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Interview mit Markus Fuchshofen Bonprix: "KI macht uns besser in dem, was wir tun"

Markus Fuchshofen, Geschäftsführer E-Commerce Management, Vertrieb Inland und Marke bei Bonprix

Bonprix

Markus Fuchshofen, Geschäftsführer E-Commerce Management, Vertrieb Inland und Marke bei Bonprix

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Markus Fuchshofen, Geschäftsführer E-Commerce Management, Vertrieb Inland und Marke bei Bonprix, sieht in der digitalen Transformation des Handels ein neues Kapitel eingeläutet, in dem Künstliche Intelligenz der maßgebliche Treiber sein wird.

Die vertikale Modemarke Bonprix nutzt Künstliche Intelligenz (KI) schon in vielen Bereichen. Unter anderem kündigte das Unternehmen Mitte Dezember ein neues Prognosemodell an, das auf Basis von KI die Produktrankings in allen Sortimentskategorien im Bonprix-Webshop optimiert.

Bei der Betrugsprävention im E-Commerce hilft dem Unternehmen ein Mix aus regelbasiertem Scoring, Auswertung von Geo-Daten und Machine Learning. Und selbst bei der Sortimentsplanung unterstützen Algorithmen den Einkauf.

Wie sich der Einsatz von KI für Bonprix tatsächlich heute schon rechnet, erzählt Markus Fuchshofen, Geschäftsführer E-Commerce Management, Vertrieb Inland und Marke bei Bonprix, im Gespräch mit INTERNET WORLD - und übrigens auch live auf der MOONOVA 2022 am 21. Februar.

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Bonprix treibt das Thema KI sehr offensiv voran. An welchen Stellen verändert KI denn wirklich den Handel?
Markus Fuchshofen:
Wenn man schaut, wie wir heute als Retailer online und offline arbeiten, dann gibt es ganz wesentliche Bereiche, in denen Wertschöpfung entsteht, bei denen wir aber in den vergangenen Jahren an Grenzen gestoßen sind. Wie gut können wir hochrechnen? Wie gut können wir Produkte einschätzen? Wie gut können wir beraten? Diese Fragen sind für uns als vertikal integrierte Modemarke mit komplett eigenen Sortimenten essentieller als zum Beispiel für eine Plattform. Aber nicht für alle Fragen haben wir heute bereits optimale Antworten beziehungsweise Lösungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese "gläserne Decke" durch die Digitalisierung jetzt in vielen Bereichen durchbrechen können. Dadurch passiert eine verbesserte Form von Wertschöpfung, von der auch unsere Kundin profitiert.

Lässt sich das noch ein bisschen stärker konkretisieren?
Fuchshofen:
Der klassische Distanzhandel hat ein paar typische Probleme: Man hat viel zu viele Produkte, die keiner haben will. Produkte halten nicht, was sie versprechen. Produkte, die gefallen, sind nicht ausreichend in der gewünschten Größe verfügbar. Oder die Preise entsprechen nicht den Kundenerwartungen. Unter diesen Punkten lässt sich ein riesiges Feld aufspannen für notwendige und sinnvolle Lösungsansätze. Recommendation Engines, die einem vielleicht als erstes einfallen, wenn man über Machine Learning oder KI spricht, sind vielleicht fancy. Aber es gibt viel größere Bereiche, wo KI im Unsichtbaren agiert und trotzdem wertstiftende Momente bewirkt, weil sie zum Beispiel dafür sorgt, dass in Stores und Webshops immer die richtigen Produkte zum richtigen Preis gezeigt werden.

Produkt-Potenzial-Prognose

Welches Produkt rankt wie im Shop? Die KI entscheidet mit.

Bonprix

Bonprix setzt KI unter anderem in der Sortimentsplanung, in der Produktpotenzialanalyse und in der Betrugsprävention ein. Gibt es noch weitere Bereiche?
Fuchshofen:
Zum Beispiel im Pricing. Wir nutzen Dynamic Pricing nicht nur, um den richtigen Preis zu finden, sondern auch, um in unserem datengetriebenen Geschäftsmodell extrem hilfreiche Daten zu produzieren und zu pflegen. Wir versuchen beispielsweise, Informationen auch aus Bildern auszulesen, um unserer Einkaufsabteilung die Beschreibung von Produkten zu erleichtern. Das fällt nach außen hin kaum auf, führt aber am Ende zu besseren Beschreibungen und damit auch zu weniger Retouren. Das Beispiel zeigt ganz schön, wie bei vielen Dingen ein Thema auf den Schultern eines anderen Themas steht. Wenn man Produkte besser beschreibt, kann man auch besser einschätzen, ob sie Potenzial haben oder eben nicht. Prognosen sind ein anderes Beispiel. Wir setzen Vorhersagen nicht nur ein, um abzuschätzen, wie viele Produkte wir einkaufen müssen. Wir nutzen es auch für die Kapazitätsplanung im Lager. Und Prognosen haben wiederum einen Einfluss auf das Thema Potenzialanalyse. Denn wenn du früher nachordern kannst, kannst du dem Produkt im Shop mehr Sichtbarkeit geben. Durch diese Zusammenhänge entsteht eine Art Schwungrad. Dies führt dazu, dass wir immer mehr auf eigene Lösungen setzen, die ganz speziell auf unser bonprix-Geschäftsmodell als vertikale Modemarke zugeschnitten sind. Eine Recommendation Engine für Bücher ist nicht immer geeignet, auch Mode zu empfehlen, auch wenn es ein ähnliches Verfahren ist. Das oben genannte Schwungrad lässt sich viel besser bedienen, wenn der Technologie-Stack auch vertikal integriert ist und man ihn selber im Griff hat.

"Es geht bei vielen Themen darum, sie überhaupt handhabbar zu machen"

Führt das Schwungrad auch dazu, dass ein Mensch ohne Maschine es gar nicht mehr beherrschen kann?
Fuchshofen:
Tatsächlich ist die Welt so komplex geworden, dass es bei ganz vielen Themen darum geht, sie überhaupt handhabbar zu machen. Denn wenn sie nicht handhabbar sind, was macht man dann? Nehmen wir das Thema Betrugsprävention. Je nach Land gibt es ganz unterschiedliche Muster, wie Betrug, vor allem durch organisierte Kriminalität, stattfindet. Bislang war es üblich, über eine klassische Programmierung Regeln zu definieren, die auf Faktoren wie Warenkorbgröße oder Wohnadresse abgestimmt waren. Das funktioniert vielleicht irgendwann ganz gut für ein Land wie Deutschland. Aber wie lässt sich das System jetzt für ein anderes Land wie Frankreich einstellen, wo es zum Beispiel ganz andere Warenkorbgrößen gibt? Oder was passiert, wenn sich durch Corona plötzlich das Einkaufsverhalten ändert? In der klassischen Programmierung hätte man jetzt jede Regel manuell neu definieren müssen und wäre trotzdem immer ein paar Schritte hinterher gewesen. Wenn KI zum Einsatz kommt, bleibt die Methodik die Gleiche, aber durch die Input-Signale lernt das System auf Basis dieser Daten. So entwickeln wir mit einem zentralen System, das mit lokalen Daten gefüttert wird, eine passfähige Antwort für jedes Land. Da haben wir sehr schnell gemerkt, wie überlegen Technologie gegenüber klassischen Methoden ist, mit denen wir früher an die „gläserne Decke” gestoßen sind.

Welche Herausforderungen musste Bonprix bei seinen KI-Projekten meistern?
Fuchshofen:
KI ist ein Paradigmen-Wechsel und der maßgebliche Treiber der digitalen Transformation. Die klassische Programmierung fällt weg. Stattdessen gibt es Maschinen oder neuronale Netzwerke, die durch Daten lernen. Die Qualität dieser Daten ist dabei ein relevanter Erfolgsfaktor. Nehmen wir das Thema Dynamic Pricing. Hier geht es bei weitem nicht nur um Algorithmen. Zunächst mussten wir durch dieses Tool unsere Preisqualität steigern und den Preisprozess komplett digitalisieren. Da hatten wir nämlich eine ganze Reihe von Problemen, so dass in den Webshops und auch bei Google international in der Vergangenheit immer mal wieder unterschiedliche Preise angezeigt wurden. Diesen neuen Programmieransatz zu managen, war eine riesige Herausforderung und ist es heute noch. Eine weitere Herausforderung war es, sich für die passende Technologie zu entscheiden und die Architektur eines neuronalen Netzwerkes zu verstehen und aufzubauen. Danach mussten wir uns an die Frage herantasten, welche Problemstellungen sich überhaupt durch KI lösen lassen. Das sind in der Regel solche mit einer klaren Zielfunktion. Wir müssen also das Wesen von KI in seinen unterschiedlichen Ausprägungen gut verstehen und es beeindruckt mich immer wieder, wie dies unseren Expert*innen auf dem Gebiet gelingt. An mich habe ich den Anspruch, als Geschäftsführer so viel davon zu verstehen, dass ich zumindest die Investments dafür freigeben kann.

"Es geht eben doch"

Die KI, die in der Sortimentsplanung zum Einsatz kommt, identifiziert Flops besser als Tops. Woran liegt das?
Fuchshofen:
Ich fange einen Schritt früher an. In der Vergangenheit haben wir gelernt, dass ein Bestseller von mehreren Faktoren abhängt: Style, Preis, Inszenierung, Zeitpunkt und Zielgruppe. Ein Produkt verkauft sich über ein Bild und die Sehnsucht der Kundin, so aussehen zu wollen wie das Model auf dem Bild. In diesem Erfahrungsgefängnis steckten wir, als schlaue Kolleg*innen im Unternehmen avisierten, nur auf Basis von Zahlen Mode vorhersagen zu können. Und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem das Bild für die Vermarktung noch gar nicht existierte. Da war erstmal jeder, mich eingeschlossen, extrem skeptisch, denn das läuft ja komplett gegen die eigene Erfahrung. Aber dann zeigten erste Projekte: Es geht eben doch. Allerdings lassen sich Flops statistisch in der Tat aktuell noch zielgenauer identifizieren als potentielle Topartikel. Bestseller erkennen wir also noch nicht ganz so zuverlässig wie die Ladenhüter. Allerdings: Der Nutzenbeitrag, einen Flopartikel zu erkennen, ist extrem hoch. Denn dann kaufen wir natürlich nicht 10.000 Teile von dem Produkt ein und planen auch keine unnötige Inszenierung dieses Artikels. So wird auch indirekt Raum kreiert. Aber zugegeben: für die Einkäufer, die 100 Artikel entwickeln und dann von einer Maschine gesagt bekommen, dass zehn davon nicht erfolgversprechend sind und nicht produziert werden sollten - das war schon eine Umstellung. Doch das Ergebnis gibt der Maschine recht.

Learning Collection

Die KI bei Bonprix kann mit einer sehr hohen Trefferquote Flops im Sortiment vorhersagen.

Bonprix


Wie arbeitet denn die KI hier genau?
Fuchshofen:
Sie analysiert Daten. Dabei reden wir von 300 bis 500 Attributen - und das pro Artikel. Das ist natürlich ein großer Pflegeaufwand für unseren Einkauf. Aber am Ende führt genau das eben dazu, dass irgendwann eine Maschine erkennt, ob ein Produkt funktioniert oder nicht. Um den Weg zur Digitalisierung ein wenig sanfter zu gestalten, haben wir in einem Zwischenschritt die Daten für den Online-Shop erweitert, so dass Kund*innen zum Beispiel nach Länge oder Material filtern konnten. Aber inzwischen können wir extrem viel mehr relevante Datenpunkte generieren. Die Maschine identifiziert daraus Erfolgsmuster, die ein Mensch niemals erkennen würde.

"Ein Corporate Data Model war für uns nicht der richtige Weg"

Wie schwer war es für Bonprix, die benötigten Daten zusammenzubringen und die Datensilos aufzubrechen?
Fuchshofen:
Das war und ist noch eine große Herausforderung, aber da wir stark auf den Aufbau von Inhouse-Expertise setzen, widmen sich unsere Teams dem Prozess mit großer Leidenschaft. Viele Firmen beschließen, ein Corporate Data Model zu bauen. Für uns war das nicht der richtige Weg. Wir sind stattdessen nach Cases und immer in einzelnen Schritten vorgegangen. Wenn Daten aus anderen Silos gebraucht wurden, haben wir einen Corporate Data Layer etabliert, in den die Daten geschoben werden konnten. So wächst der Corporate Data Layer immer weiter an. Dies ist also in gewisser Weise ein orchestrierter, aber ein stückweit auch ein organischer Prozess.

Wie haben Sie den Change geschafft, dass Mitarbeiter Kernkompetenzen und Erfahrung aufgeben und stattdessen einer Maschine vertrauen?
Fuchshofen:
Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass man nicht eben mal eine neue Technologie einführt. Es gilt, sich mit den Teams ernsthaft zu Bedenken auszutauschen. Jeder Changeprozess mündet in einer Kurve. Erst gibt es vielleicht Ablehnung, dann geht es ins Tal, dann wieder bergauf. Die Zeit für diesen Prozess müssen wir uns nehmen. Außerdem ist es wichtig, Veränderungen verdaubar zu machen. Wenn man den Mitarbeitenden sagt, KI verändere alles, ist das nicht verdaubar. Man muss die Dinge runterbrechen und den Teams vermitteln: Wir machen einen Test, wir probieren Dinge aus, wir besprechen das. Das ist Change Management. Wir müssen auch begreiflich machen, dass es nicht darum geht, Jobs zu ersetzen, sondern Technologien einzusetzen, die die Basis für bessere Entscheidungen liefern. Und dann ist natürlich auch wichtig, die Erfolge auch zu benennen und beispielsweise zu erzählen, wie durch KI eine Wachstumsschwelle geknackt wurde oder wie der Einkauf von Biobaumwolle ohne Preiserhöhung für die Kundin refinanziert werden kann, weil an anderer Stelle Ineffizienzen beseitigt wurden.

Nutzen Sie KI auch im Bonprix Store in der Hamburger Innenstadt?
Fuchshofen:
Unser Bonprix Store ist auch ein Guckloch auf unsere E-Commerce-Infrastruktur. Die Kundin shoppt digital assistiert: Sie betritt den Store, öffnet die App, scannt Produkte und lässt sie zum Anprobieren in die Kabine hängen. Das hätte in einem normalen Store nicht gemessen und ausgewertet werden können. Doch wir haben diese Daten komplett digital und damit den ersten Schritt gemacht, um auch im Laden KI-gestützt "gläserne Decken" zu durchbrechen und zu überlegen, was wirklichen Kundennutzen stiftet.

Die KI ermittelt Betrugsvolumen im einstelligen Millionenbereich

Was wird KI auch morgen noch nicht können?
Fuchshofen:
KI ist heute stark bei sehr spezifischen Fragestellungen. Was sicherlich noch viele Jahre weg ist, ist das Thema General AI. Bis Maschinen wie Menschen unabhängig von der Fragestellung lernen können, wird es noch eine Weile dauern.

Fraud Detection

Die Fraud Detection verhindert Betrugsversuche im einstelligen Millionenbereich.

Bonprix

Haben sich die KI-Investitionen schon ausgezahlt?
Fuchshofen:
Auf jeden Fall. Bei der Betrugsprävention, also der Fraud Detection, reden wir von einem einstelligen Millionenbetrag, der an monetärem Betrugsvolumen identifiziert und gesperrt werden konnte. Und Fraud Detection ist nur ein Feld. Auch in der Sortimentsplanung hat KI massive Effekte. Wir kaufen für mehrere hundert Millionen Euro Ware ein. Wenn wir beispielsweise perspektivisch zehn Prozent an Produkten nicht mehr einkaufen, weil für sie kein Erfolgspotenzial identifizierbar ist, kreieren wir dadurch mehr Bestand auf Artikeln, die jeder haben will. Das sind die großen wertstiftenden Momente. KI macht uns besser in dem, was wir tun. Es wird interessant sein zu sehen, wie weit sich Unternehmen dieser Aufgabe stellen. Da wird sich der Markt nach vorne raus noch einmal neu sortieren und die Spreu vom Weizen trennen. Wer KI nicht irgendwann in seine Wertschöpfung einbindet, wird ein Stück weit Wettbewerbsfähigkeit verlieren - zur Kundin hin, aber auch im Sinne der ökonomischen Entwicklung.

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Markus Fuchshofen spricht zum Thema KI am 21. Februar von 10.20 bis 10.50 Uhr auch auf der CenterStage der MOONOVA. Wer ihn live hören will - die Tickets sind kostenlos.
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