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Jochen-Hahn

Gastkommentar Facebook straft euch alle zu Recht ab

Jochen Hahn, Geschäftsführer missMedia

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Facebook ändert seinen Algorithmus und stuft die Sichtbarkeit von Unternehmens-Posts herab. Die Kritik daran ist gänzlich unberechtigt, findet Jochen Hahn von missMedia. Denn das Problem sinkender organischer Reichweiten ist hausgemacht.

Von Jochen Hahn, Geschäftsführer missMedia

Am 4. Februar wird Facebook 12 Jahre alt. Marc Zuckerberg möchte nun "Back To The Roots" und sein Soziales Netzwerk wieder attraktiver für Freunde machen. Medien und Unternehmen fürchten um ihre Reichweiten und wettern gegen Benachteiligungen durch den Facebook-Algorithmus. Die Kritik ist jedoch gänzlich unberechtigt, denn das Problem sinkender organischer Reichweiten ist hausgemacht.

Wie konnte Facebook eigentlich so mächtig werden? Weil sich das Unternehmen ohne Wenn und Aber den User-Interessen untergeordnet hat. User-Zentrierung liegt auch dem sagenumwobenen Algorithmus zugrunde, der steuert, welche User, welche Inhalte zu sehen bekommen.
 
Der Algorithmus ist also nichts anderes als ein personalisierter Filter, der weltumspannend dafür sorgt, dass User nur jene Inhalte sehen sollen, die sie auch wirklich interessieren (könnten). Nun wird Facebook zunehmend offensiver in der Öffentlichkeitsarbeit und kündigt fast schon wöchentlich Änderungen am Algorithmus an - die weitreichende Konsequenzen haben sollen.

Langer Optimierungs-Prozess

Diese Änderungen sind jedoch keine plötzliche Initiative von Marc Zuckerberg, sondern ein seit Mai 2015 laufender Optimierungs-Prozess um Facebook attraktiv für User zu halten. Die Ankündigungen sind also meist nachträgliche Informationen zur gelebten Wirklichkeit, um positive Stimmung gegen öffentliche Kritik zu machen - Stichwort Fake-News und Hasspostings.
 
Im Kern geht es darum, dass organische Reichweiten ein sehr wertvolles Gut sind und es einer Art systematischen Bewertung von Inhalten bedarf, um zu entscheiden, was Usern jeweils in ihren Timelines an (werblichen) Inhalten zugemutet werden kann.

Zentrales Bewertungskriterium für den Facebook-Algorithmus ist das User Engagement. Liken, kommentieren oder teilen User in hohem Ausmaß und in kurzer Zeit Inhalte auf Facebook, umso mehr organische Reichweite schenkt Facebook diesen Inhalten und das erzeugt die viel zitierte Viralität einzelner Postings. Sammeln Inhalte nur langsam Interaktionen oder gar keine, verschwinden sie so schnell wie noch nie aus den Sichtfeldern (Timelines) der User.

Entsprechend haben sich die organischen Reichweiten einzelner Postings seit 2015 gezehntelt, im Schnitt sehen nur zwei Prozent der eigenen Fans ein Posting einer gelikten Fanpage. Besonders betroffen sind pure Link-Postings, also Stories. Lange Texte benötigen naturgemäß mehr Zeit um Interaktionen zu generieren, weil User die Story ja erst lesen müssen und zudem Facebook nun Klicks auf ein Postings nicht mehr oder nur unterkategorisiert in den "Engagement Score" einfließen lässt. Friends Content, also kurze Statusmeldungen oder Bilder von Facebook-Freunden, generieren dagegen schneller Likes und insbesondere (wertvolle) Kommentare.

Was steckt wirklich dahinter?

Facebook wird zum Opfer des eigenen Erfolgs. Da sich immer mehr User mehrmals täglich über Facebook (passiv) informieren und die App zur "Basisinfrastruktur" eines jeden Smartphones wurde, kämpfen immer mehr Unternehmen und Medien um Relevanz auf der Plattform Facebook. Das führt zu einem massiven Überangebot an Content pro User. Denn Medien und Unternehmen bemühen sich um jeden Fan, egal ob er der eigenen Zielgruppe entspricht, oder nicht.

Nun ist es leider so, dass sehr viele dieser publizierten Inhalte nicht attraktiv genug sind und/oder zu werblichen Charakter haben. Würde all dieser unattraktive Content in den Timelines aufschlagen, dann wäre Facebook für User binnen kurzer Zeit völlig uninteressant. Entsprechend muss Facebook den Usern zuliebe via Algorithmus filtern und ranken und einen Großteil der Inhalte verbergen, also mit minimaler organischer Reichweite versehen.
 
Auf Facebook aktive Publisher, egal ob aus der Medienbranche oder Unternehmen, sollten sich daher mit der Frage auseinandersetzen, ob ihre publizierten Inhalte tatsächlich Engagement und Relevanz bei Usern erzeugen können, also attraktiv genug sind für User. Meistens muss die Frage mit einem glasklaren "Nein" beantwortet werden - Werbe- und Produktbildchen, klassische TV-Spots oder langweilige News Headlines haben nichts mit Social Media zu tun, sind also eine dramatische Themenverfehlung. In vielen Fällen werden diese ungeeigneten Inhalte durch ein systemisches Problem angereichert, denn Fanbases der meisten Fanpages sind alles andere als zielgruppengenau gewachsen. Das führt also zu einem doppelten Relevanzverlust: Unattraktiver Content trifft undefinierte Zielgruppe - und das bedeutet mangelnde User-Interaktion und folglich kaum organische Reichweite.
 
Für Publisher, die schon seit vielen Jahren auf Facebook aktiv sind und das soziale Netzwerk als Traffic-Bringer verunglimpfen, ist damit der Schaden bereits unumkehrbar passiert. Und auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, dieser Schaden ist selbstverursacht. Denn Facebook ist zwar in Summe ein Massenmedium, als Tool für Medien und Unternehmen sollte es jedoch in der korrekten Anwendung ein Präzisionswerkzeug zur Ansprache, Erschließung und Interaktion mit einer genau definierten Zielgruppe sein. In den meisten Fällen ist es jedoch eine auf pure Fanzahlen hochgepushte General-Interest-Plattform zur Bewässerung der eigenen Website.

Genau darin liegt der historische Fail

Fazit: Wer auf Facebook eine genau definierte Zielgruppe als Community aufbaut und dafür maßgeschneiderten und interaktionsstarken, weil relevanten Content publiziert, wird auch in Zukunft organische Reichweiten auf Facebook generieren können.

Wer hingegen einfach alles auf Facebook rauspustet oder pure, klassische Werbung abschaltet, wird jegliche organische Reichweite verlieren und kräftig in anorganische Reichweiten investieren müssen. Und das ist gut so, denn es ist im Sinne der User. Nur so hat Facebook eine Zukunft.

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