
Marcus Tober, CTO von Searchmetrics
Marcus Tober, CTO von Searchmetrics
Voice Search ist das Trendthema im Moment, an Jubelzahlen mangelt es nicht. Hat die Sprachsuche dabei wirklich das Potenzial, dem screen-basierten Search Marketing gefährlich zu werden?
Glaubt man Statistiken, dann wird Voice Search in den nächsten Jahren unsere Art und Weise, wie wir nach Informationen suchen und Kaufentscheidungen fällen, gewaltig verändern. So haben die Statistiker von Comscore ermittelt, dass im Jahr 2020 die Hälfte aller Suchanfragen via Voice Search gestellt wird. Ich denke: Die Zahlen sind viel zu hoch gegriffen, die Perspektive für die Sprachsuche ist zu rosig dargestellt - weil die Mehrzahl der Suchen und Kaufentscheidungen auch künftig an Bildschirmen getroffen werden wird.
1. Menschen schätzen Privatsphäre
Wo recherchieren Menschen die Ziele den nächsten Urlaub, das Geburtstagsgeschenk für Mama oder Freizeitideen für das nächste Wochenende? Richtig - in der Mittagspause am Arbeitsplatz, in der S-Bahn nach Hause oder im Café beim Warten auf die Verabredung. Und solche Recherchen werden Menschen auch künftig am Screen durchführen. Warum ich mir hier so sicher bin?
Nun, wann haben Sie zuletzt im Großraumbüro gefragt: "Okay Google, welche Urlaubsziele sind im Oktober am schönsten?" Wohl eher selten. Nicht zuletzt deshalb, weil Sie vielleicht noch gar keinen Urlaub beantragt haben und die Blicke der neidischen Kollegen nicht ertragen wollen. Und wann wollten Sie zuletzt von Ihrem Smartphone in der Feierabend-vollbesetzten S-Bahn nach Hause wissen: "Okay Google, über welche Geschenke freuen sich Frauen zum 70. Geburtstag?" Eher selten, vermute ich.
Dabei sind diese Eingangs-Recherchen klar Top-of-Funnel, weisen also das höchste Suchvolumen im Verkaufstrichter auf und können zu späteren Conversions führen - am Screen, wohlgemerkt. Und dafür braucht es auch künftig begeisternde Inhalte, die durch Search- und Content-Experten für Screens optimiert werden.
2. Menschen nutzen Smart Speaker für die Steuerung von Musik und Licht
Lassen wir wieder die Zahlen sprechen: Schon jetzt, so berichtete es Amazon nach dem letzten Weihnachtsgeschäft, sei in 13 Prozent der US-Haushalte die Stimme von Alexa zu hören. Und was macht Alexa dabei so? Erzählt ein paar Witze, vielleicht noch aktuelle News und das Wetter - und wird vor allem für die Steuerung der eigenen Musik-Anlage sowie der smarten LED-Lampen genutzt.
Okay, Alexa darf auch noch (Alltags-)Produkte von Amazon bestellen. Aber bitte keine teuren Produkte, denn dafür werden die meisten von uns eine Vorab-Recherche an Bildschirmen durchführen und sich nach Produkt- und Preisvergleichen - die von Search Marketern optimiert wurden - vielleicht für das von Alexa vorgeschlagene Amazon-Produkt entscheiden.
3. Menschen wollen nicht ewig zuhören
Wer mich in den vergangenen Jahren als Speaker auf SEO- und Content-Konferenzen gesehen hat weiß: Ich bin ein großer Star-Trek-Fan. In den einzelnen Serien gibt es immer den Bord-Computer, der von Captain Picard und Co. gefragt wird und antwortet. Worauf antwortet er denn? Klassische Fragen nach dem "Wer", "Was" oder "Wann". Doch die komplexeren Entscheidungen wurden noch immer von Lebewesen (und manchmal Androiden) gefällt.
Genauso verhält es sich mit unserer realen Voice Search: All die Fakten-Fragen, die heute schon mit einem Featured Snippet beantwortet werden können, kann vielfach auch Google Home vorlesen. Aber wer will sich komplexe Zusammenhänge oder Wahlmöglichkeiten, selbst wenn es technisch möglich wäre, von einer Maschine vorlesen lassen? Wer soll, wenn er einen Urlaub im Herbst plant, ernsthaft und konzentriert dabei zuhören, wenn Google Home (oder irgendwann vielleicht auch Alexa, Siri oder Cortana) die Durchschnittstemperaturen und Niederschlagsmengen für Mittelmeer-Länder im Oktober referiert?
4. Menschen wollen die Wahl haben
Wie bereits angesprochen, könnten mit Voice Search künftig vielleicht vermehrt einfache Produkte des täglichen Bedarfs bestellt werden. Hier kann Alexa dank des verknüpften Amazon-Accounts helfen. Doch bei der Buchung eines Urlaubs, dem Auto-Kauf oder dem Vergleich neuer Smartphones möchte ich gern Testberichte lesen, Videos anschauen, mich inspirieren lassen, kurz: eine Auswahl haben.
Aber ich gebe zu, dass vor allem im lokalen Bereich die Bedeutung von Voice Search wachsen wird: Die Reservierung eines Restaurants oder eines Friseurtermins ist via Voice Search komfortabel und mitunter schneller als über screen-basierte Eingaben. Ebenfalls könnten sich andere lokale Geschäftsmodelle wie Schlüsseldienste, Ärzte oder Handwerker bequemer via Voice Search buchen lassen, denn hier sind die Variablen - und damit auch das Recherchebedürfnis - vielfach begrenzt auf Bewertung, Verfügbarkeit und Preis: Ein Dachdecker deckt Dächer, ein Zahnarzt schaut in den Mund und ein Schlüsseldienst öffnet Türen.
5. Menschen sind visuell orientiert
Das Hörbuch erlebt zwar derzeit eine Renaissance, doch daraus einen Trend bezüglich des Hörverhaltens im Alltags abzuleiten, halte ich für gewagt. So wird Voice Search einen zusätzlichen Screen immer dann brauchen, wenn mehr als eine einfache Frage zu beantworten ist oder mehr als ein einfaches Produkt beziehungsweise eine einfache Dienstleistung zu buchen sind. Denn wenn ich komplexere Recherchen starte, dann möchte ich sehen, nicht hören. Dann möchte ich lesen, nicht vorgelesen kommen.
Fazit
Trotz der eindrücklichen Zahlen bezüglich der Verbreitung und Marktakzeptanz von Voice Search glaube ich nicht an eine durchdringende Auswirkung auf das screen-basierte Search Marketing. Zahlen wie von Comscore sind interpoliert auf den anfänglichen Wachstumszahlen und schüren den Hype. Das hilft eher Comscore, ist in meinen Augen aber unrealistisch. Vor allem bei der Suche nach detaillierteren Informationen oder höherpreisigen Produkten wird der Screen das Device der Wahl bleiben.
Die screen-basierte Suche ermöglicht Privatsphäre, Auswahl, Inspiration, Konzentration und lässt dem Nutzer weitaus mehr Möglichkeiten der Kontrolle. Und hierfür wird es auch in einigen Jahren noch Search Marketer brauchen, die ihr Handwerk verstehen und Content anbieten können, der die Interessen der Nutzer perfekt bedienen kann.