
Auswirkungen des Corona-Virus bvoh-Präsident: "Produktion normalisiert sich frühestens in vier Wochen"
bvoh-Präsident und China-Experte Oliver Prothmann
bvoh-Präsident und China-Experte Oliver Prothmann
Die vollen Auswirkungen des Corona-Virus auf den Handel in Europa werden erst im Sommer spürbar werden, sagt bvoh-Präsident und China-Experte Oliver Prothmann. Online-Händler sollten die Krise zum Anlass nehmen, alternative Sourcing-Möglichkeiten aufzubauen.
Das Corona-Virus hat Asien fest im Griff: Über 70.000 Menschen haben sich bisher mit dem Grippe-Erreger infiziert, über 1.700 Patienten sind bisher daran verstorben. Die Auswirkungen der humanitären Krise auf die Weltwirtschaft werden erst allmählich in Europa spürbar: Immer mehr Händler, die ihre Waren von chinesischen Lieferanten beziehen, müssen Liefereinbrüche hinnehmen, berichtet shopanbieter.de. Das sei erst der Anfang, warnt Oliver Prothmann, Präsident des bvoh (Bundesverband Online-Handel), der enge berufliche Beziehungen nach China pflegt.
Herr Prothmann, Berichte von Experten und Händlern in China deuten darauf hin, dass die Produktion in China durch das Coronavirus zumindest eingeschränkt, in manchen Gebieten auch lahmgelegt ist. Andere Händler wiederum berichten von keinen Problemen bei ihren Lieferanten. Wie groß ist das Problem von Produktionseinbrüchen in China Ihrer Ansicht nach aktuell?
Oliver Prothmann: Alle Informationen, die ich aus verschiedenen Teilen in China erhalte, sagen klar, dass es einen deutlichen Einschnitt bei der Produktion und dem Transport von Waren aus China gibt. Alle Händler, die nicht noch größere Mengen vor dem chinesischen Neujahrsfest geliefert bekommen haben, werden sich auf erhebliche Verzögerungen einstellen müssen. Seit dieser Woche gelten zwar keine offiziellen Urlaubstage mehr, aber in vielen Orten gibt es Quarantäneregelungen. Von unseren Kontakten hören wir, dass die Produktionen frühestens in vier Wochen wieder normal laufen. Andererseits sehe ich massive Schwierigkeiten bei der Logistik. In den Häfen liegen tausende von Container, die bearbeitet werden müssen bevor man sich um neue Ware kümmern kann.
Was heißt das konkret für deutsche oder europäische Händler?
Prothmann: Ich gehe davon aus, dass wir diesen Sommer bei vielen Artikeln ein Verfügbarkeitsproblem bekommen werden. Jeder Händler, der Sommerware aus China bezieht und diese noch nicht im Lager hat, wird starke Schwierigkeiten bekommen, diese rechtzeitig zu erhalten. Das bedeutet, dass die Händler über Verfügbarkeit die Waren steuern müssen und gegebenenfalls auch die Preise erhöhen. Das wird zu Cash Flow Problemen führen. Und auch die Marktplätze müssen sich darauf einstellen, mehr in Verfügbarkeiten zu denken, als in Preisdumping.
Welche Branchen dürften besonders von den Einbrüchen ihrer chinesischen Lieferanten betroffen sein?
Prothmann: Aktuell sehen wir keine Kategorien, die nicht betroffen sind. Sollte eine Produktion der Ware außerhalb von China möglich sein, kann man jedem Händler nur raten kurzfristig entsprechende Chargen dort produzieren zu lassen. So verlagert sich aktuell die Textilproduktion stark Richtung Türkei und Portugal. Das kann in Teilen bei anderen Kategorien auch möglich sein.
Wie sieht es umgekehrt für die Händler aus, die Ware nach China liefern? Müssen sie Absatzprobleme erwarten oder dürfte die Nachfrage nach ausländischen Gütern in China aufgrund des lokalen Produktionseinbruchs eher steigen? Einige Händler von Medizinprodukten berichten von Großbestellungen aus dem asiatischen Raum…
Prothmann: Hier muss man unterscheiden zwischen dem aktuellen Bedarf in China und dem Bedarf nach der Viruskrise. Es stimmt, dass aktuell große Mengen an Atemmasken, Schutzanzügen, Einmalhandschuhen etc nachgefragt wird. Auch wir vom bvoh unterstützen aktiv die Chinesische Botschaft und diverse Provinzregierungen dabei. Der nichtmedizinische normale Verkauf nach China ist dagegen nahezu zum Stillstand gekommen, was auch damit zusammenhängt, dass eine Lieferung von Einzelpaketen nach China aktuell aufgrund von starken Kapazitätsengpässen nicht möglich ist. Da die europäischen Airlines frühestens Mitte März wieder fliegen, wird das sicherlich auch eine Zeit noch so bleiben.
Wie können Händler auf so eine weltweite Handelskrise reagieren?
Prothmann: Erster Schritt bleibt natürlich, nicht in Panik zu verfallen. Wir kennen eine ähnliche Situation von diversen anderen Prozessen der Wertschöpfungskette. Es ist wichtig, nicht nur einen Vertriebskanal zu haben, es ist wichtig, nicht nur einen Versanddienst zu haben, denn immer wenn dieser ausfällt, hat das riesige Folgen für das Geschäft. Jetzt sehen wir, dass dies auch für die Produktion gilt und hierbei nicht nur mehrere Produzenten zu haben, sondern diese auch noch in verschiedenen Regionen. Es muss nicht immer ein Virus sein; was ist wenn regional Krieg oder Streiks ausbrechen oder das Land eine neue Regierung bekommt und die Zollregularien ändert.