
Open Source für B2B So setzt Haneu die Shop-Software Orocommerce ein
Seit Januar bietet Oro die Business-to-Business-Shop-Software Orocommerce an. Haneu Katalog setzt als einer der ersten Enterprise-Kunden auf die Lösung.
Der amerikanische Software-Anbieter Oro Inc. hat eine deutschsprachige Version seiner neuen Shop-Software Orocommerce herausgebracht. Orocommerce 1.0 ist erst im Januar 2017 vorgestellt worden. Die deutsche Version ist mit dem Versandunternehmen DPD verknüpft. Bezüglich des Zahlungsverkehrs kooperiert Oro mit Inifinitepay, einem deutschen Anbieter für Finanzmanagement-Lösungen, und mit dem Payment-Anbieter Wirecard.
Einer der ersten deutschen Kunden, die die Business-to-Business-Lösung im digitalen Vertrieb einsetzen, ist die Haneu Katalog GmbH. Haneu berät Unternehmen bei der Konzeption von individuellen Transportlösungen, bei der Lagerplanung oder bei der Einrichtung von Sozialräumen. Dafür bietet das Versandhandelsunternehmen 15.000 Produkte an, die es per Katalog und per Internet an Geschäftskunden verkauft. Mit einem Webshop, der bislang auf Magento 1 läuft, werden der deutsche, der österreichische und der niederländische Markt bedient.

Oro
Der Support für Magento 1 wird jedoch Ende des Jahres 2017 eingestellt. Deshalb stellte sich für Thomas Michael Engelke, Technischer Leiter Digitalgeschäft bei Haneu Katalog, die Frage, ob die drei Shops von Haneu auf Magento2 oder auf eine andere Shop-Software migriert werden sollen. Nach einem Screening etlicher Shops-Systeme entschied Engelke, Magento 2, Pimcore, Shopware und Orocommerce eingehender zu prüfen. Daraufhin fanden Meetings mit Agenturen statt, eigene Testinstallationen wurden eingerichtet.
B2B-Funktionen werden häufig nicht gut abgebildet
Es ist generell nicht leicht für kleine und mittelgroße Unternehmen beziehungsweise deren technische Dienstleister, eine passende Shop-Software zu finden. Die richtige Shop-Software für das Business-to-Business-Geschäft zu finden, sei noch schwerer, meint Engelke, weil die Software für den B2B-Vertrieb andere, zusätzliche Funktionen aufweisen muss als für den B2C-Verkauf. Zum Beispiel sollte der Shop unter einem Geschäftskundenkonto verschiedene Einkäufer mit unterschiedlichen Berechtigungen und eigenem Budget verwalten können. Er muss über einen Prozess für die Budgetfreigabe durch den Vorgesetzten verfügen. Oder mehrere unterschiedliche Rechnungs- und Lieferadressen sollten angelegt werden können. "Die meisten Shop-Softwarelösungen können Business-to-Business nicht sauber abbilden", stellt Engelke fest. Also müssen häufig Zusatzmodule gekauft werden, um B2B-Funktionen zu erhalten. Sobald ein Update oder eine Aktualisierung ansteht, können jedoch bei diesen Erweiterungen Probleme auftreten.
Nach dem Auswahlverfahren fiel Engelkes Wahl auf Orocommerce von Oro Inc. Die Open-Source-Software wurde von Anfang an als Business-to-Business-Lösung konzipiert und ist erst seit Januar 2017 als On-Premise- und als Cloud-Version verfügbar. Die Gründer von Oro, alles ehemalige Magento-Leute, starteten 2012 mit einer Customer-Relationship-Management-Software und einer Plattform, auf der Entwickler eigene Anwendungen für das CRM entwickeln können. Orocommerce ist nun eine weitere Anwendung, die auf der Oro-Plattform aufsetzt. Wenn Unternehmen auf Basis der Oro-Plattform eigene Anwendungen entwickeln, sind diese mit Orocommerce integriert. Dieser Ansatz überzeugte Engelke. "Oro hat einen Sweetspot getroffen. Die Software erfüllt etwa 90 Prozent unserer Anforderungen ,out of the box‘ und bietet ausreichend Flexibilität für eigene Entwicklungen." Die Oro-Plattform soll die zentrale Komponente bei der Digitalisierung von Haneu Katalog werden. "Ich erwarte, dass wir damit unsere Systeme vernetzen und Daten einfach übertragen können", so Engelke.
Haneu Katalog hat die noch recht junge E-Commerce-Software mithilfe der Agentur Diepartments aus Köln ausgewählt. Engelkes Zeitplan sieht vor, dass zuerst die Haneu-Shops in Österreich und in den Niederlanden auf "Orocommerce" live gehen und danach der deutsche Auftritt. "Die Kunden in Deutschland sind an viele Prozesse gewöhnt, die für Orocommerce noch entwickelt werden müssen", begründet er die Entscheidung. In Österreich hingegen kann Haneu mit 95 Prozent der Funktionen starten, die Orocommerce standardmäßig mit sich bringt.

Checkout anlegen in Orocommerce: Shopbetreiber können den Ablauf per Drag & Drop anpassen
Oro
Die Kosten für die Software-Lizenz sind bei Orocommerce gestaffelt und orientieren sich am Online-Umsatz des Kunden. Bei einem Umsatz des Online Shops bis 10 Millionen Euro fallen für Orocommerce und Oro-CRM in der Enterprise-Edition rund 35.000 Euro pro Jahr an Lizenzkosten an. Bei einem Umsatz von 10 Millionen bis 25 Millionen Euro im Shop sind es rund 65.000 Euro pro Jahr. Zusätzlich zur Enterprise Software erhalten die Kunden auch Support vom Hersteller.
Pläne für die Weiterentwicklung hat Haneu-Mann Engelke auch: "Häufig werden unsere Produkte leicht verändert. Dafür ein Angebot zu erstellen, ist bislang noch ein manueller Prozess. Künftig soll das eine Funktion im Shop sein."
Michael Rutzer, Mitgründer der Agentur Diepartments, hat sich eingehend mit Orocommerce beschäftigt. Diepartments entwickelt seit 2008 spezialisierte B2B-Commerce-Anwendungen, bislang meist individuell beziehungsweise auf Basis von Frameworks. INTERNET WORLD Business hat Rutzer um eine Einschätzung der B2B-Lösung gebeten.
Interview: Einschätzung von Orocommerce
Wie lautet Ihre allgemeine Einschätzung von Orocommerce?

Michael Rutzer, Consulting & Entwicklung, Diepartments
Diepartments
Michael Rutzer: Der Fokus auf B2B-Commerce ist für eine Standard-Software in dieser Tiefe ziemlich einzigartig. Es gab praktisch keine Standard-Software, welche sinnvoll für B2B anpassbar ist. Mit Orocommerce ändern sich die Vorraussetzungen und Möglichkeiten für uns, aber sicherlich auch für viele andere B2B-Shopentwickler und -Integratoren. Da dem B2B-Commerce im Zuge der viel beschworenen Digitalisierung ein hohes Potenzial vorausgesagt wird, könnte Orocommerce für die digitale Strategie vieler mittelständischer Unternehmen eine sehr interessante Basis darstellen.
Für welche Unternehmen ist sie interessant?
Rutzer: Für Unternehmen, die eine Komplettlösung für B2B-Commerce suchen. Komplettlösung deswegen, weil nicht nur E-Commerce Prozesse darin abgebildet werden können, sondern beispielweise auch das CRM hierüber laufen kann.
Welche Alleinstellungsmerkmale sehen Sie zu anderer B2B-Shopsoftware?
Rutzer: Orocommerce verfügt über umfangreiche Funktionen, speziell für den B2B-Bereich, die so in Standardsoftware, vor allem im Open Source Bereich, praktisch nicht existieren. Hierzu zählen beispielweise Dinge wie die Möglichkeit einer Angebotsanfrage. Hier kann ein Interessent oder Kunde einen Warenkorb zusammenstellen und hierfür ein individuelles Angebot erfragen. Der Anbieter kann dann über Orocommerce auf diese Anfrage reagieren, dem Kunden hierfür individuelle Konditionen anbieten und vieles mehr. Gerade im Großhandelsbereich ist eine solche "Verhandlungsfunktion" sicherlich interessant. Für Großkunden auch praktisch ist die Kunden-Selbstverwaltung. Hier kann der Primärkontakt eines Kunden für sein Unternehmen weitere Kontakte, zum Beispiel Abteilungen, Einkäufer oder Standorte, im Shopsystem anlegen und diesen beispielsweise auch Budgets hinterlegen.
Was ist nicht gut gelöst?
Rutzer: Die Codebase ist für eine PHP-Software sehr umfangreich. Dadurch ist diese kaum überschaubar, was individuelle Anpassungen teilweise schwer kalkulierbar macht. Darüberhinaus lässt die Performance im Entwicklungsmodus sehr zu wünschen übrig und auch die Dokumentation ist bislang noch nicht sehr umfangreich. Vieles kann nur über die Oro-CRM-Doku erschlossen werden.