Chinas größter Messenger WeChat: Die Macht aus Fernost
Ein kurzer Blick genügt, um festzustellen: Der Messenger-Markt in China folgt eigenen Gesetzen. Wir erklären, warum am Dienst WeChat dort niemand vorbeikommt.
Wer am internationalen Flughafen in Peking das frei zugängliche WLAN nutzen möchte und kein Chinesisch spricht, hat eigentlich nur eine Möglichkeit für die Verifizierung: WeChat.
Das Problem daran ist, dass der in China beliebte Messenger außerhalb der Volksrepublik - insbesondere in Europa und den USA - kaum verbreitet ist. Zwar findet sich auch in den deutschen App Stores (Android und iOS) die Anwendung zum Download, die Möglichkeiten für den Nutzer sind jedoch stark beschränkt.
Neben einer Chat-Funktion gibt es lediglich ein paar Mobile Games. Trotzdem fällt schon bei der Registrierung auf, dass die App eigentlich kein klassischer Messenger ist, sondern vielmehr ein Hybrid aus Messenger und sozialem Netzwerk. Neben dem Chat-Reiter, der stark an WhatsApp erinnert, gibt es wie auf Facebook oder Twitter eine eigene Profilseite, auf der sich persönliche Angaben zum Nutzer und Verlinkungen zu anderen Social-Media-Accounts einbinden lassen.
Dieser Eindruck gibt auch die Erfahrungen von Peer Wörpel wieder. Er arbeitet als Direktor Beratung Kreation bei der Hamburger Digital-Agentur Pilot und sagt: "WeChat ist kein reiner Messenger-Dienst. Es vereint die unterschiedlichsten Services und Informationen vom Chatten und Daten bis zum Taxi-Dienst, Shopping und Couponing." Die Liste lässt sich beinahe unendlich fortführen. "Selbst ein Arzt kann Diagnosen über WeChat an die Patienten verschicken", ergänzt Wörpel. Alexander Turtschan, Head of Media Insights and Innovation bei der Plan-Net-Gruppe, spricht, wenn er über WeChat redet, deshalb auch von einem "Social-Betriebssystem".
Politische und kulturelle Einstiegshürden für Marken
Schon allein die gigantische Bandbreite an Möglichkeiten, die WeChat in seinem Heimatmarkt anbietet, sollte Grund genug für Marken sein, sich mit dem Dienst auseinanderzusetzen. Wer allerdings ohne Strategie und eingehende Analysen an den Start geht, könnte schnell enttäuscht werden. Obwohl die Nutzerstruktur mit der von Facebook vergleichbar ist, ist die Nutzungssituation eine andere.
Der chinesische Markt ist von einer Mobile-Kultur geprägt, das Smartphone ist der zentrale Zugang zum Internet. Die Generation "stationärer Computer" wurde im bevölkerungsreichsten Land der Erde übersprungen. Hinzu kommt die sprachliche Hürde wie auch die autoritären Strukturen im Land. So gibt es nur zwei bis drei Marktforschungsunternehmen. Deshalb "ist es schwieriger, an unabhängige Daten zu kommen", erklärt China-Experte Turtschan.
Unter der lückenhaften Verfügbarkeit von Daten leiden vor allem Konzeption und Planung. Ohne lokales Know-how und nur mit den Einblicken aus dem Ausland ist der Aufbau einer Markenpräsenz in China im Allgemeinen oder auf WeChat im Speziellen nur schwer möglich.
Des Weiteren müssen sich Marken und Medien zu jedem Zeitpunkt über die politische Situation im Land der Mitte im Klaren sein. Eine Regierung, die Andersdenkende verfolgt, Kritik unterdrückt und Internet-Seiten blockiert, überwacht mit Sicherheit auch das Geschehen auf dem größten Messenger. "Man kann sich also sehr sicher sein, dass Zensur stattfindet und zum Teil Geotracking zur Überwachung genutzt wird", warnt Turtschan.
Expansionspläne und Finanzierungsideen
Trotzdem ist WeChat mit seinen 700 Millionen monatlich aktiven Nutzern (MAU) offenbar sehr attraktiv für Werbungtreibende und Unternehmen. "Jeden Monat kommen circa 8.000 Markenprofile hinzu", weiß Pilot-Manager Wörpel. Von lokalen Geschäften bis zu weltweit agierenden Brands wie McDonald’s oder dem FC Bayern München (s. Interview mit Stefan Mennerich auf Seite 3) reicht die Verbreitung.
Die angebotenen Werbemöglichkeiten mögen im Vergleich zu Facebook geringer ausfallen, übertreffen die Messenger-Konkurrenz um WhatsApp, Snapchat und Co. jedoch weit. Wie man dem Bericht der chinesischen Agentur Sheng Li Digital entnehmen kann, gibt es neben klassischen Werbeformaten wie Display Ads und Anzeigen im Newsfeed der Nutzer auch ein ausgefeiltes Community-Management-System, das insbesondere für Marken von Interesse ist.
Während Brands mittels Subscription Account einmal täglich per Nachricht mit den Followern in Kontakt treten können, ermöglicht der Service-Account nur vier Status-Updates im Monat. Dafür wird der User über die Neuigkeiten per Push-Mitteilung informiert. Aufgrund der stets präsenten Positionierung auf dem Lock-Screen des Nutzers steigt der Werbeeffekt an. Wenn der Service Account von WeChat verifiziert wurde, erhalten die Markenverantwortlichen sogar Zugriff auf die offizielle WeChat-API und können die Payment-Services der Plattform verwenden.
Trotzdem ist das Schalten von Werbung nicht die primäre Einnahmequelle für die Chinesen. Den Machern von WeChat geht es vielmehr darum, ein Ökosystem an Diensten aufzubauen, das sowohl für die Unternehmen als auch den Nutzer einen Mehrwert bietet. Im Gegensatz zu Mark Zuckerberg und seinen Plänen bei Facebook setzt man bei WeChat, das zum Multimilliardenkonzern Tencent gehört, jedoch darauf, alle neuen technischen Lösungen in einer App zusammenzufassen, während man in Menlo Park eher die Dienste auslagert. Das beste Beispiel ist dafür sicherlich der Facebook Messenger. "Ob sich eine All-in-One-Lösung wie bei WeChat durchsetzt oder ein Ökosystem wie bei Facebook die zielführende Variante ist, bleibt abzuwarten", fasst Peer Wörpel zusammen.
Ungeachtet der sprachlichen Barrieren stellt sich auch unternehmensseitig die Frage, wann und ob eine Expansion von WeChat nach (West-)Europa und (Nord-)Amerika Sinn ergibt. Der japanische Gegenspieler Line (212 Millionen MAU, Stand Januar 2016) forciert bereits seit knapp eineinhalb Jahren die globale Expansion. Auch für Deutschland gibt es offenbar derartige Pläne. Über die Sinnhaftigkeit eines solchen Schritts sind sich auch die Experten Turtschan und Wörpel weitestgehend einig.
Solange WeChat in Deutschland nicht mehr als nur ein weiterer SMS-Klon ist, hat der Dienst kaum eine Chance, sich gegen Whatsapp, den Facebook Messenger oder Snapchat durchzusetzen. Werden die existierenden Features jedoch auch global ausgerollt, könnte sich WeChat schnell zu einem ernsthaften Konkurrenten entwickeln.
Interview mit Stefan Mennerich vom FC Bayern München
Stefan Mennerich arbeitet als Direktor Neue Medien, Medienrechte und IT beim FC Bayern München und spricht auch am 11. Juli auf dem Online Marketing Forum in München.
Warum hat sich der FC Bayern dafür entschieden, als Marke auf WeChat aktiv zu sein?
Stefan Mennerich: WeChat hat in China eine wesentlich höhere Bedeutung, als dies für Messenger in der westlichen Welt der Fall ist. WeChat besitzt einen größeren Funktionsumfang. Der reicht von der Bezahlfunktion bis zum In-App-Shop und hat das digitale Leben in China komplett durchdrungen. Somit ist es für den FC Bayern ein effizienter und direkter Weg, mit seinen Fans in China zu kommunizieren und sie mit Informationen rund um den Club zu versorgen.
Inwiefern unterscheidet sich WeChat von "westlichen" Messengern?
Mennerich: Ein großer Unterschied ist, dass man auf WeChat nur alle 24 Stunden einen Post absetzen kann, bei den anderen Messengern so oft man will. Zudem bietet WeChat, das sogar über einen eigenen App Store verfügt, weitreichende Zusatzservices an, wie beispielsweise die Möglichkeit, Audionachrichten zu versenden oder Videotelefonate zu führen. Darüber hinaus gibt es auch Zahl-, Bestell- und Gaming-Funktionalitäten.
Worauf sollten Unternehmen achten, die WeChat für ihre Markenkommunikation nutzen möchten?
Mennerich: Aufgrund der Vielfalt an Funktionen bietet WeChat wesentlich mehr Möglichkeiten für Unternehmen und Werbungtreibende als viele andere Plattformen.
Welchen Content bieten Sie Ihren Followern auf WeChat?
Mennerich: Jeglichen Content rund um den FC Bayern wie beispielsweise Spielinformationen, Updates zu verletzten Spielern, Transferneuigkeiten oder Angebote von Merchandising-Produkten. Wichtig ist wie auf allen anderen digitalen Plattformen: Content und Kommunikation mit den Fans stehen an erster Stelle und sind die Basis für alles, was danach vielleicht kommen kann.