4,000 Euro gestiegen war. Wie bei jedem digitalen Thema gibt es auch bei Cryptocurrency Early Adopters, und wer seine digitale Wallet Anfang 2019 mit ein paar Ethers auffüllte, kann sich - Stand heute - über eine Kurssteigerung von 1.500 Prozent freuen und auf Decentraland spendabel sein.
Während ich diesen Kommentar schreibe, liegt der Ether-Kurs bei 1.660 Euro, 60 Prozent mehr als am 1. Juni. Wie viel ein Ether wert sein wird, wenn dieser Text erscheint? Keine Ahnung – das Doppelte vielleicht? Oder nur noch die Hälfte? Es mag sich spießig anhören, aber ein Geschäft, das auf solch volatilen Zahlen begründet ist, klingt für mich nicht seriös.
3. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle
Doch das Metaverse ist ja mehr als die Währung dazu. Es soll eine neue Welt entstehen. Diese neue Welt hatten wir schon einmal, vor rund zehn Jahren mit Second Life. So schnell wie Second Life an Popularität gewann, so schnell versank es auch wieder in der Bedeutungslosigkeit, obwohl schon damals Brands wie Nike und Mercedes-Benz viel Geld ausgegeben haben, um dabei zu sein.
Vieles hat sich seitdem geändert, jeder hat ein Smartphone in der Tasche, mit einer Leistungsfähigkeit, die wir uns vor zehn Jahren nicht hätten vorstellen können. Jedes Jahr werden immer noch über eine Milliarde Smartphones weltweit produziert. Doch wie passt eine virtuelle Welt auf ein Fünf-Zoll-Display?
Eine virtuelle Realität, oder gar eine Welt, in der die reale mit der virtuellen Wirklichkeit verschwimmt, benötigt eine andere Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Wer jemals eine modere VR-Brille ausprobiert hat, wird mir zustimmen, dass das eine verdammt beeindruckende Erfahrung ist. Aber damit den ganzen Tag herumlaufen? Unvorstellbar, zumal bei den meisten heute verfügbaren Geräte ohnehin nach zwei Stunden der Akku leer wäre. Das Smartphone hat sich durchgesetzt, weit mehr als 90 Prozent der werberelevanten Zielgruppe hat eins. Aber VR-Brillen?
4. Zuckerbergs Ansage
Ein Grund, weshalb ich nicht davon überzeugt bin, dass das Metaverse The Next Big Thing wird, hat einen Namen: Mark Zuckerberg. Im Herbst 2021 sorgten Zuckerbergs Metaverse-Visionen dafür, dass sich das Thema seitdem in den Medien hält. Zuckerberg scheint es ernst zu meinen, immerhin änderte er daraufhin den Namen seiner Firma von Facebook nach Meta. Enge Mitarbeiter, so las ich neulich, seien zunehmend genervt über die Fixierung auf das Metaverse-Projekt. Zuckerberg braucht dringend ein Next Big Thing, denn Facebook scheint seinen Zenit überschritten zu haben. Doch braucht die Welt was Neues aus der Zuckerberg Company? Facebook hat - spätestens sei Cambridge Analytica - ein echtes Image-Problem, das das Unternehmen auch nicht wieder loswird.
Disruptive Technologien wie das World Wide Web, Google, Facebook, Instagram und TikTok kamen nie mit Ansage von großen Konzernen. Selbst das iPhone mag man als Ausnahme sehen, weil Apple zuvor noch nie im Mobilfunkgeschäft tätig war - im Gegensatz zu all den Handy-Herstellern, die danach in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind.
Und wenn jetzt ein globaler Tech-Konzern wie Facbook, äh, Meta ankündigt, das Metaverse würde der nächste große Knaller - dann sagt mir eine innere Stimme, dass es das nicht wird.