
Mit ihrem Ruf nach finanzieller Beteiligung großer US-Internet-Konzerne an den Kosten des Netzausbaus greifen Telekom & Co eine alte Forderung wieder auf - und rütteln an Grundprinzipien des Internets. Dies könnte der ganzen Internet-Wirtschaft schaden. Ein Kommentar.
Um mit dem ständig steigenden Hunger nach Bandbreite mithalten zu können, den das Video-Portal YouTube verursacht, werde die Deutsche Telekom ihre YouTube-Kapazitäten verdreifachen - und YouTube dafür zur Kasse bitten. Das teilte der Bonner Konzern über seinen Unternehmens-Blog seinen von stockenden Videos und Buffer-Sanduhren genervten Kunden mit.
Diese Meldung ist jetzt über zehn Jahre alt, sie datiert vom 23. Mai 2011.
Insofern ist die Forderung nicht neu, die aktuell in einer gemeinsamen Erklärung erhoben wurde, unterschrieben von den CEOs von elf europäischen TK-Konzernen, darunter Deutsche Telekom, Vodafone und Teléfonica. Sie verlangen, dass sich die großen US-Konzerne, die für einen großen Teil des weltweiten Internet-Traffics verantwortlich sind, an den enormen Kosten für den Ausbau der europäischen Telekommunikations-Infrastruktur beteiligen sollen. Im Papier nicht genannt, aber gemeint: Netflix, Google, Facebook, Amazon.
Nicht nur die Forderung ist altbekannt, auch an den Argumenten dagegen hat sich wenig geändert. Denn für jedes Terabyte an Daten, das Netflix ins Netz schaufelt, hat der Streaming-Dienst irgendeinen Breitband-Carrier bezahlt, mit dem die Telekom dann ein Peering-Abkommen hat. Das besagt: Ich transportiere deine Daten, wenn du meine transportierst. So funktioniert das Internet seit bald 40 Jahren.
Streaming verursacht 61 Prozent des Internet-Traffics
Gut, vor 40 Jahren gab es weder 5G noch mobiles Internet. Binge Watching auf Netflix war kaum vorstellbar. Heute entfallen 61 Prozent des weltweiten Internet-Verkehrs auf Streaming-Dienste, die den Netz-Traffic durch die Decke gehen lassen. Und die europäischen TK-Konzerne brauchen Geld. Über 50 Milliarden Euro haben sie 2020 in den Ausbau des Breitbandnetzes investiert. Glasfaser und 5G gibt es nicht umsonst.
Doch eine Beteiligung der US-Konzerne an dem Traffic, den sie in Europa verursachen, würde auch ein weiteres Prinzip infragestellen, nämlich das der Netzneutralität. Das besagt, dass es einem Carrier egal ist, von wem das IP-Datenpaket stammt, das er durch seine Leitungen schleust - egal ob es aus einer Mail von GMX stammt oder aus einer neuen Folge von "Games of Thrones".
Zweiklassengesellschaft im Netz?
Auch dieses Prinzip gibt es seit 40 Jahren, und es muss immer wieder gegen die Forderungen der Telcos verteidigt werden. Die würden sicherlich gern ein Zusatzgeschäft damit machen, dass sie eben für einen ruckfreien Netflix-Stream die Hand aufhalten, eine GMX-Mail kann ja gern ein paar Sekunden länger dauern. Und der Seitenaufbau eines Onlineshops? Ohne Netzneutralität würde es bald nur noch zwei Arten von Shops geben: Die, die schlecht performen, und die großen Plattformen, die genug Geld haben, um die Telekom für eine ausreichende Quality of Service zu bezahlen.
Ein wichtiges Argument für die Netzneutralität wird gern übersehen. Um Netflix für die Auslieferung von Streams zur Kasse zu bitten, müsste ein Carrier erst einmal wissen, welche Pakete, die durch seine Leitungen sausen, überhaupt von Netflix sind. Also müssten alle Datenpakete analysiert werden, was bislang nicht geschieht. Und mit einer Deep Packet Inspection - zum Zweck der Bepreisung - würden die europäischen Telcos den Grundstein legen zu einer kompletten Überwachung des Internets. Ein Ansinnen, gegen das sie sich im Moment noch mit Händen und Füßen wehren, vor allem aus Kostengründen.
Und wenn Netflix die Telekom kauft?
Eine weitere Gefahr solle nicht außer Acht gelassen werden. Wenn etwa Netflix die Telekom dafür bezahlen soll, dass die Telekom Netflix-Daten ausliefert, für die Netflix an anderer Stelle bereits bezahlt hat, dann könnte Netflix im Gegenzug einen Zugang zum deutschen TK-Markt fordern und sein Internet einfach selbst machen - vielleicht auch einfach einen großen Carrier übernehmen. Hört sich verwegen an? Nun, an der Börse ist Netflix derzeit etwa dreimal so viel wert wie der rosa Riese aus Bonn.